Köln früher und heuteWie sich die Kioske verändert haben – und was sie heute ausmacht

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Büdchen Marthastraße früher

Köln – Der Junge auf dem Foto scheint sich wohlzufühlen im Büdchen an der Ecke Von-Quadt-Straße/Marthastraße im Stadtteil Dellbrück. Lässig lehnt er sich in den Türrahmen und schaut der Fotografin in die Kamera. Dass die Uhr über ihm ganz anders tickt als die Uhr an der Fassade – wen kümmert’s?

In diesem Fall war es Tata Ronkholz, die im Jahr 1982 den Augenblick festhielt. In den 1970er Jahren hatte sie angefangen, Trinkhallen und Kioske in Köln, Düsseldorf und im Ruhrgebiet in Schwarz-Weiß zu fotografieren. Für sie waren die „Büdchen“, wie die kleinen Verkaufsstellen in Köln genannt werden, ein wichtiger Teil der städtischen Alltagskultur. „Mir ging es weder um einen sozialen Aspekt noch um das Design, sondern ich fühlte mich zum Alltag hingezogen. Ich wollte das Büdchen um die Ecke in seiner ganzen Liebenswürdigkeit zeigen“, sagte die 1997 verstorbene Künstlerin über ihre Arbeit.

Kölner Kioskkultur: Der „Klaaf“ ist mindestens so wichtig wie der Einkauf

Die Kölner Büdchen sind längst zu einem Mythos geworden. „Am Bickendorfer Büdche, da käuf dä Jupp sing Brütche beim Lisbeth en enem Tütche, dat hät e lecker Schnütche“, singen die Bläck Fööss. Die Kölschband arbeitet fein heraus, dass es im Kiosk beileibe nicht nur um den Erwerb von Genussmitteln zu den verrücktesten Tages- und Nachtzeiten geht.

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Mindestens ebenso wichtig ist der „Klaaf“, das Schwätzchen zwischendurch. Oder sogar mehr: „Jeden Dach dräump dä Jupp dovun, dat et hück flupp, denn dä Jupp es zick Johre schon jeck op dat Lisbeth.“ Jupp würde also allzu gern mit Lisbeth vom Kiosk anbändeln. Doch im Lied bleibt es beim Traum.

Rentner, Studenten und Manager am selben Ort

Anders als Tata Ronkholz hat sich Marco Hemmerling für den Kiosk als sozialen Ort interessiert. Der Professor für Architektur an der Technischen Hochschule Köln hat zusammen mit Studierenden Kölner Kioske über einen längeren Zeitraum beobachtet, um herauszufiltern, was sie für die Menschen bedeuten. Die Ergebnisse sind in das Buch „Kiosk Parcours“ eingeflossen.

„In unserem Buch haben wir versucht, die Aufmerksamkeit auf die Kioskkultur zu richten, der ja eine der wenigen sozialen Orte noch ist, der niederschwellig für alle Milieus funktioniert“, sagt Marco Hemmerling. Soll heißen: Im Büdchen treffen sie alle aufeinander – Rentner, Studenten oder Manager. Und dem Mann oder der Frau hinter der Theke vertrauen sie die persönlichsten Dinge an. „So mancher Kioskbetreiber ist Bewahrer intimster Geheimnisse seiner Kunden“, sagt Marco Hemmerling. Bei aller Intimität bleibe der Kioskbesuch aber immer unverbindlich.

Drei Büdchen-Typen 

Drei Büdchen-Typen haben die Kiosk-Experten ausgemacht: das freistehende Büdchen, das weit verbreitete Ladenlokal und das Büdchen, wo der Kunde aus einem Fenster heraus bedient wird. Neben dem „klassischen unprätentiösen Kiosk ohne Design-Anspruch“ verbreitet sich laut Hemmerling die durchgestylte Variante, wo Latte macchiato mit Hafermilch im Designambiente kredenzt wird anstatt Filterkaffee aus der Thermoskanne.

Von diesem Typus ist der Experte weniger überzeugt, entferne er sich doch vom eigentlichen Wesen des Büdchens als Schmelztiegel, in dem Zufall und Offenheit regieren anstatt Planung und Abgrenzung: „Das sind hippe Treffpunkte für eine bestimmte Zielgruppe, nicht mehr für die Oma von nebenan.“ Für Marco Hemmerling steht fest: Das Büdchen ist als Habitat für den Großstadtmenschen und identitätsstiftender Treffpunkt im Quartier eine schützenswerte Art. Sogar bürgerschaftliches Engagement lasse sich über diese Orte aktivieren. In Köln sei die Büdchendichte mit rund 1000 Exemplaren zwar noch immer sehr groß. Dennoch sei diese Art gefährdet. Vor allem Supermärkte mit Öffnungszeiten bis Mitternacht machten ihnen das Leben schwer.

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Schon Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Köln die ersten Verkaufsstände. Damals standen sie wie Gartenpavillons vor allem an den Flaniermeilen und in Parknähe. Als Wegbereiter des modernen Büdchens gelten die Getränke- und Lottokioske, die der Getränkeunternehmer Carl Nebgen in den 1950er und 1960er Jahren aufbaute. Sie bestanden aus Holz und füllten nach dem Krieg die vielen Baulücken in den Straßenzügen.

Heute bieten die Kioske alles, was zum täglichen Leben gebraucht wird. „Entscheidend ist aber, dass die Produktauswahl auf die jeweilige Klientel im Quartier ausgerichtet ist“, sagt Marco Hemmerling. Kioske seien, anders als Supermarktketten, äußerst anpassungsfähig: „Manche Kioskbesitzer erledigen sogar die Steuererklärung für die Kunden.“

„Es wird anonymer, denn dann kommt meistens der nächste Handyladen“

Wenn ein Kiosk schließe, wie es auch an der Ecke Von-Quadt-Straße und Marthastraße irgendwann der Fall war, gehe in der Regel ein Stück Identität und Vertrautheit eines Quartiers verloren, sagt der 50-Jährige: „Es wird anonymer, denn dann kommt meistens der nächste Handyladen.“ Die Stadt müsse deshalb mehr tun, um die Kioskkultur am Leben zu halten.

Tata Ronkholz hielt nicht nur den Charme vieler Kölner Büdchen fest, sondern auch Industrietore und den Düsseldorfer Rheinhafen kurz vor seiner Umgestaltung zum Medienhafen. Die Vergänglichkeit ihrer Motive war ihr dabei stets bewusst. „Diese wunderbare Welt ist längst nicht mehr da. Ich wollte sie festhalten, bevor alles abgerissen und weg war.“

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