„Jeder kann zum Mörder werden“Kölnerin Lydia Benecke zu Gast bei „Aktenzeichen XY“

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Lydia Benecke

Die Kölner Kriminalpsychologin Lydia Benecke

Köln – Frau Benecke, Sie sind am Mittwoch um 20.15 Uhr einziger Talkgast in der ZDF-Sondersendung „Aktenzeichen XY Gelöst“. Im Gespräch mit Rudi Cerne analysieren Sie die Tätertypen in drei spektakulären Kriminalfällen und erklären jeweils, warum die Männer zu Mördern wurden. Woher wissen Sie das?

Ich habe mich umfassend vorbereitet auf die Fälle, habe massenhaft Unterlagen aus den Ermittlungsakten gelesen, unter anderem die Gerichtsurteile. Außerdem gab es eine ausführliche Besprechung mit der Redaktion, in der weitere Fragen geklärt wurden. Ich kenne natürlich zahlreiche wissenschaftliche Studien zu dem Thema und arbeite als Kriminalpsychologin selbst täglich mit Schwerverbrechern, aktuell mit knapp 50 gleichzeitig.

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 In der Sendung geht es um einen Mann, der seine Arbeitskollegin getötet hat, um einen Lkw-Fahrer, der vier Frauen vergewaltigt und drei getötet hat und um einen Auftragsmörder – sind das besonders außergewöhnliche Fälle?

Nein. Jeder Fall, der in der Sendung präsentiert wird, steht für eine ganz bestimmte Täterkategorie. Menschen sind nicht einzigartig, sie sind manchmal sogar erschreckend stereotyp. Sie funktionieren nach vorhersehbaren Prinzipien, die wiederum zu bestimmten Verhaltensweisen führen.

Also lässt sich jedes Verbrechen auch erklären?

Ja. Erklärungen sind keine Entschuldigungen, aber Erklärmodelle sind Möglichkeiten, Verbrechen fassbar zu machen. Es gibt kein Verbrechen, das man nicht erfassen kann. Das ist keine Magie. Die Tätertypen wiederholen sich. Kommen bestimmte Umstände und Situationen zusammen, kann es passieren, dass auch jemand einen Mord begeht, von dem die Nachbarn dann später diese typischen Sätze sagen: Der war immer so nett, dem hätte ich das niemals zugetraut. So einen Fall besprechen wir auch in der Sendung. Da geht es um einen Mann, von dem man denkt, der ist absolut kein gewalttätiger Typ. Aber er gerät in eine Situation, in der er ein Tötungsdelikt begeht.

Das heißt, es müssen nur spezifische Umstände zusammenkommen, dann könnte  jeder von uns zum Mörder werden?

Die Tätertypen in der Sendung repräsentieren jetzt nicht den Durchschnittsbürger. Aber grundsätzlich stimmt das schon. Sonst gäbe es zum Beispiel auch keine Kriege und Massenvergewaltigungen. Es ist ja nicht so, dass alle, die daran beteiligt sind, vorher schon psychisch auffällig gewesen wären. Wissenschaftliche Experimente haben bewiesen, dass man Menschen dazu bringen kann, sich zu beteiligen.

Und wie?

Da geht es zum Beispiel um gruppendynamische Prozesse, darum, ein Feindbild aufzubauen oder die Taten zu rechtfertigen. Man kriegt damit vielleicht nicht alle, aber fast alle. Es gibt eben Menschen, die sind näher dran, und welche, die sind weiter weg – bei denen müssen noch mehr Umstände zusammentreffen als bei anderen, ehe sie zum Mörder werden.

Kann man jeden Mörder, jeden Serienvergewaltiger therapieren?

In der Therapie geht es zunächst mal darum, eine Einsicht herzustellen. Vergewaltiger sagen oft: Ich bin eigentlich nicht so, das passiert mir nie wieder. Dann sage ich: Regen passiert vielleicht, aber Sie haben etwas getan. Und ich frage sie: Hätten Sie vorher von sich gesagt, dass Sie ein Vergewaltiger sind? Dann antworten die: Nein! Und ich sage: Sehen Sie, aber Sie sind es trotzdem geworden. Bei vielen setzt an dieser Stelle das Nachdenken ein. Es gibt aber auch Täter, die sich dauerhaft verweigern. Da sind die Möglichkeiten der Therapie irgendwann ausgeschöpft. Dann ist die Justiz gefragt.

Zur Person

Die Kölnerin Lydia Benecke gehört zu den bekanntesten Kriminalpsychologen Deutschlands. Die 35-jährige Diplom-Psychologin arbeitet in einer Ambulanz für Sexualstraftäter sowie einer Sozialtherapeutischen Anstalt mit erwachsenen Sexualstraftätern. Ihre wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkte und Interessengebiete liegen in den Bereichen abweichender sexueller Vorlieben, Persönlichkeitsstörungen, Traumastörungen, abergläubische Überzeugungen, Subkulturen und Sekten. Sie hat mehrere Bücher verfasst. (ts)

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