Kölner Corona-Protokolle„Es müsste Krisenstäbe für Kultur geben“

Lesezeit 4 Minuten
CP-Koehler (1)

Die Kölner Künstlerin Marie Köhler

  • „Die Krise macht etwas mit uns“ heißt es oft. Was das ist, erfahren wir am besten, wenn wir Menschen begleiten.
  • In der Serie „Kölner Corona-Protokolle“ erzählen ab sofort regelmäßig fünf Menschen, was die Pandemie mit ihnen macht: Sie gefährdet ihre Gesundheit, ihre Freiheit, ihren Beruf und ihre Träume
  • In dieser Folge erzählt Künstlerin Marie Köhler von ihren Erlebnissen in der Krise.

Köln – Im letzten Jahr herrschte Frust, inzwischen Resignation. So erlebe ich die Stimmung unter Künstlerinnen und Künstlern und an vielen Tagen in der gesamten Gesellschaft – und auch meine eigene. Resignation und ein Gefühl mit all dem irgendwie alleine zu sein – von mir selbst kannte ich das bislang so nicht, weil ich eigentlich ein sehr optimistischer und fröhlicher Mensch bin, der immer nach Lösungen sucht.

Inzwischen ertappe ich mich immer öfter bei fatalistischen Gedanken. Ein Großteil des Kunst- und Kulturlebens findet einfach nicht mehr statt – und damit auch nicht mehr die Gespräche bei Ausstellungen, Aufführungen, Proben, die für unsere Arbeit so wichtig sind. Ich glaube, in einer Phase, in der viele Menschen müde sind und Gefahr laufen zu vereinsamen, ist es wichtiger denn je, viel zu sprechen. Wir machen das gerade einmal im Monat mit einer Gruppe von Künstler:innen, und laden immer jemanden von außerhalb ein – Menschen mit anderen Berufen. Es geht darum, andere Perspektiven kennenzulernen und zu verstehen, in seiner eigenen Blase wird man auf Dauer engstirnig und kommt nicht weiter.

„Das kulturelle Sterben hat gerade erst begonnen“

Durchhalteparolen funktionieren im freien Kulturbereich aus meiner Sicht schon lange nicht mehr: Rund die Hälfte der freien Künstlerinnen und Künstler aus meinem Dunstkreis haben umgesattelt, einige arbeiten in der Pflege oder für Paketdienste. Längst haben viele kleine Ausstellungsräume und freie Theater wegen Perspektivlosigkeit und finanziellen Schwierigkeiten für immer geschlossen. Viele Stimmen sind verstummt. Und das stimmt mich nachdenklich und traurig.

Dabei hat das kulturelle Sterben gerade erst begonnen – richtig sichtbar wird es wohl erst langfristig. Seit knapp zwei Jahren finden wenige Konzerte, Ausstellungen und Premieren statt, auf denen man bemerken könnte, was schon alles fehlt.

Die mangelnde Perspektive und immer neue (notwendige) Beschränkungen führen auch dazu, dass es insgesamt weniger neue Kunst gibt: Noch werden die alten Aufträge abgearbeitet, die dann irgendwann, vielleicht im Frühjahr oder Sommer, gezeigt werden sollen. Neue Aufträge gibt es kaum.

Ich habe bislang jedes Jahr zwei bis drei Ausstellungen gemacht. Die braucht es im Durchschnitt, um sichtbar zu bleiben. Kommendes Jahr wird nur eine Ausstellung möglich sein – und selbst die werden viele von uns nicht realisieren können, weil niemand weiß, ab wann wieder ausgestellt werden darf und die Anfragen für den Sommer und Herbst längst das Raumangebot übersteigen.

„Es braucht einen Reparationsgedanken“

Ich glaube, dass wir sehr schnell Modelle für die freie Kulturszene entwickeln müssen, die auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit ausgelegt sind. Und die berücksichtigen, dass Kultur auch rein digital professionell gezeigt werden kann. Für das diesjährige Africologne-Festival habe ich die hybride Konzeptentwicklung geleitet – also daran gearbeitet, wie Veranstaltungen digital professionell umgesetzt werden können, wenn sie live mit Publikum nicht stattfinden dürfen. Für solche Konzepte braucht es natürlich Geld – und die haben oft nur die staatlich finanzierten Player.

Wenn nicht sehr bald grundlegend umgedacht wird, werden die Städte und Kreise in Deutschland große Teile ihrer freien Kulturszene verlieren. Es braucht einen Reparationsgedanken – und einen echten Reparationswillen, sonst werden die kommerziell erfolgreichen Künstlerinnen und Künstler überleben, während die kritische, politische Kunst der freien Szene, die für gesellschaftliche Diskurse wahrscheinlich noch wichtiger, weil oft radikaler ist, auf der Strecke bleiben.

„Es müsste Krisenstäbe für Kultur geben“

In jeder Katastrophe geht etwas kaputt. Meine Hoffnung ist, dass daraus in der Kunst etwas Neues erwächst. Wie es einen Krisenstab mit Virologen und anderen Wissenschaftlerinnen gibt, der die Bundesregierung berät, müsste es Krisenstäbe für Kultur geben, auch auf Landes- und Stadtebene, mit Kunstschaffenden, die die Oberbürgermeisterinnen und Kulturdezernenten beraten. Es müssten Strategien für eine Wiederherstellung der Kulturszene entwickelt werden – auch, damit Städte wie Köln langfristig attraktiv bleiben und ihre Strahlkraft zum Beispiel für junge Menschen behalten.

Das könnte Sie auch interessieren:

Viele Künstlerinnen und Künstler sind weiterhin in dem Modus: Wir müssen irgendwie weiter durchhalten. Ich denke, wir müssen da schleunigst rausfinden und uns besser organisieren. Auch wenn es schwerfällt, weil viele von uns müde sind. Das Virus hat Kreativen in besonderer heimtückischer Weise geschadet: Seit März 2020 ist Corona der Rebell, der die Gesellschaft attackiert. Die Rolle des Rebellen hatten vorher die Kultur. Die muss jetzt schweigen, weil alle mit dem Corona-Rebellen mehr als genug zu tun haben und von ihm tagtäglich mit Nachrichten überrannt werden. Es ist nicht nur, dass wir nicht mehr ausstellen, performen, unsere Filme und Stücke zeigen dürfen: Das Coronavirus hat uns unsere Rolle als Korrektiv entrissen, das Wunden und Schwachstellen einer Gesellschaft freilegt – und zum Diskurs auffordert.

Persönlich habe ich das Glück, drei Lehraufträge zu haben, zwei an der HSD in Düsseldorf, einen an der Essener Folkwangschule. In den Seminaren rede ich viel mit jungen Menschen darüber, was Kunst leisten kann – und wozu sie auch und gerade in Krisenzeiten gebraucht wird. Die Gespräche tun unglaublich gut und geben mir Hoffnung. Ich wünsche mir fürs neue Jahr, dass wir alle viel miteinander sprechen. Auch und gerade über Kunst.

KStA abonnieren