- Den Kölner Dom kennt jeder. Aber wie gut kennen sich die Kölner wirklich aus in „ihrer“ Kathedrale?
- Jede Woche haben wir für Sie eine neue Geschichte vom Dom – erzählt von einer, für die er eine Art zweites Zuhause ist: Dombaumeisterin a.D. Barbara Schock-Werner.
- In dieser Folge geht es um die Geheimnisse der Südseite des Kölner Doms, die einem bei einem normalen Besuch der Kathedrale entgehen.
Köln – Jetzt ist wieder die Zeit, in der besonders viele Menschen den Dom mit der Weihnachtskrippe besuchen. Normalerweise. Aber was ist 2020 schon normal? Deshalb komme ich Ihnen in dieser und den nächsten Domgeschichten mit etwas, was man normalerweise nicht tut: Ich schicke sie hinters Haus.
Genauer: auf die Rückseite des Doms. Dort gibt es nämlich viel Wunderbares und Interessantes zu entdecken, was einem bei einem normalen Besuch der Kathedrale entgeht.
Beginnen möchte ich aber auf dem Roncalliplatz auf der Südseite. Hier steht nämlich zurzeit hinter dem Gitter vor der Querhausfassade die Bronzekrippe, die sonst immer in den Weihnachtsmarkt am Dom integriert ist. Die Domkrippe selbst wiederum, die Jahr für Jahr ungezählte Besucher anzieht, ist diesmal hinter den Fenstern des Römisch-Germanischen Museums zu sehen.
Große Leistung von Dombaumeister Ernst August Zwirner
Auf diese Weise weihnachtlich eingestimmt, sollten Sie sich dann einmal die Südfassade ansehen. Sie gehört zu den großen Leistungen von Dombaumeister Ernst August Zwirner (1802 bis 1861). Man darf ruhig von einer Neuerfindung Zwirners sprechen. Denn anders als für den Grundriss des Doms und die Westfassade mit den beiden Türmen, stand ihm beim Weiterbau des Doms im 19. Jahrhundert für die Südseite keine Gestaltungsvorlage aus dem Mittelalter zur Verfügung. Er hat sich deshalb der vorhandenen Formen bedient und sie zu einem so wunderbar stimmigen Ganzen gefügt, dass keiner sie als Fremdkörper empfinden oder die sechs Jahrhunderte Abstand bemerken würde, die zwischen dem gotischen Hochchor und dem neugotischen Querhaus liegen.
Na ja, „keiner“ stimmt vielleicht nicht ganz. Auf eine Inschriftentafel über dem Portal wäre das Mittelalter zum Beispiel nicht gekommen. An solchen kleinen Details erkennen Profis dann doch: Aha, das ist 19. Jahrhundert! Aber störend wirkt auch das nicht.
Christusfigur auf dem Esel beim Einzug in Jerusalem
Über der Inschrift sehen Sie – reihenweise von unten nach oben erzählt – die Passionsgeschichte. Die Christusfigur auf dem Esel beim Einzug in Jerusalem hat leider noch immer keinen Kopf. Ganz oben in der Mitte dann zum krönenden Abschluss die Auferstehung.
Auf dem Mittelgiebel ist eine strahlendweiße Kreuzblume angebracht – eine Stiftung aus der Zeit der Domvollendung im 19. Jahrhundert. Das Werkstück ist aus Kalkstein, und weil es sich an dieser Stelle so gut erhalten hatte, wurde nach 1918 entschieden, die Reparatur der Schäden, etwa am Chorstrebewerk, ebenfalls mit Kalkstein vorzunehmen. Das war leider keine ganz so gute Idee, denn der dann verwendete Krensheimer Muschelkalk war weniger widerstandsfähig als erhofft.
Missliches Kapitel Baugeschichte am Kölner Dom
Ein anderes missliches Kapitel Baugeschichte können Sie an den Gesimsen erkennen, von denen manche viel verwitterter sind als das Mauerwerk in der Umgebung: Da hat man schon im 19. Jahrhundert bei den Bauarbeiten den falschen Stein verwendet. Das Mauerwerk des Querhauses ist hauptsächlich aus Schlaitdorfer Sandstein. Weil die Gesimse nun aber bekanntermaßen die Stellen der Fassade sind, die von Wind und Wetter am meisten beansprucht werden, sollten sie aus sehr hartem und damit vermeintlich haltbarerem Stezelberger Latit geschlagen werden.
Das war – wie man sieht – ein Trugschluss. Mein Nachfolger Peter Füssenich ist jetzt dabei, die schadhaften Partien zu ersetzen, wie linker Hand schon geschehen. Der dafür verwendete helle Sandstein aus Božanov (Tschechien) ist ein sehr haltbares, aber sprödes Material. Daraus eine solch filigrane Ornamentik zu schlagen, ist eine absolute Meisterleistung.
Vereinzelte Kriegsspuren zu erkennen
An einigen alten Figuren, an der Profilierung des Portals oder auch in der Inschrift über dem Portal können Sie übrigens bei genauem Hinsehen noch vereinzelte Kriegsspuren erkennen. Ganz bestimmt aber fallen Ihnen die vielen hellen Architekturelemente und Figuren ins Auge. Damit es hat folgende Bewandtnis: Meinem Vorvorgänger Willy Weyres (1903 bis 1989) und dem Bildhauer Ewald Mataré (1887 bis 1965), die nach dem Zweiten Weltkrieg an die Reparatur der Südseite gingen, war die Fassade insgesamt viel zu plastisch.
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Mataré hätte ihr am liebsten eine Mauer vorgeblendet, um das Ganze abzuflachen. Mit dieser Idee kam er aber Gott sei Dank nicht durch. Immerhin ließ Weyres alle Außenskulpturen abnehmen – mit dem Argument, sie seien beschädigt. Für einige stimmte das, aber längst nicht für alle. Es war, ehrlich gesagt, ein Vorwand von Weyres, um seinem eigentlichen Ziel näher zu kommen, einer weniger plastischen Fassade.
Neugotik war lange Zeit verpönt
In den 1990er Jahren dann ließ mein 2019 verstorbener Vorgänger Arnold Wolff, ein entschiedener Fürsprecher der lange Zeit verpönten Neugotik, die von Weyres verbannten Figuren sorgfältig kopieren. Vielleicht erinnern Sie sich von früheren Dombesuchen, dass diese Nachbildungen über einen längeren Zeitraum hinweg im Innenraum standen, weil die zugehörigen Podeste und Baldachine noch nicht fertig waren. Gerade so ein Baldachin ist eine unglaublich schwierige Steinmetzarbeit, deutlich komplizierter als jede Figur.
Ein Könner seines Fachs ist mit so einem Baldachin gut und gern ein Jahr beschäftigt, sagt auch Peter Füssenich. So eine Mammutaufgabe überstieg die Kapazitäten selbst unserer Dombauhütte, so dass der Auftrag für einige Baldachine an französische Fremdfirmen ging. Die fertigen Skulpturen ließ Wolff mit einer konservierenden Lösung tränken. Das war ein Faible von ihm, was dazu geführt hat, dass der Stein nur sehr langsam nachdunkelt.
Farbquadrate von Gerhard Richters Querhausfenster
Als dann alles wieder an Ort und Stelle war, war die Wirkung frappierend: Mit einem Mal gewann die Fassade in einem Maße an Lebendigkeit und Tiefe, wie selbst wir Profis es nicht für möglich gehalten hätten. Wir standen davor und sagten zueinander: „Das hat sich nun wirklich gelohnt, und Arnold Wolff hat das gesehen.“ An sonnigen Tagen sehen Sie jetzt im Winter um die Mittagszeit mit der tiefstehenden Sonne sogar von außen die Farbquadrate von Gerhard Richters Querhausfenster – ein ganz besonderer Effekt. Auch deshalb haben wir uns 2005 für Richters Entwurf entschieden: Das Fenster sollte auf dem Roncalliplatz nicht bloß als spiegelnde Glasfläche erscheinen, sondern in seiner Struktur wahrnehmbar sein.
Ganz zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass unter den zurückgekehrten Figuren auch ein Bildnis der heiligen Barbara ist. Suchen Sie mal die Heilige mit dem Turm! Und der heilige Petrus, Namenspatron des Doms und meines Nachfolgers, ist natürlich auch zugegen. Das muss Fügung sein.
Aufgezeichnet von Joachim Frank