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Türkische Schule in Köln-BuchheimViele Abmeldungen aus Angst nach Putschversuch

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Das „Dialog“-Schulzentrum in Mülheim

Das „Dialog“-Schulzentrum in Mülheim

Buchheim – Das private „Dialog“-Schulzentrum in Buchheim sieht sich wegen seiner Nähe zur Bewegung des türkischen Predigers Fethullah Gülen mit einer Welle von Abmeldungen türkischstämmiger Schüler konfrontiert. Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ gab Geschäftsführer Osman Esen die Zahl der Abgänge am Ende der Sommerferien mit „mehr als 20“ an. Das entspricht etwa fünf Prozent der insgesamt 565 Schüler.

„So etwas gab es noch nie“, sagte Esen und sprach von einer „traurigen und dramatischen Situation“. Der Jurist rechnet nach eigenen Worten mit weiteren Nachzüglern, hofft Eltern und Schüler aber gemeinsam mit der Schulleiter Stefan Völker und dessen Stellvertreterin Franziska Roth zum Bleiben bewegen zu können. Zurzeit hätten viele Angst vor Verfolgung oder zumindest vor Nachteilen bei einer Einreise in die Türkei.

Heftigen Anfeindungen von Parteigängern Erdogans

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan macht Gülen als Drahtzieher für den gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli verantwortlich. Seitdem sind Gülens Anhänger sowie vermutete Sympathisanten auch in Deutschland heftigen Anfeindungen von Parteigängern Erdogans ausgesetzt. Unmittelbar nach dem Scheitern des Putschs wurde über den mobilen Nachrichtendienst „Whatsapp“ zu einer Anti-Gülen-Kundgebung und zur Zerstörung des „Terroristenheims“ in Mülheim aufgerufen, wie aus der Antwort des Düsseldorfer Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage der CDU hervorgeht (siehe Info-Kasten).

Die Polizei habe die Verantwortlichen ermitteln können. Zu Übergriffen sei es nicht gekommen. Esen berichtete auch von persönlichen Anfeindungen gegen seine Person, die er zur Anzeige gebracht habe.

Akute Gefahren für seine Schüler oder deren Familien sieht Esen trotzdem nicht. „Wir können uns durch den deutschen Rechtsstaat gut geschützt fühlen.“ Unbegründet seien die Besorgnisse der Eltern aber nicht. Viele von ihnen müssten „um Hab und Gut in der Türkei fürchten“.

Stellungnahme im Elternbrief

Angesichts der grassierenden Verunsicherung sah sich die Schulleitung Anfang August zudem veranlasst, in einem Elternbrief Stellung zu dem Putschversuch und seinen Folgen zu nehmen. Das Schreiben betont, dass Dialog-Gymnasium und –Realschule allein dem Grundgesetz und den deutschen Schulgesetzen verpflichtet seien. Für politische oder religiöse Parteinahme gebe es keinen Platz. Den Putschversuch in der Türkei verurteilt das Schreiben „in aller Schärfe“.

Die staatlich anerkannte Ersatzschule nahm den Unterrichtsbetrieb im Jahr 2007 auf, zunächst als zweizügiges Gymnasium mit 37 Schülern. 2012 kam die Realschule hinzu. Beide sind unter einem Dach vereint und als Ganztagsschulen organisiert. 90 Prozent der Schüler haben nach Esens Angaben einen Migrationshintergrund. Sie kommen aus 13 Nationen, zum allergrößten Teil aber aus türkisch-stämmigen Familien.

Mit Stolz verweist das Schulzentrum auf eine 100-prozentige Abschlussquote als Ergebnis einer „hervorragenden Bildungsarbeit“ und des besonderen, auch außerschulischen Engagements des 70-köpfigen Pädagogen-Teams. Sie führen zwischen 93 und 95 Prozent ihrer Schüler zum Abitur, die übrigen gehen mit der Fachhochschulreife ab. Der gute Ruf der Schulen habe in den vergangenen Jahren stets zu Rekord-Anmeldungen geführt. „Deshalb tun uns die aktuellen Vorkommnisse natürlich besonders weh“, sagte Esen.

Religiöse und weltanschauliche Überzeugungen sind Privatsache

Als größte Schwierigkeit im Bemühen, die Elternschaft zu beruhigen, nannte Esen eine von der türkischen Führung gesteuerte Politik der Desinformation. „Aufklärung und objektive Berichterstattung wären nötig, sind aber nach der Gleichschaltung der türkischen Medien und den täglichen Horrormeldungen über Gülen und seine Bewegung unmöglich.“

In seiner Außendarstellung lässt das Schulzentrum jeden Hinweis auf eine Verbindung zu Gülen vermissen. Träger ist die gemeinnützige „Bildung und Perspektiven Gmbh“. „Wir sind keine Gülen-Schule“, unterstrich Esen. „Fethullah Gülen findet im Leben der Schule weder als Person noch mit seinen Ideen statt.“ Religiöse und weltanschauliche Überzeugungen seien Privatsache der rund 80 Mitarbeiter. Bei ihnen handele es sich zu etwas mehr als zwei Dritteln um Deutsche mit Migrationshintergrund. Etwa ein Drittel habe keine eigene Zuwanderungsgeschichte.

„Schulen bauen statt Moscheen“

Als Geschäftsführer und Mitbegründer des Schulzentrums bekannte Esen selbst sich ausdrücklich zu Gülen. „Meine Motivation sind Gülens Werke und Worte.“ Esen bezog sich auf Gülens Maxime „Schulen bauen statt Moscheen“. Insbesondere Menschen aus sozial benachteiligten, bildungsfernen Schichten sollten so zu selbstständigem Urteilen und Handeln befähigt werden.

Der für die Schule zuständigen Bezirksregierung in Köln liegt nach eigenen Angaben bislang keine offizielle Mitteilung über die Zahl von Abmeldungen vor. Dazu gebe es auch keine Handhabe, sagte Behördensprecher Bodo Klein.

„Selbstverständlich ist die Bezirksregierung Schülern behilflich, die auf eine öffentliche Schule wechseln wollen.“ Wie Klein weiter betonte, habe das Schulzentrum nach den Richtlinien und Lehrplänen des Landes NRW zu arbeiten. „Der schulfachlichen Aufsicht lagen bislang keine Beanstandungen vor.“

14 Übergriffe in NRW

Nach dem Scheitern des Putschs in der Türkei vom 15. Juli ist es in Nordrhein-Westfalen bisher zu 14 Angriffen unterschiedlicher Schwere gegen Institutionen der Gülen-Bewegung oder türkische Minderheiten gekommen. Diese Zahl nennt das Innenministerium als Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU im Landtag.

Die Auswertung mit Datum vom 19. August listet Delikte in der Städten Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen, Hamm, Iserlohn, Köln, Siegen und Solingen auf. Sie reichen von Steinwürfen gegen ein Seminarzentrum, eingeschlagenen Fensterscheiben eines Kulturvereins bis hin zu körperlichen Angriffen auf Teilnehmer einer pro-kurdischen Versammlung.

Die CDU-Abgeordneten Serap Güler und Gregor Golland beklagten das Fehlen eines „klaren Konzeptes“ gegen die Übergriffe. Innenminister Ralf Jäger (SPD) fordere „bei jeder Gelegenheit staatliches Durchgreifen, setzt es aber nie um“. Die Landesregierung toleriere zu viel und lasse die Täter nicht konsequent genug verfolgen. „Bei allem Verständnis für die emotionale Aufgewühltheit der türkischen Community, die sich zurecht über den gescheiterten Putsch gefreut hat: Bedrohungen, Verfolgungen oder gar Angriffe auf Andersdenkende sind absolut inakzeptabel“, so die beiden Parlamentarier. (det)

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