Kölner Comic-Ikone wird 60 Jahre alt„Ich bin in Köln verwurzelt“

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Comic-Zeichner Ralf König.

  • Witzige Situationen im Home-Office, das Einkaufverhalten der Deutschen – Comic-Ikone Ralf König widmet den skurrilen Szenen des Corona-Alltags derzeit täglich einen Cartoon. Die Protagonisten: Seine legendären Knollennasen-Figuren Konrad und Paul.
  • König, der durch die Film-Adaption seines Comics „Der bewegte Mann“ (1994) mit Till Schweiger bekannt wurde, lebt mittlerweile seit 30 Jahren in Köln.
  • Am Samstag, 8. August, wird der Comiczeichner 60 Jahre alt.
  • Wir haben im April mit ihm im Interview über die Corona-Krise, seine Wahlheimat Köln und politische Korrektheit in der LGBTQ-Community gesprochen.
  • Ein Beitrag aus unserem Archiv.

Köln – Herr König, Ihre Comic-Figur Paul hat derzeit Frühlingsgefühle, die Hormone spielen verrückt, aber wegen der Ansteckungsgefahr kann er gerade nicht daten. „Sex ist eine Naturgewalt“, stöhnt er. In der Schwulenszene wird gerade auch diskutiert, ob man angesichts von Corona daten darf oder nicht. Wird Sex da überbewertet? Ach, ich will das Sexualverhalten der Leute weder be- noch verurteilen. Anders als damals HIV wird das alles weniger moralisch bewertet, und nicht mal Safer-Sex nützt was, wenn dir einer aufs Kondom hustet. Ich denke, die meisten gehen verantwortlich damit um. Aber klar ist Sex eine Naturgewalt! Generell kann man gar nicht genug genussvollen Sex haben. Die glücklichsten Momente im Leben waren nicht der Blick auf die Skyline von San Francisco oder der Teller mit der Paella vor der Nase, sondern die, wo ich mit Männern rumgeturnt habe, in die ich womöglich noch verknallt war.

Derzeit posten Sie auf Facebook täglich kurze Comicstrips und kommentieren auf humorvolle Weise den Alltag in der Krise. Freunden Sie sich gerade so richtig mit der Online-Welt an?

Bisher war ich mit Online-Gratis-Unterhaltung tatsächlich eher zurückhaltend. Das ist ja meine Arbeit, von der ich lebe, dazu müssen sich aber Bücher verkaufen. Ich hatte gerade ein neues Album fertig, da passierte der Shutdown. Ich war für zwei Tage ziemlich verdattert, weil mein geplantes Buch über „Political Correctness“ und die Streitereien in der Queer-Szene handeln sollte, und diese Themen zerplatzten plötzlich wie ein Luftballon. Ich hätte mich über Monate mit einer Normalität beschäftigen müssen, die es so draußen kaum noch gibt. Also habe ich in meiner Ratlosigkeit kleine Corona-Cartoons gepostet und das kam super an. Nun gibt es jeden Tag ein Comic. Das macht richtig Spaß.

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Ein großer Unterschied zu Ihrer herkömmlichen Arbeitsweise ist auch, dass Sie unmittelbar eine Reaktion der Leser erhalten.

Ja, ich sehe zwar momentan kein Geld dafür, aber Rowohlt macht später ein Buch draus, das die Leute dann hoffentlich auch kaufen. Momentan belohnt mich die erfreuliche Resonanz in den Kommentarleisten. Ich kann die Ideen gar nicht so schnell zeichnen, wie sie kommen. Da gibt es auch so eine Running-Story um einen enorm gutaussehenden Filialleiter bei Rewe, den man bisher nicht sah, der meiner Figur Paul und sämtlichen Schwulen und Frauen Kölns aber den Arsch wegreißt. Die Leser wollen den Kerl endlich sehen! Aber das ist Kopfkino, das werde ich noch genüsslich nach oben schrauben.

Klingt so, als würden Sie aus der Corona-Krise für sich das Beste rausholen.

Ich weiß um das Elend, um einsame Menschen im Altenheim, um gestresste Pfleger und um das, was in Spanien und New York passiert. Aber ich sehe mich als Humorist, wenn auch mit oft nachdenklichem Background. Und ich empfinde die entspannte Stadt gerade für mein Leben und meine Kreativität als Geschenk, das ist nun mal zwiespältig. Köln ist nicht gebaut für eine Million Menschen. Ich merke jetzt deutlicher als ohnehin, wie grundgestresst ich in der Innenstadt lebe und wie erholsam das jetzt ist, mal nicht ständig auf zu schmalen Gehwegen den Leuten ausweichen zu müssen und dazu die stark befahrenen Straßen. Ich verliebe mich gerade neu in Köln.

Hier finden Sie die wichtigsten Informationen zu den Auswirkungen des Coronavirus in Köln.

Sie leben schon seit 30 Jahren hier. Haben Sie da nie überlegt, mehr an den Stadtrand zu ziehen?

Das überlege ich gerade tatsächlich, im August werde ich 60., da sollte man die Weichen stellen, wo man das letzte Viertel seines Daseins verbringen möchte. Ich bin durch meine Lesungen viel in anderen Städten unterwegs und im Vergleich dazu ist Köln wirklich anstrengend.

Sind Sie dennoch zufrieden damit, dass Sie Köln zu ihrer Wahlheimat gemacht haben?

Ja, auf jeden Fall! Ich bin hier verwurzelt, hier leben meine Freunde. Mein Freund allerdings lebt mittlerweile in Berlin. Er arbeitet bei einem Verlag, der leider umgezogen ist.

Ein Grund für Ihren Umzug nach Köln war die Schwulenszene. Wie vernetzt sind Sie da noch?

Ich habe mit der Szene nicht so viel zu tun. Als ich noch jünger war, war ich öfters in den Kneipen und habe natürlich den CSD und den schwulen Karneval mitgemacht. Aber ich war nie so ein Vereinsmensch, der Politik in Gruppen macht. Ich schaue mir das von außen an, bei dem, was ich mache, ist das auch wichtig, denn nur der Blick von außen ermöglicht, dass man die Kuriositäten sieht. Man wird sonst schnell betriebsblind. Mein Freund wollte gern öfter mit mir einen trinken gehen, aber mir wird’s in den Kneipen oft zu eng. Und schwule Kneipen in Köln haben oft grenzwertige Musikbeschallung. Da läuft dann „Atemlos durch die Nacht“ und das nimmt mir echt den Atem. (lacht)

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Sie stammen aus Soest in Westfalen. Die Westfalen sind ja nicht gerade für Ihre offene Art bekannt…Hat Sie das Rheinland da nicht zunächst verschreckt?

Nein, ich habe die „Jeder Jeck is anders“-Philosophie der Kölner sehr genossen: Dass man einfach schwul sein konnte! In Dortmund vorher gab es da noch Gucklöcher an der Tür und man musste erst klingeln, um in die Plüsch-Bar zu kommen. Köln war 1990 schon wesentlich offener. Hier gingen Männer Arm in Arm über die Ehrenstraße und die Heteros haben nicht blöd geglotzt. Das war ein tolles, neues Lebensgefühl. Und der Karneval hat mich sowieso geflasht. Als ich den zum ersten Mal erlebt habe, wohnte ich noch in der Kyffhäuserstraße. Ich habe 20 Jahre mit Leidenschaft schwulen Karneval gefeiert. Mittlerweile allerdings auch nicht mehr: man wird ja älter. Ich krieg die notwendige Albernheit nicht mehr aus dem Keller. Und man verträgt die Drogen nicht mehr, das mit dem Knutschen hört auf. Aber so geht‘s mir auch mit dem CSD.

Repräsentiert die Ausrichtung des Christopher Street Day, der ja nun auf Oktober verschoben wird, heute noch angemessen die Belange homosexueller Menschen?

Das ist der alte, sogenannte „Tuntenstreit“, ob man besser schrill feiert oder seriös demonstriert. Ich finde, dass selbstbewusstes Feiern auch politisch ist. Wenn Mädels und Jungs oder erfreulicherweise nun auch Transpersonen, die man früher nicht so wahrgenommen hat, alle nach Köln kommen und CSD feiern, dann fahren sie mit einem stärkeren Selbstwertgefühl wieder nach Hause. Solange der CSD das leistet, ist er absolut richtig und wichtig.

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Vor Corona haben Sie an einem Buch über politische Korrektheit gearbeitet. Darin geht es auch um Debatten in der Queer-Szene und Genderpositionen. War der Anlass Ihr umstrittenes Wandgemälde am Rainbow House in Brüssel, das unter anderem eine schwarze Lesbe mit dicken Lippen zeigt?

Die Debatten beschäftigen mich schon länger, aber klar, der Streit um das Wandgemälde letztes Jahr war sehr kurios und den Vorwurf, ich hätte da eine transsexuelle Frau gezeichnet, die traurig guckt, weil sie Haare auf den Schultern hat, fand ich absurd. Ich habe nie transsexuelle Frauen gezeichnet, das ist eine übliche Drag-Queen, wie ich sie seit 40 Jahren zeichne. Ich war selbst gern Supertunte auf Partys oder im Karneval. Bei dieser Diskussion um politische Korrektheit geht es doch nicht mehr um links und rechts, sondern um alt und jung. Die jüngere Generation sieht andere Dinge als wir damals. Schwierig wird es, wenn man meine Haltung dahinter nicht sieht und das, wofür ich seit 40 Jahren stehe! Da geht es nur um dieses eine Bild, das ja wenige Jahre zuvor in Brüssel noch feierlich eingeweiht worden war: Da sieht man unter anderem eine schwarze, lebenslustige Lesbe mit dicken, rot bemalten Lippen und das ist dann gleich rassistisch. Das würde ich heute so unbedarft nicht mehr machen, aber bei mir haben alle Figuren, die Lippenstift tragen, einen Riesenmund, ob Frau, ob Tunte oder Pauls Schwester Edeltraut. Das ist Comicsprache, genauso wie ich dicke Nasen male.

Was sagt dieser Streit über unsere Zeit aus?

Das ist die Empfindlichkeit, diese herrschende Grundempörung. Sobald man etwas vermeintlich Falsches macht oder sagt, wird man direkt in eine Ecke gestellt. Ich finde das total anstrengend, weil ich mich für das neue Buch ja genau damit befassen musste. Dafür habe ich mir die Kommentarleisten unter Artikeln durchgelesen, das macht echt schlechte Laune. Zum Glück hält dieses Meinungsgezeter gerade mal die Schnauze, weil alle wegen Corona wichtigere Sorgen haben. Das finde ich sehr erholsam und ich möchte für mich aus dieser Krise ziehen, dass ich weiter meinem Bauchgefühl vertraue und mein Ding mache. Und wenn jemand sich unbedingt empören will, bitte sehr.

Wie bewerten Sie ihre eigene Rolle innerhalb der heutigen LGBTQ-Community?

Ich hab da keine große Rolle, glaube ich. Ich hatte auch nie den Anspruch. Ich weiß, dass meine Comics einen politischen Effekt haben, aber ich zeichne Comics, um gut zu unterhalten oder auch mal nachdenklich zu machen. Zur Aids-Krise habe ich auch schon Comics gezeichnet. Und damals zur Homo-Ehe. Ich mische mich also schon ein, aber aus meinem unmittelbaren Erleben heraus. Ich bin ein schwuler Mann, ich bewege mich weitgehend in meinem schwulen Bekanntenkreis. Das erlebt man ja ohnehin eher in Berlin als in Köln, dass Lesben gegen Schwule agieren, Trans* gegen Queerfeministinnen und andersrum. Ich sitze mit meinen lesbischen Freundinnen gutgelaunt bei Richard und Franz am Kaffeetisch und esse Erdbeerkuchen, wenn nicht gerade Corona ist.

Das Interview wurde Ende April 2020 im „Kölner Stadt-Anzeiger“ veröffentlicht.

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