„Kurz davor, auszurasten”Wie Kölner Eltern mit ihren Kindern die Krise bewältigen

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Jule Kita Köln

Jule, 4, genießt die Zeit ohne Kita am Rand des Teiches am Mediapark

  • Kitas sind geschlossen, Spielplätze gesperrt, viele Eltern müssen von zu Hause aus arbeiten.
  • Home Office mit kleinen Kindern? Für viele schwierig bis unmöglich.
  • Die Kombination aus Arbeit, Kinderbetreuung und Geldsorgen ist für einige Kölner Eltern wohl zu viel.

Köln – Die Sonne scheint, Kinder malen mit Kreide bunte Blumen auf den Nippeser Schillplatz, zwischendrin fahren ein paar kleine Jungs mit dem Roller ihre Runden. Am Rand stehen zwei Mütter und plaudern. Eine idyllische Szene. Oder?

„Wir kämpfen hier gerade mit den Tränen und sind kurz davor, auszurasten“, sagt die Mutter von Johann, fast drei. Dass die Kitas noch wochenlang geschlossen sein werden und auch Tageseltern nicht arbeiten, ist für sie eine „megakrasse Herausforderung“. Für die Arbeit telefonieren oder am Computer arbeiten? Geht gar nicht, wenn Johann dabei ist, sagt seine Mutter. „Es ist ja nicht so, dass wir keine Lust haben, unsere Kinder zu betreuen“. Aber die Kombination aus Arbeit, Kinderbetreuung und Geldsorgen – das sei im Moment einfach zu viel für sie und ihren Mann, der Musiker ist. Zumal sie bald auch noch ihr zweites Kind bekommen.

Von Politik vernachlässigt

Von der Politik fühlen sie sich im Moment vernachlässigt: „Von Kitas ist kaum die Rede. Man geht davon aus, dass es bis jetzt gut gelaufen ist. Nein! Das ist für uns eine absolute Ausnahmesituation“, sagt die andere Mutter, die mit ihrem Vierjährigen und einer Sechsjährigen unterwegs ist. Und dann muss sie auch schon wieder los – „ein Call“ für ihre Arbeit in einem wissenschaftlichen Projekt wartet.

Mehr als 30 000 Kinder in Köln stehen im Moment ohne Kitas oder Tageseltern da. Die Möglichkeit zur Notbetreuung wird zwar jetzt auf weitere Berufsgruppen ausgeweitet, ist aber zum Beispiel nicht möglich, wenn Eltern im Homeoffice arbeiten können. Die allermeisten müssen sich also irgendwie durchschlagen. Und zwar ohne Großeltern und Babysitter, wenn sie die Kontaktbeschränkungen ernst nehmen. „Et kütt wie et kütt“, sagt der Vater der vierjährigen Jule dazu und zuckt mit den Schultern. Im Vergleich zu vielen anderen ginge es ihnen ja gut, findet er – als freie Journalisten sind er und seine Frau flexibles Arbeiten gewohnt.

Roman (l.) und Dima im Nippeser Tälchen.

Roman (l.) und Dima im Nippeser Tälchen.

Vater und Tochter haben sich ein schattiges Plätzchen am Teich am Mediapark gesucht. Ein Bächlein plätschert, die Gänse schnattern. Jule hat ihr Fahrrad dabei und zeigt stolz Pfeil und Bogen, die die beiden heute schon gebastelt haben. Und ein kleines Floß, das sie im Bach schwimmen lassen können. „Hier gibt es Schildkröten ohne Ende“, erzählt Jules Vater begeistert, „die liegen immer auf den Steinen und sonnen sich. Die Gänse brüten, die Enten haben kleine Küken.“ Fast jeden Tag kommen sie gerade hierher. „Wir schicken den Omas immer Fotos, die können gar nicht glauben, dass wir hier mitten in der Kölner Innenstadt sind!“.Ententeiche, Baustellen, verlassene Bolzplätze, Skater-Rampen – seit die Spielplätze gesperrt sind, müssen Eltern erfinderisch sein, wenn sie mit ihren Kindern nicht den ganzen Tag in der Bude hocken wollen.

Problem kleine Wohnung

Vor allem, wenn die Wohnung sehr klein ist, wie bei der Familie von Luciano Lago, die es sich auf einer Picknickdecke im Nippeser Tälchen gemütlich gemacht hat.„Für uns ist es auch eine Zeit der Entdeckungen“, sagt er. Mit dem Fahrrad hat die Familie in den letzten Wochen die Parks und Wäldchen der Umgebung erkundet. Die dreijährige Camila sucht dort am liebsten nach Ameisen. Auf ihren gerade ein Jahre alten Bruder Diego sollte eigentlich gerade die Oma aus Argentinien aufpassen. „Was machen wir mit den Kindern, wenn die Schule jetzt wieder los geht?“ fragt sich Luciano Lago, der wie seine Frau an einer Schule unterrichtet.

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Ein paar Meter weiter brettern Roman (6) und Dima (4) mit ihren Fahrrädern einen Hügel herunter. „Für mich ist es kein Problem, das die Kita und die Schule so lange geschlossen ist. Aber für die Kinder ist es ein Problem!“, sagt Katharina Diachova, die Hausfrau ist. Denn die Familie spricht russisch und ihre Kinder müssten mehr deutsch sprechen, findet sie. „Die Hausaufgaben in der ersten Klasse sind noch nicht so schwer. Aber es wäre wahrscheinlich trotzdem besser, ein deutscher Lehrer würde sie Roman erklären“, sagt sie lachend.

Verlierer der Kita-Schließungen

Kinder, die nicht so gut Deutsch sprechen, Kinder, die mit ihren Eltern in kleinen Wohnungen leben, Kinder ohne Geschwister – sie sind die größten Verlierer der Kita-Schließungen. Nicht alle Eltern haben gerade die Zeit und die Nerven für tolle Fahrradtouren oder kreative Spiele. Das Wort „Home Office“ macht vielen Kindern deswegen zur Zeit genauso schlechte Laune wie ihren Eltern.

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Christian Krüger und seine Frau haben in den ersten Tagen nach der Kita-Schließung noch versucht, ihren Fünfjährigen zu betreuen und gleichzeitig zu arbeiten. „Das hat gar nicht geklappt. Max versteht das zum Beispiel überhaupt nicht, wenn er während einer Telefonkonferenz ruhig sein soll“, erzählt der IT-Spezialist. Jetzt nimmt er immer abwechselnd mit seiner Frau Urlaub.

Gerade sind Vater und Sohn in Nippes unterwegs, um sich Mittagessen zu holen. Max vermisst zwar seine Freunde, ist ansonsten aber sehr zufrieden, dass die Kita geschlossen ist. „Wegen der Videospiele“, sagt er. Christian Krüger lacht und seufzt. Bis jetzt, sagt er, sind sie ganz gut klargekommen. Aber vielleicht noch bis zu den Sommerferien? „Das halten wir mit unserem Modell auf jeden Fall nicht durch. So viel Urlaub hat kein Mensch!“

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