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lit.Cologne„Köln ist laut, anarchisch, lustvoll und liebevoll“

Lesezeit 5 Minuten
Bibiana Beglau fuhr mit dem Shuttle vom Wasserturm-Hotel zum Literaturschiff.

Bibiana Beglau fuhr mit dem Shuttle vom Wasserturm-Hotel zum Literaturschiff.

Köln – Im Kölner Wasserturm-Hotel tummeln sich Menschen, die man schon mal gesehen hat, als Mörder, Kommissare, Verrückte, Banker im Fernsehen, auf Buchrücken oder Lesungen. Vor dem Hotel warten Limousinen, keine Luxusklassen, eher Avantgarde, Elektroautos von Renault. Bibiana Beglau, „Hi, ich bin die Bibi“, raucht noch schnell zwei, bevor es ins Shuttle geht.

Ihren neuen Kinofilm „1000 Arten, Regen zu beschreiben“, mit Bjarne Mädel gedreht in einem Kölner Vorort, „unbedingt erwähnen, sonst sag ich kein Wort“, lacht sie. Gleich liest Bibiana Beglau, die in Filmen und Theaterstücken oft abgründige Charaktere spielt und für ihre intensiven wie extremen Darstellungen gefeiert wird, aus dem Buch „Die letzte Stunde“ von Minette Walters.

„Ich hatte solche Historienromane bislang noch nicht gelesen“, sagt sie, rauchige, nervöse, warme Stimme, „es geht um eine Frau, die während der schwarzen Pest die Gesunden von den Kranken separiert. #Metoo war da weit weg, die Frauen viel entrechteter als heute, aber es gab auch da Frauen, die sich über das Patriarchat hinweggesetzt haben“.

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Über 2000 Jahre Patriarchat

Spielt es für sie eine Rolle, ob ein Buch oder Drehbuch von einem Mann oder einer Frau geschrieben ist? „Ich kann das ja gar nicht unterscheiden, ich bin aufgewachsen mit einer Vergangenheit von über 2000 Jahren Patriarchat“, sagt Beglau. „Gehen Sie mal mit Ihrer Freundin zum Autohändler: Er wird mit Ihnen sprechen, nicht mit der Frau. Wir kennen das andere gar nicht. Wir wissen gar nicht, wie eine gleichberechtigte Welt aussieht. Eine Fantasie dafür gibt es noch nicht einmal in unseren Knochen. Umso besser ist es, wenn, wie jetzt, mal wieder die Münder aufgehen.“

Stau am Neumarkt, durchs Shuttlefenster schwappen Lärm und Stadtluft. Die Schauspielerin hat vier Jahre in Köln gelebt, während ihres ersten festen Theaterengagements in Düsseldorf hatte sie eine Wohnung gegenüber der heutigen Moschee in Ehrenfeld. Sie zeigt eine Kette, „die ist aus der Moschee, da war ich noch vor ein paar Tagen“. In Köln hat sie mit Hanno Brühl, dem 2010 verstorbenen Vater von Daniel Brühl, einen ihrer ersten Fernsehfilme gedreht („Absprung“), vor vier Jahren war sie für den Pilotfilm „Über Barbarossaplatz“ in der Stadt, ein extremer Film mit tollen Kritiken, der um 20.15 Uhr laufen sollte, der der ARD aber wohl zu extrem war. „Es war dann wohl nicht einfach, einen Sendetermin zu finden, sie haben lange gesucht.“

Film über den Barbarossaplatz 

„Über Barbarossaplatz“ bezeichneten Kritiker als Film über Köln. „Ich denke bei Köln oft an den deutschen Jazz, Jazz nicht Englisch ausgesprochen, sondern JAZZ“, sagt Beglau, „Der Sound von Köln, das ist für mich dieser JAZZ, laut, anarchisch, chaotisch, lustvoll und liebevoll, ein Ort, an dem viel Kaffee verschüttet wird, darum ging es in »Über Barbarossaplatz« auch.“ Woher dieser Sound komme? „Ich denke, es liegt auch an der großen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und dem schnellen Wiederaufbau, an der Enge der Straßen und Gassen. Das Zusammenrücken der Menschen, die kleine Struktur der Stadt, das gehört zusammen. In Köln stehe ich keine fünf Minuten im Regen an einer Haltestelle, da fragt mich jemand, ob ich nicht mitkommen wolle zum Kickern. Oder man macht was zusammen, und einer sagt: »So, dann gehen wir noch einen Schnaps trinken.« Und dann geht man noch einen Schnaps trinken.“

Goethes schwieriges Weltbild

Das Shuttle hat sechs Minuten vom Neumarkt zum Heumarkt gebraucht, „Sie haben Glück, wir werden ewig reden können“, sagt Beglau. Zur Ewigkeit passt Goethe. Sie hatte dem Dichterfürsten in einem Interview ein „enges Frauenbild“ bescheinigt – das stimme aber nicht, sagt sie, „er hatte gar keins. Gretchen und Plätzchen! Mit seiner unfassbaren Knittelversverdrängungsmacht hat Goethe ein Weltbild geprägt, dass es so eigentlich auch gar nicht gab damals. Aber durch Goethes Wirkung ist viel kleben geblieben, was dem Patriarchat reichlich Nahrung gegeben hat.“

Beglau spricht jetzt über die englische Frauenbewegung Suffragette und Madame de Staël, die in Paris Rousseau entdeckt und einen der ersten intellektuellen Salons geführt hat, die so lange oben ohne in die Oper gegangen ist, bis Napoleon es verboten hat.

„Ich hoffe, #Metoo bringt uns weiter“

Selbstbewusste, widerspenstige Frauen haben es Bibiana Beglau angetan, dabei sind ihr Geschlechter eigentlich egal. Schon als Kind der 1990er, die als Punk ihr Glück suchte, habe sie versucht, „das mit den Geschlechtern anders zu leben“. Es gebe immer den Versuch der Jugend, die Geschlechtervorstellungen der älteren Generation aufzulösen, „und wenn wir jetzt ein drittes Geschlecht akzeptieren, ist das toll, ich hoffe, es kommt noch ein viertes und fünftes dazu, und ich hoffe genauso, die #Metoo-Debatte bringt uns weiter“.

„Bin nicht im Wandschrank vergewaltigt worden“

Wie oft sie selbst schon Grenzüberschreitungen erlebt habe? „Ich bin nicht im Wandschrank vergewaltigt worden“, sagt Beglau. „Wenn irgendwelche gekränkten Herren sagen, seit #Metoo dürfen wir nicht mal mehr Witze machen, dann ist das eine Ausrede. Menschen aus dem gleichen Kulturraum wissen haargenau, wann was zu weit geht. Darf ich meiner Kollegin kein Kompliment mehr machen? Natürlich darfst du. Aber du darfst nicht sagen: Du hast so schöne Haare, da möchte ich gern mit dir schlafen. Wenn ich Ihnen das jetzt hier sage, treibt es mir die Schamesröte ins Gesicht, und so ist das bei Männern auch.“

Wunsch nach Klarheit

Das Shuttle steht jetzt vor dem Schiff, in dem Bibiana Beglau gleich lesen wird. Sie rede manchmal etwas drastisch, sagt sie, aber wenn sie jetzt sage, dass „es uns oft schwer fällt, Ja oder Nein zu sagen, wir oft Jein sagen“, dann meine sie auch sich selbst. Es könnte ja ein kleiner Vorteil herausspringen, immer bestehe die Möglichkeit des „wenn“. „Sich da genau abzuklopfen und auch die eigenen Fehlerhaftigkeiten und Konsequenzen meines Jas oder Neins zu tragen, das gehört wieder rein in die Gesellschaft, diese Klarheit. Das wünsche ich mir.“

Bibiana Beglau ist Ensemble-Mitglied am Residenztheater München und auch am Hamburger Thalia-Theater zu sehen. Sie ist Mitglied der Akademie der Künste und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Ab 29. März läuft ihr Film „1000 Arten Regen zu beschreiben“ im Kino.

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