Steigende Mieten befürchtet20er Jahre Altbauten müssen Neubauten weichen

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Der Block an der Ecke Palanterstraße/Marsiliusstraße soll 2019 abgebrochen werden.

Der Block an der Ecke Palanterstraße/Marsiliusstraße soll 2019 abgebrochen werden.

Köln-Sülz – Eine Kerbe in der Fassade umrahmt die Fenster, steinerne Dekoelemente verzieren die Eingänge. Die stilistische Extravaganz der 20er Jahre hat an dem Häuserblock in Sülz ihre Spuren hinterlassen. Die Gebäude an der Marsiliusstraße erzählen Geschichte, auch die von Solidarität und einem Zusammenhalt, so eng, wie die Häuser sich aneinanderreihen. Sie gehören zu den ersten Wohngebäuden, die die Sülzer Siedlungsgenossenschaft, heute GWG, errichtete.

Der Katholische Arbeiterverein Sülz hatte sie kurz zuvor gegründet. Grund war die Wohnungsnot in der wirtschaftlich schweren Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und der Wunsch, bezahlbaren Wohnraum für alle Bevölkerungsschichten zu schaffen. So ist es auf der Internetseite der GWG zu lesen.

Knapp ein Jahrhundert später lässt die Genossenschaft das Ergebnis ihres sozialen Engagements abbrechen. 2019 sollen die Bagger kommen. Das Schweizer Architekturbüro Duplex wird an der Marsilius- und Palanterstraße moderne Wohngebäude erreichten. Mehr Wohnungen werden darin nicht entstehen. Sie werden dafür größer – und als Neubauwohnungen auch teurer.

Mängel an der Bausubstanz

Der Grund für den Abriss des Gebäuderiegels nicht lange nach der Sanierung im Jahr 2000 sind laut der Genossenschaft Mängel an der Bausubstanz. „Die Wohnhäuser stehen dort, wo sich früher eine Ziegelei befand. Sie sind auf Ziegelschutt errichtet“, sagt Heinz-Günter Boos, Vorstandsmitglied der GWG Sülz. „Zwei Häuser weisen Senkungsschäden auf.“ Einige Wohnzimmer hätten schräge Böden, die Stürze unter den Fenstern seien abgesenkt. Die Decken seien aus Holz, die Wohnungen zu klein, die Flure zu eng. Der gesamte Gebäuderiegel ließe sich mit vernünftigem Aufwand nicht mehr modernisieren.

Doch nicht alle Architekturbüros, die an dem von der Genossenschaft ausgeschriebenen Wettbewerb teilnahmen, halten einen Abbruch für die beste Lösung. Ein Münchener Büro hatte vorgeschlagen, den alten Bau zu erhalten und partiell aufzustocken. Es handele sich durchaus um qualitativ hochwertige Bausubstanz. „Das Gebäude hat einen hohen identitätsstiftenden Wert für die Geschichte der Genossenschaft und das Stadtquartier“, betonten die Architekten. Doch die auch aus Vorstandsmitgliedern der GWG bestehende Wettbewerbskommission lehnte den Vorschlag ab.

Anwohner sind argwöhnisch

Das Vorgehen liegt im Trend. Die GWG ist nicht die einzige Genossenschaft in Köln, die derzeit ihre alten Wohnhäuser abbricht. Die Wohnungsgenossenschaft von 1896 ließ gerade einen Häuserriegel am Melatengürtel in Ehrenfeld niederlegen. Die gemeinnützige Baugenossenschaft Grundstein eG wird zwei Wohngebäude an der Mannsfelder Straße abbrechen. Mancher Mieter bezweifelt, dass die Bausubstanz der Grund ist. Die Genossenschaft wolle sie durch den Abriss loswerden und durch neue Verträge an den steigenden Mieten mitverdienen, so hatten einige Bewohner an der Mannsfelder Straße und in Ehrenfeld gemutmaßt. Die Mieter der Palanterstraße in Sülz möchten sich während der noch laufenden Verhandlungen über die Mietverträge nicht äußern. Aber Anwohner sind argwöhnisch: „Jetzt möchten die Genossenschaften an den hohen Wohnungspreisen im Viertel mitverdienen“, sagt Maria Than, die an der Palanterstraße lebt.

Ein geplanter Abriss gibt dem Vermieter einen legalen Grund, langjährige Mietverträge zu kündigen. Bereits seit einiger Zeit wird den Bewohnern der GWG-Häuser an der Palanterstraße ein Auszug nahegelegt. Sie werden eine neue Wohnung im Bestand der Genossenschaft erhalten – und einen neuen Vertrag mit einem neuen Mietpreis. Für die ehemaligen Bewohner der Häuser an der Marsiliusstraße soll es trotzdem nicht wesentlich teurer werden.

„Wir bieten allen andere Wohnungen in unserem Bestand an. Wir garantieren ihnen, dass sie zwei Jahre lang dieselbe Miete zahlen wie bislang“, sagt Boos. Aber auch danach würden die Zahlungen nicht stark steigen. „Bislang zahlen die Mieter 5 bis 7 Euro pro Quadratmeter“, so Boos. In den anderen Wohnungen des Bestandes liege der Preis pro Quadratmeter lediglich bei 6,50 bis sieben Euro.

Das ist verglichen mit der mittlerweile ortsüblichen Miete sehr wenig. In der Südstadt beträgt sie laut Mietpreisspiegel 14 Euro pro Quadratmeter. In Sülz beläuft sie sich auf zwölf Euro. Der Preis für Neubauten und sanierte Wohnungen liegt noch darüber.

Ziel ist bezahlbarer Wohnraum

An dem nach Fertigstellung des Neubaus üblichen Preis für Neubauwohnungen soll sich laut Aussage auch die Miete im Haus an der Marsiliusstraße orientieren. „Es ist allerdings unser Ziel, diesen zu unterschreiten“, betont Boos. Wie hoch der Mietpreis genau sein wird, kann er noch nicht sagen. „Angesichts der gestiegenen Grundstücks- und Baukosten müssen wir einen gewissen Quadratmeterpreis nehmen, wenn wir unseren Mitgliedern noch die übliche Dividende ausschütten möchten“, sagt er. „Ziel unseres Handelns ist es aber natürlich nicht, Gewinn auszuzahlen, sondern bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Wir versuchen daher, die Mieten lange stabil zu halten und dadurch langfristig auf ein genossenschaftliches Niveau zu bringen.“

Im vom Schweizer Architekturbüro Duplex entworfenen Neubau entstehen größere Wohnungen als zuvor.

Im vom Schweizer Architekturbüro Duplex entworfenen Neubau entstehen größere Wohnungen als zuvor.

Dass die ehemaligen Mieter wieder in die Wohnungen an der Marsiulius- und Palanterstraße zurückziehen, ist kein Thema. Ihre Sorgen sind ganz andere: Sie sei froh, überhaupt eine Ersatzwohnung im Viertel angeboten bekommen zu haben, sagt eine Mieterin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Bald zieht sie um. „Ich bin mal gespannt, wo wir landen“, so die Frau.

Viele Möglichkeiten, wohin Menschen mit geringem Einkommen ausweichen können, gibt es nicht mehr. Sozial geförderter Wohnraum ist mittlerweile Mangelware. Die Genossenschaften errichten ihn, weil sie im Gegenzug günstige Darlehen erhalten. Wenn sie diese zurückgezahlt haben, fallen die Wohneinheiten aus der Sozialbindung heraus und werden freifinanzierten gleichgestellt. Die Folge sind Mietererhöhungen. In den zurückliegenden Jahren sind bundesweit viel mehr Wohnungen aus der Sozialbindung herausgefallen, als neue gebaut wurden; auch in Köln, wie die Stadtverwaltung bestätigt. „Von 2005 bis 2015 ist der Anteil des geförderten Wohnraums am Gesamtwohnungsbestand von 10,2 Prozent auf 6,8 Prozent gesunken“, sagt Jürgen Kube, stellvertretender Leiter des Wohnungsamts.

Die Verwaltung und die Politik hätten die Verknappung des Bestandes erkannt. Man versuche, der Entwicklung mit mehreren Mitteln entgegenzuwirken, wie beispielsweise dem kooperativen Baulandmodell, das Bauherren bei Projekten ab einer gewissen Größenordnung verpflichtet, 30 Prozent als sozial geförderten Wohnungsbau zu errichten. Trotz günstiger Konditionen bestehe allerdings ein zurückhaltendes Interesse von Investoren sowie ein geringes Angebot an Bauland.

„Es liegt nicht an fehlenden Fördermitteln der öffentlichen Hand“, betont Kube. Eine Hoffnung hat der Fachmann: „Wenn wir die anvisierte Zahl von 1000 neuen geförderten Wohnungen jährlich halten, wird der Bestand in den nächsten Jahren zumindest nicht kleiner werden.“

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