„Integration übererfüllt“Über deutsch-türkische Comedy in Zeiten von Erdogan

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Markus Barth (v. l.), Hülya Dogan-Netenjakob, Serhat Dogan und Moritz Netenjakob

Markus Barth (v. l.), Hülya Dogan-Netenjakob, Serhat Dogan und Moritz Netenjakob

Köln – Wer sich in Sachen deutsch-türkisches Verhältnis informations-unterzuckert fühlt, kann dem seit nunmehr fünf Jahren ohne Medikamenteneinsatz abhelfen: So lange schon spielen Hülya Dogan-Netenjakob, ihr Ehemann Moritz Netenjakob, ihr Bruder Serhat Dogan sowie Markus Barth das Kabarett-Comedy-Programm „Zuckerfest für Diabetiker“. Einmal im Monat nehmen die vier in der Comedia in Köln türkisch-deutsche Problemzonen auf die Schippe, die Autoren Netenjakob und Barth kommen der gerade in jüngeren Vergangenheit mit dem Aktualisieren der Pointen manchmal kaum mehr hinterher. Am kommenden Samstag feiert das Quartett in der Comedia fünf Jahre „Zuckerfest“.

Zu den Personen

Hülya Dogan-Netenjakob (51) ist Schauspielerin und Regisseurin, ihr Mann Moritz Netenjakob (48) Autor und Kabarettist. Serhat Dogan (44) ist Schauspieler und Komiker, Markus Barth (41) ebenfalls Autor und Kabarettist. Alle vier leben in Köln.

„Zuckerfest für Diabetiker – nachgezuckert“ am Samstag, 13. Oktober um 20 Uhr im Comedia-Theater, Vondelstraße 4-8. (hp)

Das Thema Türkei war auf der Comedy-Bühne früher, wenn überhaupt, meist eine einseitige Sache – Türke veräppelt sich und bestätigt Vorurteile. Sie machen es anders.

Hülya Dogan-Netenjakob: Ja, wir gehen nicht auf die Bühne und sagen „Mein Gott, diese Deutschen“ oder „Mein Gott, diese Türken“, wir sehen beide Seiten.

Serhat Dogan: Wir können das gut machen, weil wir beide Kulturen sehr gut kennen.

Sie und Hülya sind schließlich in Deutschland geboren.

Dogan-Netenjakob: Ich war 13, Serhat acht, als wir wieder in die Türkei zurück gingen.

Dogan: Hülya lebt jetzt aber seit 23 Jahren, ich seit 14 Jahren wieder in Deutschland. Wir sind wieder in unserer Heimat.

Dogan-Netenjakob: Unser Vater war ein unheimlich großer Deutschland-Fan. Willy Brandt war sein Lieblingspolitiker.

Markus Barth: Und Hülya ist die mit Abstand deutscheste Türkin. Wenn man mit ihr um 11 Uhr zur Probe verabredet ist, klingelt sie um zwei Minuten vor elf.

Moritz Netenjakob: Und sie wird sauer, wenn Radfahrer auf dem Fahrradweg in die falsche Richtung fahren.

Markus: Integrationsziel übererfüllt …

Dogan-Netenjakob: Das verdanken wir unserer Mutter. Die hat gesagt, draußen wird Deutsch gesprochen, drinnen Türkisch.

Barth: Ich finde das immer toll, wenn ich einer Unterhaltung auf Türkisch in der Straßenbahn zuhöre und dazwischen ein Wort auf Deutsch kommt – „Blubber, blubber, blubber Bürgermeldeamt“.

Netenjakob: Und immer, wenn es spannend wird, schalten die komplett auf Türkisch um – das ist so gemein! Das ist auch der Grund, warum ich einen Türkischkurs belegt habe. Ich wollte auch die spannenden Stellen mitbekommen.

Im Moment gibt es beim Thema Deutschland und Türkei ja täglich was Neues.

Barth: Wir aktualisieren das Programm immer wieder. Als wir damit anfingen, sagte Moritz, ich schwör’ dir, das spielen wir bis zu unserer Rente. Ich hab’s nicht geglaubt weil ich dachte, irgendwann ist das Thema ja mal durch. Aber von wegen… Das Lustige ist, dass uns die Wirklichkeit manchmal hinterher hinkt. Wir hatten mal was drin über Gemüsedöner, und was ist in Berlin jetzt der neue Hype? Gemüsedöner.

Sie sagen: „Wir lassen uns von Erdogan nicht das Programm diktieren.“ Sind Sie Anti-Erdogan oder sind Sie unpolitisch?

Netenjakob: Beides. Aber wir sind nicht wirklich unpolitisch. Dass wir ein Programm über deutsch-türkische Verständigung machen, finde ich an sich politisch.

Dogan-Netenjakob: Wir machen keine Tagespolitik. Aber dass da eine türkische Frau ohne Kopftuch auf der Bühne steht und ihre Geschichte erzählt, ist doch irgendwie schon politisch.

Barth: Es geht ums miteinander spielen, lachen, leben, und da ist es mir scheißegal, was ein Erdogan sagt. Das hat nichts mit den Türken zu tun, die ich jeden Tag auf der Straße treffe.

Welches Publikum erreichen Sie mit Ihrem Programm? Ist es eher das multi-kulti-offene, oder sind das auch türkischstämmige Fordarbeiter?

Dogan-Netenjakob: Als Uschi Siedler uns mit unserem ersten Programm in die alte Comedia geholt hat, war da oft türkisches Publikum. Bei diesem Programm sind es sehr wenig. Warum, weiß ich nicht.

Barth: Aber wir laden sie herzlich ein. Wir freuen uns auch über jeden italienischen und jeden griechischen Besucher, weil die im Zweifel lockerer als die Deutschen mit dem Thema umgehen. Die Deutschen fragen sich oft: „Darf ich jetzt lachen oder nicht?“

Dogan: Die machen sich manchmal mehr Gedanken als wir. Ich sage: „Lach doch einfach, wenn du das lustig findest. Wenn ich als Türke Erdogan auf der Bühne verarsche, dann kannst du doch locker darüber lachen.“

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