Kölner Chefarzt Manfred Lütz„Trump ist viel gefährlicher als ein nerviger Narzisst”

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Der Kölner Psychiater Manfred Lütz spricht im Podcast „Talk mit K“ über psychische Erkrankungen und die manchmal fatalen Folgen. 

  • Der Kölner Chefarzt und Bestseller-Autor Manfred Lütz ist für seine scharfzüngige Meinung deutschlandweit bekannt.
  • So wettert er unter anderem gegen den Fitness-Kult und Diät-Sadismus. Aber der Psychiater gibt in seinen Büchern auch bewegende Einblicke in die Welt von Süchtigen, Depressiven und Schizophrenen.
  • In seiner neuen KStA-Kolumne „Wahn und Sinn – das ganze Leben” antwortet Lütz auf Sinnfragen von Lesern.
  • Zum Auftakt haben wir ein Interview mit ihm geführt.

Köln – Herr Lütz, Sie sind Arzt, Theologe, Autor, Kabarettist – als was sind Sie am liebsten unterwegs?

Das sind alles Rollen, die einander ergänzen oder bei denen immer die eine aus der anderen hervorgegangen ist. Ich fand das Medizinstudium langweilig mit der ganzen Auswendiglernerei. Deshalb habe ich noch Philosophie und Theologie studiert. Später bei Vorträgen habe ich gemerkt, dass ein Scherz immer gut ankommt. So kam es, dass ich dann irgendwann im Kabarett aufgetreten bin, im „Senftöpfchen“ zum Beispiel oder in der „Springmaus“. Aus den Vorträgen wiederum habe ich Bücher gemacht, und als ich merkte, dass die Leute sie lesen, habe ich noch mehr Bücher geschrieben.

Ergänzende Rollen, sagen Sie – kommt der Theologe ins Spiel, wenn der Arzt mit seinem Latein am Ende ist?

Mir ist es wichtig, beide Bereiche auseinanderzuhalten. Im Krankenhaus bin ich Arzt - und Schluss. Mir ist es eher unangenehm, wenn die Leute in der Klinik wissen, dass ich Theologe und gläubiger Christ bin.

Warum?

Weil sie als Andersgläubige oder Atheisten denken könnten, ich sei ihnen gegenüber nicht neutral oder würde sie nicht so gut behandeln. Was natürlich Quatsch ist. Ich finde aber auch, dass Psychotherapie und Seelsorge streng getrennt gehören. Psychotherapie ist immer eine asymmetrische Beziehung: auf Zeit, für Geld, mit einer klaren Zielorientierung auf Heilung der Patienten. Deshalb halte ich es auch für falsch, wenn Seelsorger denken, sie müssten partout noch eine psychologische Zusatzausbildung machen, um ernstgenommen zu werden.

In manchen Kulturen ist der Gottesmann und der Medizinmann ein und dieselbe Person.

Das Bedürfnis danach erlebe ich immer wieder. Aber wenn man beide Rollen mischt, dann wird man schnell zum Guru und manipuliert die Patienten. Oft rufen mich Leute an, die einen christlichen Therapeuten suchen, denen antworte ich gewöhnlich: „Sie brauchen keinen christlichen Therapeuten, sondern einen guten Therapeuten. Gehen Sie zu Ihrem Hausarzt und fragen Sie ihn, mit welchem Therapeuten er zusammenarbeitet. Dann gehen Sie zu dem und sagen: ‚Ich bin katholisch und möchte das gerne bleiben, können Sie damit umgehen?‘ Wenn der dann sagt, er sei zwar gar nicht getauft, aber er habe da keine Vorurteile, dann bleiben Sie bei ihm!“

Über Ihre vielen Bücher haben wir schon kurz gesprochen. Was reizt Sie an der Kurzform der Kolumne?

Auch in meinen Büchern habe ich mich bemüht, komplexe Themen möglichst kurz und allgemeinverständlich darzustellen. Eine Kolumne macht es möglich, pointiert zu aktuellen Ereignissen Stellung zu nehmen und das aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Meine Frau ist Journalistin und hat mir beigebracht, dass kurze Texte immer besser sind als lange. Außerdem vertritt sie die für mich als Theologen ganz merkwürdige Auffassung, dass man immer allgemeinverständlich schreiben soll.

Der Titel „Wahn und Sinn – das ganze Leben“ Ihrer neuen Kolumne  für den „Kölner Stadt-Anzeiger” spielt mit den fließenden Übergängen von Einbildungen und Einsichten. In Ihrem Buch „Irre!“ behaupten Sie, unser Problem als Gesellschaft seien nicht die Verrückten, sondern die Normalen. Was meinen Sie damit?

Dieses Buch ist eine Einführung in Psychiatrie und Psychotherapie, und der Titel weist darauf hin, dass tatsächlich psychisch Kranke zum Beispiel weniger häufig straffällig werden als Normale. Also, hüten Sie sich vor Normalen! Die großen Verbrecher der Menschheitsgeschichte, Hitler, Stalin, die waren nicht verrückt. Die waren normal, schrecklich normal. Auch Donald Trump ist kein Narzisst, wie manche meinen. Das wäre eine Verharmlosung.

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Sondern?

Dem Mann fehlen alle moralischen Kategorien. Er hat schon von seinem Vater gelernt: Das Wichtigste im Leben ist Geld, Erfolg und der Größte zu sein. Und dafür darf man alles tun. So jemand ist viel gefährlicher als ein nerviger Narzisst. Und dagegen können Sie nichts tun, da hilft keine Therapie.

Sinn hat bei Ihnen als Katholik mit dem Glauben an Gott zu tun. Was sagen Sie denen, die genau das für einen Wahn halten?

Eigentlich diskutiere ich über Glaubensfragen am liebsten mit Atheisten. Ich sollte mal in der ARD mit Richard Dawkins diskutieren, der ein Buch mit dem Titel „Der Gotteswahn“ geschrieben hatte. Aber der hat sich dann am Ende leider nicht getraut. Es ist doch so: Die wichtigen Dinge im Leben wissen wir nicht. Sie sind nicht messbar oder im mathematischen Sinne beweisbar, wir sind ihrer vielmehr gewiss. So können Sie einem anderen Menschen nicht in diesem technischen Sinne beweisen, dass Sie ihn lieben. Aber was ist damit über Gott gesagt?

Auch der Glaube an Gott ist - wie die Liebe - etwas Existenzielles, etwas Unermessliches. Nicht umsonst bekennen die Christen, „Gott ist die Liebe“. Gottesbeweise sind wie Liebesbeweise – sie sind nicht zwingend, aber es sind die wichtigsten Beweise unseres Lebens.

Ist es in unserer Gesellschaft heute schwieriger geworden, dafür Verständnis zu gewinnen?

Es kommt mir nicht so vor. Ich halte an Gymnasien häufiger Vorträge über Gott für die Oberstufenschüler; für alle wohlgemerkt, nicht nur für die frommen. Das mündet oft in spannende Gespräche, gerade mit den Hardcore-Skeptikern, Agnostikern und Atheisten. Diese jungen Leute wollen wirklich etwas wissen, sie sind neugierig auf Argumente. Die gegenwärtige Krise der Kirche und des Christentums hängt meines Erachtens damit zusammen, dass viele Menschen nicht mehr an Gott glauben, aber in der Kirche redet kaum jemand über dieses Thema.

Was Sie unter anderem in der Kolumne tun wollen?

Aber nur am Rande. Ich bin nicht so gut darin, fromme Leute frömmer zu machen. Doch diese Gefahr besteht wohl bei den Leserinnen und Lesern des „Kölner Stadt-Anzeiger“ nicht. Gott sei Dank.

Das Gespräch führte Joachim Frank

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