Kölner Amtsleiter im Interview„Ordnungsamt ist kein Zuckerschlecken“

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Wolfgang Büscher 1

Ordnungsamts-Chef Wolfgang Büscher im Interview

  • Der Kölner Ordnungsamts-Leiter Wolfgang Büscher geht nach mehr als 50 Jahren in verschiedenen Posten der Kölner Stadtverwaltung in den Ruhestand.
  • Zum Abschied spricht er über Humor in Besprechungen, Angriffe auf Ordnungshüter und seine Liebe zum Karneval.

Köln – Herr Büscher, nach mehr als 50 Jahren in der Kölner Stadtverwaltung kennen Sie wahrscheinlich jeden Aktendeckel und jede Schreibtischlampe. Niemand wird es besser wissen als Sie: Wie sieht er nun aus, dieser Amtsschimmel? Ganz genau weiß ich es nicht (lacht), aber der Amtsschimmel ist überall irgendwo. Leute, die immer alles verkomplizieren müssen, nicht mal fünfe gerade sein lassen wollen, gibt es natürlich, aber zum Glück nicht allzu oft. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Mitarbeiter gibt, die Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen.

Nach 50 Jahren mit einer – wie wir zu Ihren Ungunsten annehmen – 40-Stunden-Woche kommen Sie auf mehr als 80.000 Stunden Arbeit, das sind etwa fünf Millionen Minuten. In wie vielen davon haben Sie sich geärgert?

Prozentual relativ wenig, aber doch immer mal wieder, auch bis zuletzt. Die einzige Entscheidung, die ich lange Zeit nicht akzeptieren wollte, war damals meine Umsetzung als Bürgeramtsleiter nach Chorweiler. Dagegen habe ich auch geklagt und Recht bekommen. Aber am Ende musste ich feststellen: Es bringt nichts, ewig rumzujammern. Also habe ich die Entscheidung so akzeptiert. Dummerweise habe ich durch meine Klage dann nicht nur diese Versetzung, sondern auch mehr Arbeit bekommen. Wie die Dinge damals gelöst wurden, war nicht so ganz in meinem Interesse. (lacht)

Was lehrt uns das?

Manchmal einfach mal die Füße stillzuhalten.

Wie viele Minuten haben Sie sich denn stattdessen gefreut?

Tatsächlich sehr oft. Dinge verändern zu können, hat bei mir immer Zufriedenheit ausgelöst. Die spannendste Zeit waren meine 14 Monate im Amt des Oberbürgermeisters (zuerst Harry Blum, dann Fritz Schramma, d. Red.). Das war aber auch die Aufgabe, die mich am meisten gefordert hat. Unter zwölf Stunden am Tag bin ich abends nicht aus dem Büro gekommen. Das machst du auch nicht lange mit, sonst bist du ausgepowert.

Sie sind auch Karnevalist und kennen sich mit Humor aus. Wie wichtig ist Humor, um 50 Jahre in der Kölner Stadtverwaltung auszuhalten?

Moment! Karneval ist eine sehr seriöse Sache! Das nehmen wir schon ernst.

Mit Recht. Und auf der Arbeit?

Da erleichtert Humor schon ungemein. Wenn man nicht alles so ernst nimmt, wie es manche gerne hätten. Ein Motto von mir ist: „Ein Tag, an dem nicht gelacht wurde, ist ein verlorener Tag.“ Es gibt, glaube ich, keine Besprechung, an der ich teilgenommen habe, in der wir nicht über irgendetwas gelacht haben. Egal, wie ernst und traurig die Themen waren. Mit mir ging es immer locker zu. Aber manche können das nicht. Wir haben selbst auf der Beerdigung meiner Ehefrau gelacht.

Worüber?

Über vieles. Da wurden Witze gemacht, lustige Erinnerungen ausgetauscht. Aber der Alltag als Witwer war danach zuerst überhaupt nicht schön. Ich musste mit dem Verlust klarkommen, meinen kompletten Alltag neu organisieren und nebenbei den Haushalt führen. Das alles in den Griff zu kriegen nach so einem Schicksalsschlag, hat mich schon gefordert. Meinen Humor habe ich trotzdem nicht verloren.

Als Sie vor vier Jahren das Ordnungsamt übernommen haben, war die Welt noch eine andere. Corona hat die Bürgerinnen und Bürger, besonders aber Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an die Grenzen und darüber hinaus geführt. Wie sehr belastet Sie es, das Amt heute und in der Stimmungslage zu übergeben?

Wie die Stimmungslage in ein paar Jahren ist, weiß ich nicht. Aber Fakt ist, dass den Mitarbeitern viel zu oft Respektlosigkeit entgegenschlägt. Niemand hat ja den Beruf gewählt, weil man da bespuckt, beschimpft und verprügelt wird, sondern weil das eine interessante Tätigkeit ist. Und das ist sie ja nach wie vor, nur die Rahmenbedingungen haben sich verändert. Was wir machen können: Unsere Mitarbeiter schulen, dass sie mit den Situationen besser klarkommen als früher. Und das haben wir in den letzten Jahren getan und Strukturen aufgebaut, die das auch künftig ermöglichen.

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Wie oft wurden Sie in den vergangenen Monaten am Wochenende aus dem Schlaf geklingelt, weil wieder einer Ihrer Leute verletzt wurde?

Ich zähle das nicht, aber leider zu oft. Allerdings versuche ich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch klarzumachen: Ihr trefft die Entscheidungen vor Ort und ich vertraue euch. Das machen sie auch in aller Regel.

Als Corona losging, haben wir wahrscheinlich alle nicht gleich verstanden, was das für uns und unseren Alltag bedeutet. Haben Sie denn direkt begriffen, dass das die Arbeit des Ordnungsdienstes im Grunde komplett auf links drehen wird?

Nein. Wir hatten die erste Amtsleiterrunde, den Vorläufer des Corona-Krisenstabs, als es den ersten Fall in Köln gab. Da habe ich mir gedacht: Ist das nicht etwas übertrieben, was wir hier machen? Das hat sich innerhalb weniger Stunden und Tage komplett geändert. Das hat sich alles so schnell und dynamisch entwickelt, dass man gar keine Zeit hatte, darüber nachzudenken, was eigentlich vor zwei Wochen war.

Im Gesundheitsamt wurde innerhalb kürzester Zeit sehr viel Personal eingestellt, um die Kontakte nachzuverfolgen. Hätten Sie sich das auch für den Ordnungsdienst gewünscht?

Unsere Anforderungen sind so hoch, da können Sie nicht einfach von heute auf morgen Personal einstellen. Die müssen lange geschult werden und davon wollen wir auch nicht abrücken. Dazu kommt, dass die Schichtdienste gutes Personal auch abschrecken. Ordnungsamt ist kein Zuckerschlecken. Deshalb ist es für uns enorm schwer, gute Leute zu finden.

Es gab Phasen der Pandemie, in denen das Amt überlastet bis überfordert war, diesen riesigen Berg an Aufgaben mit dem geringen Personal überhaupt ansatzweise zu bewältigen. Wie oft haben Sie sich gedacht: Das geht nicht mehr, im Grunde müssen wir kapitulieren?

Mehrmals. Aber auch wenn wir 500 oder 5000 Mitarbeiter einsetzen, wäre man nie an einem Punkt, an dem man sagen kann: Jetzt ist alles abgearbeitet. Wichtig war uns, dass wir an den Hotspots Streife fahren und die Anrufe in der Leitstelle abarbeiten können. Aber auch das war leider häufig nicht möglich. Ich sage es mal drastisch: Ich war mal Leiter des Jugendamtes. Da haben wir uns gefragt: Können wir mit mehr Geld verhindern, dass es tote Kinder gibt? Die Antwort ist leider: nein. Weil man selbst mit noch so viel Personal nicht in jede Familie reinkommt und nie alles unter Kontrolle hat. Mein damaliger Beigeordneter hat mir mal gesagt: „Büscher, es gibt 80 tote Kinder im Jahr in Deutschland. Köln hat eine Million Einwohner. Du bist also statistisch gesehen einmal im Jahr dran. Sieh zu, dass du gute Strukturen schaffst und da Geld reinsteckst. Aber am Ende wird auch das nicht alles verhindern können.“

Im Umgang mit Gastronomen werden dem Ordnungsamt häufig Willkür und Schikane vorgeworfen. Ärgert Sie das?

Das ärgert mich, weil es nicht stimmt. Vieles wird aufgebauscht. Ich kenne keine einzige Mitarbeiterin und keinen einzigen Mitarbeiter, die oder der willkürlich handelt. Und mit den allermeisten Wirtinnen und Wirten in Köln läuft es absolut reibungslos, die halten sich an die Regeln, die die Politik aufgestellt hat und die wir durchsetzen müssen. Aber bei 5000 gastronomischen Betrieben in Köln gibt es nun mal 50 schwarze Schafe. Die machen uns die Arbeit und prägen das ganze Gefühl. Sie tragen alles über die Medien aus und posten wie wild, anstatt das direkte Gespräch etwa mit unserer Gastrokümmerin zu suchen.

Sie pflegen da eher einen anderen Kommunikationsstil?

Naja, ich bin eigentlich auch bekannt für eine sehr direkte Kommunikation. Manchmal tut mir das hinterher leid, aber meistens muss das einfach sein. Ich hätte sicher keine Karriere im diplomatischen Dienst gemacht. Das Problem ist, dass nicht jeder mit klaren Worten umgehen kann. Dann kommt es auch mal zum Streit. Ich nehme in den Ruhestand einen Ordner an ausgedruckten E-Mails mit nach Hause, in denen ich Beispiele für extrem schlechte Kommunikation gesammelt habe.

Haben Sie auch schon mal eine schlechte Kommunikation hingelegt?

Immer wieder mal (lacht).

Mit wem kommunizieren Sie im Ruhestand?

Ich bleibe in Rösrath in der Politik aktiv, zumindest noch diese Wahlperiode. Außerdem muss ich mich um meinen Wald im Bergischen kümmern und hoffe, mehr Zeit fürs Golfspielen zu haben. Ich möchte nicht so in den Tag reinleben und abends immer noch ungeduscht in Jogginghose herumsitzen. (lacht)

Viel Erfolg dabei.

Danke!

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