Kölner Armutsforscher„Kluft zwischen Arm und Reich könnte sich vertiefen“

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DPA Obdachloser Symbolbild

(Symbolbild)

  • Der Coronavirus hat enorme Auswirkungen auf die Kölner Wirtschaft. Arbeitnehmer werden in Kurzarbeit geschickt, Unternehmen sind vom Konkurs bedroht.
  • Aber wer genau sind die Verlierer und wer die Gewinner der Krise?
  • Politikwissenschaftler und Armutsforscher Christoph Butterwegge hat mit uns über die sozialen Folgen der Corona-Pandemie gesprochen.

Herr Butterwegge, Sie haben gesagt: Eine Krise trifft diejenigen am stärksten, die am schwächsten sind. Wer werden die Verlierer der Corona-Pandemie sein?

In erster Linie die Finanzschwächsten, weil sie auch zu den Immunschwächsten gehören. Zuerst denke ich da an Obdachlose und Wohnungslose, aber auch an Flüchtlinge und osteuropäische Werksvertragsarbeiter, die für Subunternehmen der Großschlachtereien arbeiten und in Sammelunterkünften untergebracht sind, wo das Infektionsrisiko am höchsten ist. Vergessen darf man auch Suchtkranke, Schwerstbehinderte und Pflegebedürftige nicht. Darüber hinaus gibt es mehr als eine Million alte Menschen, die ihre kleinen Renten durch einen Minijob aufbessern, fast 200.000 davon sind 75 Jahre und älter. Ist der Minijob durch Corona weggefallen, bekommen sie kein Kurzarbeitergeld. Das gilt auch für Studierende mit einem Kneipenjob auf 450-Euro-Basis. War die Gaststätte wochenlang geschlossen, konnten sie weder Kurzarbeitergeld noch Arbeitslosengeld I oder II beziehen. Empfänger von Transferleistungen haben keinen Zuschlag erhalten, obwohl die Lebensmittelpreise gestiegen sind und viele Tafeln schließen mussten, zeitweise auch viele der Ausgabestellen in Köln.

Ein Viertel der Kölner ist von Armut bedroht. Wird die Pandemie den Anteil erhöhen?

Das ist zu befürchten. Wer jetzt in Kurzarbeit oder als Kleinstunternehmer vom Konkurs bedroht ist, genießt aufgrund des Sozialschutz-Paketes I der Bundesregierung zwar einen erleichterten Zugang zu Hartz-IV-Leistungen. Die wird er aber möglicherweise längere Zeit benötigen. Von den rund zehn Millionen Kurzarbeitern, die während der ersten drei Monate nur 60 oder 67 Prozent ihres vormaligen Nettolohns bekommen, müssen viele mit Hartz IV aufstocken. Das gilt zum Beispiel für eine Verkäuferin, die sonst vielleicht gerade über die Runden gekommen ist.

Sie leben und arbeiten in Köln. Was glauben Sie, wie die Pandemie eine Kommune wie Köln verändern wird?

Die hiesigen Immobilienpreise und Miethöhen scheinen durch die Pandemie kaum unter Druck zu geraten. Menschen, die unter Verdienstausfall oder einer Insolvenz leiden, können sich eine hohe Miete, die früher vielleicht gerade noch erträglich war, nicht mehr leisten. Die deutlich wahrnehmbare Spaltung der Stadt in abgehängte und Luxusquartiere dürfte Köln demnächst noch stärker prägen. Wegen der zu erwartenden Steuerausfälle kann die Stadtverwaltung im Sozialbereich kaum noch gegensteuern. Wenn der Bund die Altschulden nicht übernimmt und keinen Rettungsschirm für die Kommunen schafft, droht unter den wachsenden Lasten ein Zerfall der sozialen, Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur.

Die Bundesregierung nimmt mehr als 1,2 Billionen Euro in die Hand, um die Folgen der Corona-Pandemie wirtschaftlich abzufedern. Sie haben den Schutzschirm verteilungspolitisch unausgewogen genannt. Warum?

Selbst bei den zwei Sozialschutz-Paketen der Bundesregierung wurden Obdachlose und Flüchtlinge gar nicht und Menschen im Transferleistungsbezug nur am Rande bedacht. Deshalb bleibt die Spaltung der Gesellschaft bestehen, wenn sich die Kluft zwischen Arm und Reich nicht sogar vertieft. Frühere Pandemien wie die mittelalterliche Pest haben sozial ausgleichend gewirkt. Weil viele Menschen verstarben, sanken die Boden-, Immobilien- und Nahrungsmittelpreise, während die Löhne stiegen, weil Arbeitskräfte fehlten. Meine These ist, dass dies in der jetzigen Corona-Krise anders sein wird. Denn zumindest einige Reiche werden am Ende noch reicher und die Armen zahlreicher sein. Spekulanten haben an den Aktienmärkten auf sinkende Kurse gewettet, und bestimmte Branchen, die Digitalwirtschaft, Internetkonzerne und Online-Handel, profitieren von der Krise. Hingegen wird es im Kellergeschoss der Gesellschaft noch ungemütlicher, zumal sich die Verteilungskämpfe verschärfen dürften.

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Man fragt sich, wer die Rettungsschirme bezahlen soll. Was glauben Sie?

Diese Frage ist von überragender Bedeutung für die weitere Entwicklung unseres Landes. Es gibt im Wesentlichen drei Möglichkeiten: Erstens kann sich der Staat höher verschulden. Das ist angebracht, aber nicht unbegrenzt möglich. Die zweite Möglichkeit besteht darin, den Sozialstaat zur Ader zu lassen. Das würde in erster Linie die Armen und Kommunen wie Köln treffen, die bereits überschuldet sind. Sie erleiden Ausfälle bei der Gewerbesteuer und müssen zugleich höhere Ausgaben im sozialen Bereich schultern. Schließlich kann man Spitzenverdiener und Hochvermögende wieder stärker belasten, wofür ich plädiere.

Sie fordern einen Rettungsschirm für die Armen. Um ihn zu finanzieren, wollen Sie den Solidaritätszuschlag zu einem Corona-Soli umgestalten.

Man sollte die im Volksmund „Soli“ genannte Ergänzungsabgabe zur Einkommen-, Kapitalertrag- und Körperschaftsteuer weder ganz noch – wie vom Parlament beschlossen – zum Teil abschaffen. Im vergangenen Jahr hat sie dem Staat 19 Milliarden Euro eingebracht. Zu einem Corona-Soli umgewidmet, würde sie die Hilfsmaßnahmen des Staates zum Teil refinanzieren. Eine vierköpfige Familie muss erst ab einem Monatseinkommen von 4050 Euro einen kleinen Obolus entrichten. Dagegen würden Wohlhabende, Reiche und Hyperreiche den Löwenanteil aufbringen. Dies wäre ein Akt gesamtgesellschaftlicher Solidarität und nur gerecht, denn alle Kapital- und Gewinnsteuern wurden hierzulande in den vergangenen Jahrzehnten entweder abgeschafft wie die Gewerbekapitalsteuer und die Börsenumsatzsteuer. Oder man erhebt sie einfach nicht mehr wie die Vermögensteuer, die sogar noch im Grundgesetz steht. Kapitalertrag- und Körperschaftsteuer wurden ebenso drastisch gesenkt wie der Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer. Dadurch hat eine gigantische Umverteilung von unten nach oben stattgefunden.

Wie kann man noch gegensteuern?

Der Mindestlohn sollte möglichst bald auf zwölf Euro pro Stunde steigen. Die Tarifbindung müsste gestärkt, die Leiharbeit stärker reguliert und die sachgrundlose Befristung verboten werden. Zudem sollte das bestehende Sozialsystem zu einer solidarischen Bürgerversicherung ausgebaut werden, in die alle einbezogen sind. Selbstständige, Freiberufler, Beamte, Abgeordnete und Minister sollten auf alle Einkunftsarten Beiträge entrichten müssen – also nicht nur auf Löhne und Gehälter, wie das jetzt bei unserer Bismarck’schen Sozialversicherung der Fall ist. Schließlich kann man über eine Vermögensabgabe als Lastenausgleich wie 1952 oder eine modifizierte Reichensteuer nachdenken, die erst für Einkünfte über einer Million Euro pro Jahr erhoben würde. Wen ein Steuersatz von über 60 Prozent schreckt, der sei beruhigt: Bis 1958 lag der Spitzensteuersatz in der Bundesrepublik bei knapp 95 Prozent, weil das die Alliierten im Kontrollratsgesetz Nr. 12 verfügt hatten.

Würden die Umverteilungsmaßnahmen nicht den Gemeinsinn zerstören, der sich in der Corona-Krise zeigt, und zu einer gesellschaftlichen Zerreißprobe führen?

Deutschland ist längst eine zerrissene Republik. Noch nie war der Graben zwischen Arm und Reich so breit wie heute. Die sozioökonomische Ungleichheit führt auch zu politischer Ungleichheit, wenn nicht zu einem Höhenflug rechter Demagogen. Arme nehmen im Unterschied zu Wohlhabenden und Reichen kaum noch an Wahlen teil. So lag die Beteiligung bei der letzten Bundestagswahl am Kölnberg bei 24,3 Prozent, während im Hahnwald knapp 88,5 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben. Wenn man den sozial Benachteiligten die Kosten der Krise aufbürdet und sich bei ihnen der Eindruck verstärkt, dass vor allem der Wirtschaft geholfen wird, sehe ich für die Demokratie schwarz.  

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