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Klimawandel in Köln„Wir müssen damit rechnen, dass der Rhein austrocknet“

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Niedrigwasser am Rhein

  • Der Klimaforscher Mojib Latif vom Institut für Ozeanforschung in Kiel schlägt Alarm.
  • „Es kann ziemlich schnell passieren, dass wir zu Fuß durch den Rhein gehen können."

Köln – Für den Sommermonat Juli steht der Kölner Pegel des Rheins am Dienstag um 11.45 Uhr bei völlig unauffälligen und normalen 2,06 Meter. Doch kurz vor dem ersten Jahrestag des 14. Juli, als die verheerende Flutkatastrophe 2021 in der Eifel und an der Ahr mehr als 180 Menschen in den Tod riss und Schäden in Milliardenhöhe anrichtete, warnt der renommierte Klimaforscher und Meteorologe Mojib Latif (67) vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.

Es könne dem Rhein das gleiche Schicksal drohen wie dem Po, sagt Latif. Der mit 652 Kilometern längste Fluss Italiens ist nach mehr als drei Monaten Dürre in Norditalien fast ausgetrocknet.

Herr Latif, wir haben das extreme Hochwasser vor einem Jahr noch nicht verdaut, da warnen Sie vor einer neuen Gefahr. Kann der Rhein wirklich austrocknen?

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Ich habe immer versucht, deutlich zu machen, dass es um beides geht. Um extreme Trockenheit und um Starkregen mit heftigen Überschwemmungen in immer kürzerer Abfolge.

Kann man das belegen?

Die Zahl der sogenannten heißen Tage mit Temperaturen von 30 Grad und mehr haben in den vergangenen 20 Jahren massiv zugenommen. 2019 hatte NRW den Allzeit-Hitzerekord für Deutschland mit 41,2 Grad in Duisburg. Deutschland hat sich deutlich stärker erwärmt als der globale Durchschnitt. Wir reden weltweit von einem Grad, bei uns sind es zwei. Wärmere Temperaturen führen zu immer mehr Extremen, zu Dürren oder Hochwasser. Das hängt immer von der Wetterlage ab.

Trotzdem – trockenen Fußes durch den Rhein. Das ist doch unvorstellbar?

Doch. Wir müssen damit rechnen. Erinnern Sie sich an den Oktober 2018? Da lag der Kölner Pegel bei 67 Zentimetern.

Sagen Sie das jetzt bloß, um wachzurütteln, oder ist das ein reales Szenario?

Das ist für mich absolut real, weil die Temperaturen weiter steigen werden. Dazu braucht es eine langanhaltende Omega-Wetterlage, also ein stabiles Hochdruckgebiet. Der Rest passiert von allein. Extrem heiße Temperaturen, eine hohe Verdunstung und keine Niederschläge. Dann kann das ziemlich schnell passieren, dass wir zu Fuß durch den Rhein gehen können.

Der Klimawandel ist doch längst das beherrschende Thema, sieht man mal vom Krieg in der Ukraine und der Corona-Pandemie ab. Warum treten wir immer noch auf der Stelle?

Dazu nur zwei Zahlen: Weltweit, und nur das zählt, ist der Ausstoß von Treibhausgasen seit 1990 um 60 Prozent gestiegen. Bei uns in Deutschland ist der Ausstoß im gleichen Zeitraum und fast 40 Prozent gesunken. Es ist wichtig und richtig, dass Deutschland alles versucht, die Energiewende hinzubekommen. Das nutzt nur wenig. China ist heute der größte Verursacher von CO2 mit einem Anteil von mehr als 30 Prozent. Deshalb ist die Idee von Bundeskanzler Olaf Scholz zu einem Klimaklub genau richtig. Wir brauchen eine Allianz der Willigen.

Was soll die bewirken?

Diese Allianz muss eine Art Klimaschutzraum eröffnen, mit Handel untereinander, mit einem Austausch bei Technologie und Forschung. Und gleichzeitig Mauern hochziehen, damit Länder wie China unsere Märkte mit ihren dreckigen Produkten nicht überschwemmen und damit unsere Wirtschaft schädigen.

Das wäre das Ende der Globalisierung, oder?

Das glaube ich nicht. Die Globalisierung braucht Regeln. Sonst führt sie in jeder Hinsicht ins Chaos. Nicht nur bei der Umwelt, sondern auch bei den sozialen Standards. Die Mitgliedsländer des Klimaklubs könnten zu einem florierenden Wirtschaftsraum werden, dem sich immer mehr Länder anschließen würden.

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Warum?

Ich war gerade in NRW zu einem Zukunftskongress der Landesregierung, wo es genau um diese Fragen ging. Mit unseren alten Geschäftsmodellen kommen wir nicht weiter. Der Umbau zu einer klimaneutralen Gesellschaft erfordert die Erforschung neuer Technologien und neue Produktionsmethoden. Wir müssen doch innovativ sein und unabhängiger werden.

Wenn Länder wie China nicht mitspielen und der Regenwald in Brasilien weiter abgeholzt wird, macht das doch alles keinen Sinn.

Das mag ja sein. Dennoch müssen wir in Deutschland unsere Hausaufgaben machen. Wir haben eine historische Verantwortung, weil wir schon sehr lange CO2 in die Luft geblasen haben. Das ist das Erbe unserer Eltern und Großeltern. Das ist immer noch da oben. Und sie können einem Inder nicht erzählen, dass er weniger CO2 ausstoßen soll, wenn unser Pro-Kopf-Verbrauch viermal so hoch ist. Es geht um Glaubwürdigkeit. Auch wenn wir es nicht schaffen, die Klimaziele zu erreichen. Wir müssen es wenigstens versuchen.

Wie viele Jahre haben wir noch Zeit?

Wir müssen uns eingestehen, dass wir das 1,5 Grad-Ziel global verfehlen werden und es nur noch um Schadensbegrenzung geht. Wenn wir den Ausstoß von heute fortschreiben, der jährlich weltweit ungefähr bei 40 Milliarden Tonnen liegt, wären wir schon in weniger als zehn Jahren über der 1,5 Grad-Marke. Dann verdunkelt sich zwar nicht gleich die ganze Welt, aber das Risiko von extremen Wetterereignissen steigt mit jedem Zehntel Grad.

Was ist mit den sogenannten Kipp-Punkten?

Das sind irreversible Ereignisse. Wenn die Gletscher in Grönland beim Verfehlen des 1,5 Grad-Ziels unwiderruflich abschmelzen sollten, erhöht sich der Meeresspiegel weltweit um sieben Meter. Das dauert zwar Jahrhunderte, lässt sich aber nicht mehr rückgängig machen. Und dann es gibt es ja auch noch die Kipp-Punkte in Wirtschaft und Gesellschaft. Denken Sie doch bloß mal an den Ausbruch des Eyjafjallajökull in Island im April 2010. So ein lächerlicher Vulkan hat die Wirtschaft fast an den Rand gebracht, weil der Flugverkehr zum Erliegen kam. Das zeigt doch, wie fragil unsere globalisierte Welt eigentlich ist. Ich setze vor allem auf die sozialen Kipp-Punkte.

Was ist das?

Wenn eine kritische Minderheit in einer Gesellschaft wirklich etwas bewegen will, kann sie auch etwas bewirken. Das beste Beispiel ist die deutsche Wiedervereinigung. Da hat eine kritische Minderheit einfach die Mauer hinweggefegt.

Eine Bewegung wie Fridays for Future?

Die hat sicherlich viel bewegt. Das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts wäre wohl nicht so eindeutig ausgefallen, wenn es die Bewegung nicht gegeben hätte. Aber das reicht nicht. Es ist doch ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft, dass sie es den Jüngsten und Schwächsten überlässt, Druck zu machen. Dabei müssten wir doch damit beginnen, mit den Ressourcen der Erde hauszuhalten und neu zu definieren, wie unser Wohlstand künftig aussehen soll. Dazu gehören Kurztrips in die Sonne mit dem Flugzeug sicherlich nicht.

Zur Person: Mojib Latif (67) ist Meteorologe, Klimaforscher, Hochschullehrer und Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome und seit Januar 2022 überdies Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg.

Sein neues Buch „Countdown. Unsere Zeit läuft ab. Was wir der Klimakatastrophe noch entgegensetzen können“ fordert er eine „Revolution im Klimaschutz“ und ist überzeugt davon, dass wir den Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft innerhalb weniger Jahrzehnte schaffen können.

Aktionsplan Niedrigwasser Rhein: Nach dem historischen Niedrigwasser vom Oktober 2018 hat der damalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im Juli 2019 einen Aktionsplan vorgestellt. Vier Handlungsfelder mit acht Einzelmaßnahmen umfasst das Papier: Kurzfristig sollen etwa mit den Daten des Deutschen Wetterdienstes oder der Bundesanstalt für Gewässerkunde bessere Prognosen über den Wasserpegel bereitgestellt werden - bis zu sechs Monate in die Zukunft sollen Trendvorhersagen reichen. Mittelfristig sollen bestehende Transportkonzepte optimiert und neue, leichtere Schiffstypen entwickelt werden. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 soll dahingehend beschleunigt umgesetzt werden, bestimmte Rhein-Fahrrinnen zu vertiefen. Weitere wasserbauliche Optionen zur Sicherstellung der Transportbedingungen sollen langfristig untersucht werden, dazu gehören Stau- und Speicherlösungen."

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