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G8 1999 in KölnSechs kuriose Anekdoten um den Gipfel, die Sie noch nicht kannten

Lesezeit 6 Minuten
G8 in Köln

Szenen des G8-Gipfels 1999 in Köln

Köln – Ein betrunkener Staatschef, Schüsse auf dem Hoteldach, ein kölscher Schutzmann, der mit Ex-Kanzler Schröder um die Häuser zog – der damalige Polizeipräsident Jürgen Roters und sein Einsatzleiter Winrich Granitzka lüften die letzten Geheimnisse des G8-Gipfels 1999 in Köln, Tage vor dem G20-Treffen in Hamburg.

Aufgezeichnet von Tobias Christ und Tim Stinauer

Bill Clinton in der Malzmühle

Granitzka: Clinton fuhr nach seiner Landung in der „Air Force One“ direkt ins Hyatt-Hotel. Wir dachten, er würde sich in seine Präsidenten-Suite verkrümeln, ein Bier trinken. Auf einmal kriegten wir die Info: Der Präsident lässt anspannen. Der will in die Stadt, in ein Bierhaus gehen. Da standen wir wirklich alle ratlos da. Hauptkommissar Günter Mönig war immer zu gebrauchen, wenn etwas gar nicht ging. Der sagte dann: „Es doch janz einfach, jon mer in de Malzmühl“. Da kann überhaupt keiner parken, das können wir wunderbar mit drei Streifenwagen absperren. In den Hinterhof stellen wir noch einen Kollegen rein und fertig. Es soll tatsächlich so gewesen sein, dass er da reingegangen ist und gesagt hat: „Hallo, I’m Bill Clinton.“ Jemand sagte: „Wenn Du der Clinton bist, dann bin isch der Jorbatschow.“ Roters: Als der Empfang im Rathaus war, war vorgesehen, dass die ganze Gruppe der Staatschefs zu Fuß zum Römisch-Germanischen Museum geht. Das haben die auch tatsächlich gemacht. Clinton vorneweg. Ich war an seiner Seite. Er hat wirklich genossen,  dass so viele Menschen am Straßenrand standen. Oben war alles mit Scharfschützen abgesichert. Er hat zum ersten Mal den Dom in seiner Pracht gesehen und konnte gar nicht davon ablassen. Er ist zehn Minuten stehengeblieben und hat ihn auf sich wirken lassen. Das Protokoll hat zum Weitergehen gedrängt, aber er ließ sich über den Dom informieren. Das hat mir sehr imponiert, wie hochgradig er interessiert war an Köln. Er war eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Er sah toll aus, die Frauen kriegten alle große Augen, weil er so ein blendend aussehender Mann war und ist. Es war auch ein tolles Ereignis im Rathaus, als Clinton spontan auf die Treppe gegangen ist und mit dem Jugendchor St. Stephan gesungen hat. Da hatten manche Tränen in den Augen.

Der joviale Herr Schröder

Der joviale Herr Schröder

Granitzka: Der Schröder war unglaublich leutselig, kein bisschen aufgesetzt oder so. Man hatte das Gefühl, dass er unglaublich dankbar war für unseren Einsatz. Er hat das alles wohl als sehr professionell empfunden und auch von den anderen Staatschefs nur Gutes über unsere Arbeit gehört. Roters: Ich habe den Bundeskanzler als sehr jovial in Erinnerung. Für ihn war das ja auch der erste große internationale Auftritt. Er wollte gerne, dass er sich  und die Bundesrepublik gut präsentieren kann. Und das alles in einer weltoffenen Atmosphäre. Granitzka: Köln hat ihm die richtigen Bilder geliefert.

Nickerchen in der Philharmonie

Nickerchen in der Philharmonie

Roters: Es war noch nicht entschieden, wie das mit Jugoslawien weitergeht. Die Staatschefs waren alle in die Philharmonie eingeladen, vorgesehen war eigentlich ein munteres Programm. Und dann hat sich irgendjemand vom Protokoll entschieden, es müsse was Ernsthaftes und Tragisches sein. Es gab eine Symphonie von Brahms, die war wirklich sehr lang und duster. Am Abend vorher waren die Staatschefs alle im „Krützche“ gewesen und haben ein bisschen länger ausgehalten, als es geplant war. Es dauerte keine Viertelstunde, bis dem ersten die Augen zufielen, dann dem nächsten. Und hinterher saß die ganze Reihe der Regierungschefs da und war fest am Schlafen. Jelzin war nicht dabei. Er war immer nur kurz zu sehen und dann war er wieder weg. Mag sein, dass das mit seinem Zustand zusammenhing. Granitzka: Jelzin ist nur einen Tag gekommen, und da war er betrunken. Ich sehe ihn heute noch über die Dom-Platte stolpern.

Hauptkommissar Möning und der Kanzler

Hauptkommissar Möning und der Kanzler

Granitzka: Günter Mönig war Hauptkommissar in der Innenstadt, ein richtiger Schutzmann „Streukooche“. Wir brauchten ihn vor allem immer dann, wenn es irgendetwas außerhalb des Protokolls gab. In den Tagen vor dem Gipfel war Günter Mönig im Hotel Maritim unterwegs, um etwas wegen der Sicherheit zu checken. Im Foyer entdeckte Günter den Bundeskanzler Gerhard Schröder. In dessen Nähe saßen Frauen, die Mönig unschwer als Damen des Gewerbes erkannte. Er ging zu Schröder und sagte: „Herr Bundeskanzler, darf ich Sie stören? Ich bin der Günter Mönig, Hauptkommissar der kölschen Polizei.“ Schröder antwortete: „Bin ich in Gefahr?“ Sagt der Mönig: „Nee, nicht in Lebensgefahr, aber wenn die Presse Sie mit diesen Damen da fotografiert, dann haben Sie außer Ihren Brioni-Anzügen noch ein weiteres Problem.“ Da guckte der Schröder und fragte: „Sind Sie wirklich Polizist?“ Der Günter zeigte ihm seinen Ausweis, und Schröder wollte wissen: „Okay, und wo gehen wir jetzt hin?“ Dann haben die einen Zug durch die Gemeinde gemacht, durch ein paar Kneipen. Und seitdem kriegte ich immer, wenn irgendwas war, vom Bundeskriminalamt die Anforderung, ich möchte bitte Günter Mönig für die Begleitung des Kanzlers abstellen. Die haben den Günter später sogar mal mit der Transall zum Geburtstag vom Kanzler in Berlin einfliegen lassen.

Nachtarbeit für die Berliner Polizei

Nachtarbeit für die Berliner Polizei

Granitzka: Die Berliner Beamten waren sowas von fürchterlich, die waren unverschämt und ruppig gegenüber der Bevölkerung. Abends sind wir rumgefahren und haben die Einsatzeinheiten besucht. Den Berlinern habe ich gesagt, dass sie super Leute wären und wir sie ab jetzt nachts einsetzen müssten, weil es dann am gefährlichsten sei. Die haben sich gefreut und sich am Ende herzlich für die gute Zusammenarbeit bedankt.

Der Blechschütze

Der Blechschütze

Granitzka: Wenn eine entsicherte Maschinenpistole auf den Boden fällt, kann es sein, dass sich Schüsse lösen. Und genau das passierte einem amerikanischen Sicherheitsbeamten, kurz nachdem die „Air Force One“ mit Bill Clinton am Flughafen Köln-Bonn gelandet war. Auf Bitten der Amerikaner haben wir das nie öffentlich gemacht. Und schon ein paar Tage später konnten sich die Amis revanchieren: Auf dem Dach des Hyatt, wo Clinton wohnte, war ein Scharfschütze vom SEK Rheinland-Pfalz positioniert. Der arme Kerl, der in der  Nacht auch noch Geburtstag hatte, stand da, als Clinton über die Deutzer Brücke gefahren wurde. Roters: Der war auf dem Rückweg von einem Konzert in der Philharmonie. Granitzka: Und als der Konvoi mitten auf der Brücke war, fielen Schüsse auf dem Hoteldach. Am nächsten Morgen kam der Sicherheitschef der Amis zu mir und fragte: „Was war denn das heute Nacht?“ Ich sagte: „Naja, dasselbe wie bei euch mit der Air Force One.“ Und auch die Amis haben das nie öffentlich gemacht. Rheinland-Pfalz wollte den Schützen sofort aus dem SEK abziehen. Ich sagte nur: „Ich bitte Sie herzlich, das nicht zu tun. Ich habe mit dem Jungen gesprochen, der ist am Boden zerstört. Und seine Kollegen werden mit den Hänseleien schon dafür sorgen, dass der nie wieder eine Waffe fallen lässt.“ Die haben den intern den „Blechschützen“ genannt. Letztlich blieb er im Dienst. Ich nehme an, der war in dem Moment einfach übermüdet oder vielleicht auch nervös. Das sind so die menschlichen Dinge, die da laufen.

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