Kölner Ärztin über Arbeitsalltag„Wir müssen alte Menschen von der Praxis fernhalten“

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Dr. Ellen Strasser

  • Die Kölner Hausärztin Dr. Ellen Strasser erlebt jeden Tag, wie ältere Menschen in ihre Gemeinschaftspraxis kommen, als würde es keine Coronakrise geben.
  • Strasser selbst organisiert ihre Praxis in einem Zwei-Schicht-Betrieb und hat alle sozialen Begegnungen eingestellt. Sie geht noch nicht einmal selbst einkaufen.
  • Im Interview richtet sie einen dringenden Appell an alle älteren und kranken Kölne.

Frau Dr. Strasser, die Coronakrise bringt das Gesundheitssystem an seine Belastungsgrenzen. Sie arbeiten als Hausärztin in einer Gemeinschaftspraxis in Köln. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus? Wie bewerten Sie die Situation?

Dr. Ellen Strasser: Wir sehen unsere Aufgabe darin, in der Coronakrise alle alten und kranken Patienten zu ihrem eigenen Schutz von unserer Praxis fernzuhalten.

Was heißt das konkret?

Alle Termine, die sich aufschieben lassen, haben wir abgesagt. Medizinische Fragestellungen, die wir telefonisch klären können, bearbeiten wir in dieser Form. Wir haben das Glück, unsere Patienten oft seit Jahren gut zu kennen. Daher können wir Beschwerden und Fragestellungen gut einschätzen. Darüber hinaus gilt es, erreichbar zu sein. Für Patienten mit Symptomen oder solche, die Kontakt zu nachweislich infizierten Menschen hatten. Wir beraten sie aus ärztlicher Sicht, damit sie die richtigen Maßnahmen treffen können, sich zum Beispiel in häusliche Quarantäne begeben oder sich in den Infektionsschutzzentren testen lassen. Die sind eigens dafür vorgesehen.

Fühlen Sie sich überfordert? Welche Vorkehrungen haben Sie in der Praxis getroffen?

Wir haben unser Praxisteam in zwei Schichten aufgeteilt. So wollen wir sicherstellen, dass wir den Betrieb mit der anderen Besetzung aufrechterhalten können, falls jemand von uns insbesondere in der Praxis in Kontakt mit einem infizierten Patienten kommt. Um die Telefonleitungen frei zu halten, nehmen wir die Anliegen auf und rufen die Patienten über unsere Handys zurück. Wir schicken Rezepte und Krankmeldungen per Post an die Patienten oder bitten sie, junge und gesunde Menschen aus dem Bekanntenkreis zu uns zu schicken, um sie abzuholen. Die Apotheken um uns herum verfahren unseres Wissens nach genauso.

Was ist mit Ihren eigenen Sozialkontakten?

Wir selbst verzichten auf jegliche sozialen Kontakte außerhalb unserer Praxis. Dazu zählt für mich auch das Einkaufen, um mich vor möglichen Kontakten zu schützen.

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Die NRW-Landesregierung bittet seit ein paar Tagen in ihren Appellen immer wieder, dass Ältere und chronisch Kranke zu Hause bleiben und jeglichen sozialen Kontakt vermeiden sollen. Was sagen Sie dazu?

Das ist auch mein großes Anliegen und meine große Bitte. Vor allem alte und kranke Menschen müssen zu Hause bleiben und die Hilfen annehmen, die doch von so vielen Bürgern angeboten werden. Wir erleben aber tagtäglich, dass sie trotzdem noch in die Praxis kommen, um Rezepte zu holen oder sogar Termine zu machen. Wenn wir sie dann auffordern, das nicht zu tun, wird uns oft Unverständnis entgegengebracht. Es wird uns geantwortet: „Aber einkaufen gehen muss ich doch.“

Können Sie das nachvollziehen?

Ich denke, dass es insbesondere für die alten Menschen sicher besonders schwer ist, ihre Routine zu verlassen, und es oft auch schwer ist, Nachbarn oder andere Kontakte um Hilfe zu bitten. Den täglichen Gang nach draußen zu unterlassen ist für Senioren sicher eine besonders große Einschränkung. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.

Warum?

Meine Eltern sind 83 und 84 Jahre alt. Denen musste ich auch mehr als einmal sagen, dass sie nicht in den Supermarkt gehen sollen, auch wenn sie gesund sind. Weil sie sich selbst ohne Not in Gefahr bringen und dann vielleicht einen Beatmungsplatz auf einer Intensivstation blockieren. Das müssen wir doch vermeiden. Das ist die Grundidee, dass wir das Virus eindämmen und die Ansteckungsgeschwindigkeit verringern müssen, damit unser Gesundheitssystem nicht zusammenbricht.

Was kann man tun, um eine Verhaltensänderung zu bewirken?

Ich glaube, wir müssen noch mehr aufklären und diese Gruppe explizit ansprechen. Da sind noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Der Staat hat doch alle Maßnahmen ergriffen, um vor allem die alten und kranken Menschen zu schützen. Für mich ist es daher unumgänglich, dass sie sich um ihrer selbst Willen auch selbst schützen und zu Hause bleiben, damit das Gesundheitssystem nicht an seine Grenzen stößt. Da geht es vor allem um die Krankenhäuser und das Pflegepersonal. Das muss ihr Solidarbeitrag für die Gemeinschaft sein. Es ist ihre Unterstützung für die Allgemeinheit, ihre Möglichkeit zu helfen.

Kann man wirklich nur auf die Einsicht der Älteren setzen?

Meine Bitte an alle Angehörigen von Risikopatienten ist, ihnen das in aller Klarheit und Konsequenz zu vermitteln. Das ist sicher nicht leicht. Was leider oft übersehen wird: Auch Personen, die in häuslicher Gemeinschaft mit Risikopatienten leben, müssen sich beschränken und Verwandte und Bekannte bitten, die notwendigen Dinge für sie zu erledigen. Sonst gefährden sie die Menschen, mit denen sie zusammenleben. Bisher ungeregelt ist der Umgang mit Personen, die chronisch krank sind. Sie dürfen aus meiner Sicht auf keinen Fall zur Arbeit gehen. Nach meinen Informationen gibt es für diese Fälle noch keine wirklich klare Anweisung an uns Ärzte. Zum Beispiel eine Krankschreibung. Das muss dringend geschehen. Wir haben unsere ältere Mitarbeiterin, die unter einer chronischen Erkrankung leidet, zunächst im Backoffice beschäftigt und nun beurlaubt.

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