Ehemalige Prostituierte berichtet„Ohne Eva wäre ich im Puff gestorben“

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Prostituierte von hinten_bearbeitet

  • Für unsere Serie „Köln im Rotlicht“ sind unsere Reporter in die Rotlicht-Szene eingetaucht, haben mit Prostituierten, Freiern, Zuhältern und Bordellchefs gesprochen.
  • Folge 17: Lena kam aus Albanien nach Deutschland. Prostitution kannte sie nur aus dem Fernsehen. Dann lernte sie einen Mann aus dem Milieu kennen.
  • Mehr als zehn Jahre arbeitete sie als Prostituierte. Es war eine Zeit voller Gewalt, Drogen und Angst – bis ihr der Ausstieg gelang..

Köln – Mehr als zehn Jahre hat Lena als Prostituierte gearbeitet. Ihre Zuhälter schlugen und bedrohten sie, die Freier ertrug sie nur mit Hilfe von Alkohol und Drogen. Jetzt sitzt Lena in einem belebten Café im Rechtsrheinischen, manchmal sucht sie den Blickkontakt zu Eva, die ihr geholfen hat, aus der Szene auszusteigen – und die wie Lena nicht mit ihrem richtigen Namen genannt werden will. Eva arbeitet für den Verein Sisters, der Frauen berät, die aus dem Milieu aussteigen wollen. Lenas Geschichte veröffentlichen wir in einem Wortprotokoll. -> Hier: Alle 20 Folgen der Serie „Köln im Rotlicht“ im Überblick!

Als ich aus Mazedonien nach Deutschland kam, kannte ich Prostitution nur aus dem Fernsehen. Ich habe einen Mann aus dem Milieu kennengelernt, muskulös, männlich, wie ich Männer mochte; wir waren zusammen. Irgendwann begann er, mich zu überreden: Ob ich nicht mal probieren wolle, im Bordell zu arbeiten. So könnten wir zusammen reich werden. Ich kannte es von zu Hause, mich dem Mann unterzuordnen. In der Familie haben wir gemacht, was der Vater sagte. Sonst gab es Ärger. Ich dachte: Vielleicht muss das so sein. War naiv. Und habe angefangen, in einem Laufhaus zu arbeiten, im Ruhrgebiet, irgendwann in Köln. Mein Freund hat mehrmals pro Woche das Geld kassiert. Irgendwann erfuhr ich, dass er noch mehrere andere Frauen hat, die für ihn arbeiten.

Lesen Sie hier alle bereits erschienenen Folgen von „Köln im Rotlicht – Das Geschäft mit der Prostitution“ ->

Irgendwann hat er mir vorgeworfen, dass ich Geld verstecke. Er kam in unsere Wohnung, fragte mich nach dem Geld. Als ich sagte, dass ich nichts verdient hatte, nahm er meinen Kopf und steckte ihn in die volle Badewanne. Ich dachte, er ertränkt mich. Danach hat er mir mit der Pistole gegen den Kopf geschlagen und mit einem Besenstiel so lange gegen die Kniescheibe geschlagen, bis sie rausgesprungen ist. Ich habe ihm versprochen, mehr Geld zu verdienen. Habe ein Taxi genommen und bin zurück in ein Kölner Bordell gefahren, wo ich damals gearbeitet habe. Dort gab man mir ein paar Tage frei. Ein paar Wochen später kam der Typ in mein Zimmer, suchte wieder Geld und schlug mich. Ich sagte ihm, dass ich Fotos von ihm hätte und ihn anzeigen würde – er drohte mir noch mit einem Sex-Video, das er meiner Familie schicken wollte, meldete sich aber nicht mehr. Er hatte wohl Angst vor der Anzeige.

„Ich war nur zum Einkaufen draußen“

Das war der Anfang. Ich habe weiter gearbeitet, und immer mehr Drogen genommen. Sonst hältst Du das nicht aus. Irgendwann lernte ich einen Typen kennen, der fast noch schlimmer war als der erste Zuhälter. Dann einen deutschen Bodyguard, da dachte ich: Ok, ein Deutscher, der ist korrekter. War er nicht: Er hat mir auch alles Geld abgenommen. Bis ich das gemeldet habe – da haben sich Typen aus dem Milieu den Kerl vorgeknöpft.

Ich habe mehrere Jahre in einem Bordell gelebt und war nur zum Einkaufen draußen. Man lernt dann keine anderen Leute mehr kennen als andere Frauen, Kunden und das Personal dort. Irgendwann kam Eva und schenkte mir einen Muffin. Ich wollte anfangs nichts erzählen, konnte mich auch an wenig erinnern, hatte wahrscheinlich alles verdrängt. Irgendwann ging es doch, auch wenn ich über Vieles bis heute nicht gern spreche. Eva ist mein Schutzengel. Ohne sie wäre ich im Puff gestorben, glaube ich. Oder ich hätte mich umgebracht. Sie ist mit mir zum Ausländeramt gegangen – ich hatte meinen Aufenthaltsstatus verloren – rief bei der Krankenkasse an, half mir eine Meldeadresse zu finden, regelte Dinge mit dem Finanzamt.

Glossar

Agisra

Die „Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung“ in Köln ist seit 1993 eine Beratungs- und Informationsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen. Agisra unterstützt zum Beispiel Frauen, die von Gewalt, Sexismus oder Rassismus betroffen sind, die Sozialarbeiterinnen reden mit Frauen auf dem Straßenstrich, am Eigelstein und in Bordellen. Der Verein sitzt in der Bolzengasse in der Altstadt, Telefon 0221/124019.

Escort

Begleit-Agenturen oder Escort-Agenturen vermitteln Frauen, seltener auch Männer, gegen Honorar für eine vereinbarte Zeit. Die Agenturen dienen als Dienstleister und kassieren eine Provision von den Frauen, die oft zwischen 25 und 35 Prozent liegt. Die Preise für die meistens auch sexuellen Dienstleistungen schwanken, liegen aber nur selten unter 200 Euro pro Stunde und 1500 Euro pro Tag. Viele ihrer Mitarbeiterinnen seien Studentinnen, berichtet eine Kölner Agentur-Chefin. Eine vom Studienkolleg zu Berlin veröffentlichte Umfrage ergab, dass 3,7 Prozent aller Berliner Studierenden als Sexarbeiter im weiteren Sinne tätig sei. Verbände und Behörden gehen davon aus, dass der Großteil der im Escort-Bereich tätigen Frauen freiwillig dort arbeitet.

Hurenpass

Im Juli 2017 ist bundesweit das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten. Seitdem müssen Prostituierte einen speziellen Ausweis bei sich tragen, den so genannten Hurenpass. Diese Anmeldebescheinigung, die regelmäßig verlängert werden muss, ist mit Namen, Meldeadresse und einem Foto versehen. Viele Sexarbeiterinnen weigern sich, ihre Anonymität aufzugeben und den Pass zu beantragen – sie fürchten unter anderem Repressionen in ihren Heimatstaaten, in denen Prostitution unter Strafe steht. 

Laufhaus

In einem meist mehrstöckigen Laufhaus mieten Prostituierte Zimmer an. Wenn sie auf Freier warten, stehen ihre Türen offen. Der Kunde streift durch die Flure und kommt mit den Frauen ins Gespräch, die vor oder in ihren Zimmern sitzen. Welche Leistungen sie anbieten und welche Preise sie dafür verlangen, bestimmen die Frauen selbst, nicht der Laufhaus-Betreiber. Er kassiert von ihnen nur die tägliche oder monatliche Miete. Der Eintritt in ein Laufhaus ist meistens frei. Wie viele der Frauen tatsächlich selbstbestimmt arbeiten und wie viele ihre Einnahmen an einen Zuhälter abtreten müssen, ist unklar.

Loverboys

Zuhälter, die vor allem Minderjährige und junge Frauen in Clubs und im Internet ansprechen. Sie täuschen ihnen die große Liebe vor, entfremden sie aber tatsächlich von Freunden und Familie und zwingen sie in die Prostitution. Laut Polizeierkenntnissen sind Loverboys in aller Regel Einzeltäter, die oft mehrere Frauen parallel haben, ohne dass die Opfer voneinander wissen. 

Menschenhandel

Eine Straftat, auf die zwischen sechs Monate und zehn Jahre Gefängnis steht. Unter Menschenhandel versteht das Gesetz jede Form des Anwerbens, Transports oder Beherbergens von Menschen, um sie auszubeuten – zum Beispiel in der Prostitution, durch Bettelei oder Zwangsarbeit. 

Poppers

Slang für eine flüssige, nicht verbotene Droge, die in kleinen Ampullen vertrieben wird und beim Öffnen ploppt. Poppers sollen stark gefäßerweiternd, aphrodisierend, muskelentspannend und schmerzhemmend wirken – und damit helfen, den Geschlechtsverkehr zu verlängern. Werden in fast allen Bordellen verkauft. Können zu Herzrasen, Übelkeit, Erbrechen und Sehstörungen führen, blutdrucksenkende Potenzmittel verstärken die Wirkung.

Prostituiertenschutzgesetz

Seit 1. Juli 2017 ist ein neues Prostituiertenschutzgesetz in Kraft. Es beinhaltet unter anderem die Verpflichtung eines so genannten „Hurenausweises“. Betreiber von Bordellen benötigen eine Erlaubnis und dürfen sich zuvor nicht im Bereich Menschenhandel/Prostitution strafbar gemacht haben. Das Gesetz sieht auch eine Kondompflicht für Freier und eine Gesundheits- und Ausstiegsberatung für Sexarbeiter/innen vor.  Sexarbeiterinnen dürfen seit Inkrafttreten des P. nicht mehr in dem Raum schlafen, in dem sie ihre Dienstleistungen anbieten – Bordellbetreiber müssen getrennte Schlaf- und Waschräume anbieten. Das Gesetz soll Sexarbeiter/innen vor Zwangsprostitution, ungeschütztem und gewalttätigem Sex schützen. Interessenverbände und Beratungsstellen kritisieren das Gesetz: Die meisten Prostituierten, die nicht freiwillig arbeiten, würden weiterhin nicht erreicht. Die Sorge, mit einem Hurenausweis identifiziert werden zu können, treibe viele Frauen in die Illegalität.

Das Gesetz hat für Prostituierte in NRW auch positive Effekte, resümiert die Prostituierten-Beratungseinrichtung Kober.  So habe sich die Hygiene in vielen Häusern verbessert, auch die Rückzugsmöglichkeiten, Aufenthaltsräume und Beratungen wurden von vielen Frauen als hilfreich beschrieben. Die in vielen Sprachen abrufbare Lola-App unterstützt demnach viele  Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, um sich besser über ihre Rechte, Krankenversicherung, Prävention und Beratungsangebote zu informieren. 

Saunaclub/FKK-Club

Die Gäste bewegen sich im Handtuch oder Bademantel durch den Club. Im Eintrittspreis enthalten sind oft Getränke und Speisen. Neben Sauna und Dampfbad gibt es meist eine Bar und separate Bereiche, in denen männliche Besucher mit Prostituierten ins Gespräch kommen. Die Einnahmen werden zwischen der Frau und dem Clubbetreiber aufgeteilt. Die Frauen sind entweder festangestellt, oder sie arbeiten auf eigene Rechnung beziehungsweise für einen Zuhälter, der sie häufig zum Club bringt und wieder abholt. Insider gehen davon aus, dass ein Großteil der Frauen in den Clubs nicht unabhängig von Zuhältern arbeitet.

Sexarbeit/Prostitution

Sexarbeit und Prostitution sind nicht dasselbe. Sexarbeit ist der neutralere Begriff, er beinhaltet keine negative Bewertung. Eine Sexarbeiterin ist eine Dienstleisterin, die einen sexuellen Service anbietet, um damit Geld zu verdienen. Das Wort Prostitution ist negativ belegt: Im Lateinischen bedeutet es, etwas „nach vorne zu stellen“ – sich preiszugeben oder auszustellen. Prostitution wird verbunden mit einem patriarchalen System –  Bordellen, Zuhältern und Freiern, die die Regeln diktieren. Bei einer Frau, die auf den Straßenstrich geht, um ihre Drogensucht zu finanzieren, würde man eher von einer Prostituierten sprechen, bei einer Frau, die sich mit Escort-Service ihren Lebensunterhalt verdient, eher von Sexarbeiterin. Bei einer jungen Frau aus Osteuropa, die im Bordell Sex anbietet, ist die Unterscheidung schwieriger – wenn sie dort arbeitet, um die Existenz ihrer Familie zu sichern, spräche man von Sexarbeit, würde sie von ihrem Vater oder Bruder unter Druck gesetzt, anschaffen zu gehen, von Prostitution. 

Sozialdienst katholischer Frauen (SkF)

Anlaufstelle im Caritasverband für Frauen und Familien in Not. Seit mehr als hundert Jahren engagiert sich der SkF in Köln für Prostituierte, informiert sie über Rechte und Pflichten, unterstützt sie bei Sorgen in Familie und Partnerschaft und hilft den Frauen beim Ausstieg, wenn sie das wünschen. Die  Geschäftsstelle ist am Mauritiussteinweg in der Innenstadt, Telefon 0221/12695-0.

Verrichtungsbox

Garagenähnliche Boxen auf dem Straßenstrich an der Geestemünder Straße in Niehl. Das fußballfeldgroße, eingezäunte Gelände eröffnete im Oktober 2001. Freier fahren dort zunächst durch eine Kontaktzone und dann mit den Frauen in eine der acht Boxen, die in einer alten Scheune untergebracht sind. Es gibt auch Container für Fußgänger oder Radfahrer. In jeder Verrichtungsbox ist ein Alarmknopf an der Wand. Während der Öffnungszeiten sind Sozialarbeiter auf dem Gelände anwesend, Ordnungsamt und Polizei kontrollieren das Gelände regelmäßig.

Weißer Ring

Hilfsorganisation für Menschen, die in Deutschland Opfer von Kriminalität geworden sind. Die ehrenamtlichen Betreuer beraten auch immer wieder Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution, unterstützen sie bei der Suche nach spezialisierten Rechtsanwälten, bei der Beantragung einer lebenslangen Opferrente oder mit der Zahlung einmaliger Soforthilfen bis zu 300 Euro. Zentrale Anlaufstelle auch für Menschen in Köln ist das Landesbüro in Düren, Telefon 02421/16622.

Zwangsprostitution

Eine besondere Form der Ausbeutung und seit 2016 ein eigener Straftatbestand neben dem Menschenhandel. Vor 2016 war der Begriff rechtlich nicht definiert. Bei Verurteilung drohen dem Täter zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Haft. Die meisten Opfer stammen aus Deutschland sowie aus Ost- und Südosteuropa. Häufig werden die Frauen angeworben, indem der Täter ihnen eine legale Arbeit etwa in der Gastronomie oder Hotellerie verspricht.

Geholfen hat mir vor fünf Jahren auch, dass ich schwanger wurde – von meinem neuen Freund, der mit dem Milieu nichts zu tun hat. Seitdem bin ich für meine Tochter da, das ist meine Aufgabe jetzt. Inzwischen habe ich noch einen kleinen Sohn bekommen. Wenn ich Probleme mit den Behörden habe oder andere Sorgen, spreche ich mit Eva. Ich habe noch keinen neuen Job, aber ich will nie mehr zurück ins Milieu. Hoffentlich schaffe ich das. Protokoll: Uli Kreikebaum  

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