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Als „Straftäter“ verurteiltKöln feiert Justizopfer aus Türkei und Iran

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Menschenrechte_Şerif Çiçek

Menschenrechtsfestival im Engelhof 

Köln  – Mehrere verurteilte Straftäterinnen und Straftäter sitzen am Samstag im Porzer Engelshof auf der Bühne, dazu die Tochter einer zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilten Kölnerin und die Mutter eines Mannes aus Gießen, der wegen Terrorpropaganda zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt wurde.

Trotzdem hat Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker die Schirmherrschaft für die Veranstaltung übernommen  - und einige der vermeintlichen Straftäter im Rathaus empfangen. Trotzdem dankt Bürgermeister Andreas Wolter den Menschen auf der Bühne herzlich für Mut und Zivilcourage.

Bürgermeister: „Köln will Menschenrechtsstadt sein“

„Wir wollen eine Menschenrechtsstadt sein und dafür tun wir viel“, sagt Wolter. „Dazu gehört, dass wir uns für die Freilassung von politischen Gefangenen einsetzen.“ 

Beim 3. Festival der Solidarität treffen sich von Freitag bis Sonntag viele Betroffene von Menschenrechtsverletzungen und willkürlichen Verurteilungen in der Türkei und im Iran. Die Kölner Sängerin Hozan Cane ist da, die im Juni 2018 verhaftet, später zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde und die Türkei offenbar infolge von medialem und diplomatischen Druck im Sommer 2021 verlassen durfte. Cane kommen immer wieder die Tränen, als sie von Folter und unmenschlichen Haftbedingungen erzählt.

Ohne Wasser in einer Zelle

Kurz vor ihrer Freilassung sei sie für mehrere Tage in eine komplett dunkle Zelle gesperrt worden, ohne Wasser und Brot. Überlebt habe sie, indem sie ein Bettlaken zerrissen, zusammengeknüpft und abgeseilt habe, sodass ein Bediensteter ihr eine Flasche Wasser an das Seil binden konnte. „Bei meiner völlig unerwarteten Freilassung bin ich in einem Waldstück ausgesetzt worden und wusste nicht, wo ich bin.“

Dilan Örs floh mit Schleusern nach Deutschland

Viele der Menschen auf der Bühne haben dramatische Hafterfahrungen gemacht. Canes Tochter Dilan Örs wurde festgenommen, als sie ihre Mutter in Haft besuchen wollte. Sie kam in Untersuchungshaft, musste in Hausarrest, wurde schließlich wegen der Teilnahme an einer prokurdischen Kundgebung in Köln, für die sie in Deutschland nicht belangt wurde, zu zehn Jahren und fünf Monaten Haft verurteilt – floh aber zwischenzeitlich mit Hilfe von Schleusern nach Deutschland.

Mariam Claren erzählt von ihrer Mutter Nahid Taghavi, die am 16. Oktober 2020 in Teheran festgenommen und zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt wurde. „Wenn es verboten ist, sich für die Gleichberechtigung von Frauen, für die Bekämpfung von Armut, und gegen Korruption zu äußern, bekenne ich mich schuldig“, habe ihre Mutter vor Gericht gesagt. Momentan befindet sich ihre Mutter im Hafturlaub, weil sie krank ist. 

Im Engelshof sitzt eine Schicksalsgemeinschaft. Menschen, die es gewohnt sind, für Systemkritik in ihrem Land ihre Freiheit aufs Spiel zu setzen. Und die zum Teil auch in Deutschland diffamiert und bedroht werden – die Veranstaltung wird von Security-Leuten überwacht.

Willkürliche Verhaftungen

„Wir haben nur von unserem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht“, sagte die ehemalige NRW-Landtagsabgeordnete Hamide Akbayir (Die Linke), die die Türkei bis Januar 2022 sieben Monate lang nicht verlassen durfte, da sie „Mitglied in einer terroristischen Vereinigung“ sei. „Wir widmen unsere Veranstaltung all den Frauen, die im Iran für Freiheit und Gleichberechtigung auf die Straße gehen.“

Für eine Diskussion über die Situation der Menschenrechte in der Türkei sind auch Kritikerinnen und Kritiker des türkischen Präsidenten Erdogan aus der Türkei nach Köln gereist – in dem Wissen, ihre Freiheit damit aufs Spiel zu setzen.

Menschenrechte als Maß der Dinge? 

Von politischer Seite sind die da, die sich schon lange engagieren: Jörg Detjen von den Kölner Linken, die ehemalige Landtagsabgeordnete Lale Akgün (SPD) sowie die Bundestagsabgeordneten Frank Schwabe (SPD), Max Lucks (Die Grünen) und Gökay Akbulut (Die Linke).

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Die Hoffnung von Bürgermeister Andreas Wolter, „die Einhaltung der Menschenrechte sollte bei Beziehungen zu anderen Ländern das Maß der Dinge werden“, wird wohl eher ein frommer Wunsch bleiben.

Die Wichtigkeit von Solidarität

Der Kölner Sozialarbeiter Adil Demirci, bis Juni 2019 zehn Monate lang in der Türkei inhaftiert, war schon froh „Solidarität zu erfahren, durch Briefe, Zuspruch und Medien“. Wie wichtig Solidarität sei, könnten Außenstehende kaum ermessen: „Es geht darum, dass willkürliche Inhaftierungen und die Menschen dahinter nicht in Vergessenheit geraten.“

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