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Kölner Gebäude 9„Leute sind auf der Suche danach, was abseits von Trends passiert“

Lesezeit 7 Minuten
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Die „Gebäude 9“-Inhaber Pablo Geller (l.) und Jan van Weegen

  • Vor 24 Jahren haben Jan van Weegen und Pablo Geller das Gebäude 9 in Köln-Mülheim eröffnet. Seitdem haben dort zahlreiche Künstler und Bands Konzerte gespielt.
  • Aber es war nicht immer leicht. 2014 sollte der Club etwa dem Quartier, das drumherum entstand, weichen. Doch er blieb.
  • Wir haben mit den Inhabern über das Nachtleben auf der Schäl Sick, das geringer werdende Kulturleben in Ehrenfeld und aktuelle musikalische Trends gesprochen.

Herr Geller, Herr van Weegen, das Gebäude 9 gibt es seit 1996. Im Jahr 2014 haben Sie Ihre größte Krise durchlebt, denn der Club war gefährdet: Er sollte dem Quartier, das drumherum entsteht, weichen. Doch ein gesellschaftlicher Aufschrei mündete schließlich in seinen Erhalt. Hätten Sie am Anfang gedacht, dass Sie nach 24 Jahren hier immer noch Konzerte organisieren?

Jan van Weegen: Ganz klar, nein.

Pablo Geller: Als wir hier reinkamen, hatte das Gebäude einen ganz anderen Charakter. Wir waren zunächst mehrere Betreiber und einer von uns war ein Theaterschaffender und musikalisch aktiv. Er wollte eine Bühne für freies Theater schaffen, das hat zunächst im ersten Jahr dominiert. Wir hatten nicht den Masterplan, zumal wir immer nur kurzfristige Mietverträge hatten. Die waren damals noch vierteljährlich kündbar. Als wir anfingen Blut zu lecken und Jan das Booking übernommen und die ersten bekannteren Bands an Land gezogen hat, hat sich das verselbständigt. Wir haben nicht darüber nachgedacht. In der Gerüchteküche brodelte es aber immer: Ich hab gehört, ihr werdet bald abgerissen. Hier sah es ja auch immer so aus.

Alles zum Thema Konzerte in Köln

Das Gebäude 9 hat Anfang November nach fast einjähriger Umbauphase wieder eröffnet. Hat sich der Betrieb allmählich eingespielt?

Geller: Ja, auch wenn die Schwierigkeit darin lag, dass wir uns in sehr kurzer Zeit wieder einrichten mussten. Baustellentypisch wurde alles erst in letzter Sekunde fertig. Aber dafür ist es gut geworden. Für unsere eigene Einrichtung hatten wir einen Monat eingeplant, letztlich hat es sich auf zehn Tage verdichtet. Schön ist, dass unser Personal fast vollständig wieder dabei ist. Die Gäste sehen das auch, dass hier nicht so eine ständige Fluktuation herrscht.

Wie war der Zeitgeist für Subkultur in den Neunzigern?

van Weegen: Der ist nicht vergleichbar mit heute. Es gab viel mehr Szenen und Musikrichtungen im Underground, die alle ihre Nischen hatten, und es war möglich, Orte dafür in Köln zu finden. Heute sind die fehlenden Räume das große Problem. Aber auch die Subkulturen haben sich gewandelt. Früher spielte es eine größere Rolle, sich einer Jugendbewegung anzuschließen. Man hat sich mehr Zeit gelassen mit dem Studium und ist nicht nur am Wochenende ausgegangen. In Köln gab es auch dienstags und mittwochs Partyreihen.

Zu den Personen und zum Club

Pablo Geller (55) und Jan van Weegen (50) leben seit Anfang der Neunzigerjahre in Köln und betreiben seit 1996 gemeinsam das Gebäude 9. Hier werden Konzerte vor allem im Bereich Rock mit Schwerpunkt Indie, Punk, Metal und Post gespielt. Nach seinem Umbau ist der Club nun fester Bestandteil im neu entstehenden Kunst- und Gewerbehof „Cologneo“. Über dem Gebäude 9 soll noch eine Etage mit Künstlerateliers entstehen. Der Club wurde räumlich neu aufgeteilt und modernisiert. (gam)

Auf der Schäl Sick war man zu Beginn wohl eher ein einsamer Protagonist als Clubbetreiber. War das eher ein Vorteil oder ein Nachteil?

van Weegen: Am Anfang wurden wir recht hochnäsig von der anderen Rheinseite begutachtet, nach dem Motto, was wollt ihr da, da fährt doch niemand hin. Es gab das E-Werk und sonst nichts. Mittlerweile ist einiges dazugekommen wie das Bootshaus, die Essigfabrik, gute Kneipen in Mülheim, Kalk.

In Ehrenfeld muss das Kulturleben langsam aber sicher Wohnungen und anderen Bauten weichen. Am Grünen Weg ist nicht mehr viel übrig, Proberäume werden geschlossen... Wird Mülheim dasselbe Schicksal erleiden?

van Weegen: Auch hier auf der rechten Seite werden Flächen neu bebaut. Da ist auch schon viel passiert, wie etwa an der Schanzenstraße. Dort und hier ist es aber recht zukunftssicher konzipiert: Club Volta, Carlswerk Victoria, Palladium... Das ist gesetzt. Wir mit der neuen Sanierung sind es auch. Auch Bootshaus und Essigfabrik muss man dauerhaft in die anstehende Quartiersentwicklung integrieren. So ein Kahlschlag wie in Ehrenfeld – der ist nicht zu befürchten. Im Gegenteil hoffe ich, dass sich neue Gastronomien ansiedeln und die Flächen dadurch neu aufgewertet werden. Und nicht nur im hochpreisigen Segment, sondern auch Orte für Subkultur. Da bin ich optimistisch. 

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Herr van Weegen, Sie sind im Vorstand der Klubkomm, der Interessengemeinschaft der Kölner Clubs. Halten Sie Maßnahmen der Stadt Köln wie den Lärmschutz-Fonds für eine Stadt wie Köln für ausreichend?

van Weegen: Es wird noch mehr gemacht. Im Herbst gab es vom Amt für Wirtschaftsförderung eine Maßnahme für die Unterstützung bei technischen Verbesserungen. Das ist auch von der Klubkomm und der Lokalpoltik angeregt worden. Auch das Kulturamt hilft, bei künstlerischen Projekten sowie der Infrastruktur. Berlin und Hamburg sind finanziell besser aufgestellt. Grundsätzlich gäbe es da mehr Bedarf, wenn man das etwa mit der Filmförderung vergleicht.

Wo gingen Sie denn selbst gerne aus?

van Weegen: Mir fallen Läden ein, die es jetzt gar nicht mehr gibt: Underground natürlich, das Bel Air in Ehrenfeld, das Stecken im Belgischen Viertel. Das Belgische Viertel hatte damals noch mehr Ecken und Kanten. Da gab es Bars wie das M20 und Zappzarapp. Es gab auch noch das Rhenania, ein hoher Kellerraum, und dort trafen sich linke Konzertgruppen und namhafte Bands wie The Melvins. Ich selbst habe damals noch aufgelegt in Ehrenfeld, in der Papierfabrik zum Beispiel, und wenn man heute dort hinkommt, ist es gar nicht mehr wiederzuerkennen. Alles abgerissen.

Geller: Es ist so viel weggefallen in den letzten Jahren. Die Leute sprechen uns auch darauf an, dass sie es schön finden, dass es uns immer noch gibt.

Das Gebäude 9 gewann drei Mal den „Applaus“-Spielstätten-Programmpreis, der von der Förderplattform der Bundesregierung „Initiative Musik“ ausgelobt wird. Wie haben Sie das Gespür für ein gutes Programm entwickelt?

van Weegen: Durch jahrelange Erfahrung und durch Netzwerke: lokale, aber auch überregionale. Dazu gehören Musiker, Plattenfirmen und Agenturen. In Deutschland gibt es eigentlich nur noch eine Handvoll Labels, die gute Sachen anbieten, die für unser Programm in Frage kommen.

Geller: Über die Jahre reflektiert das Programm den Zeitgeist: Am Anfang war gerade Minimal-Elektronik und Post-Rock angesagt. Anfang der 2000er gab es diese Rockbands mit „The“ vor dem Namen wie „The White Stripes“. Danach kam die lange Singer-Songwriter-Phase mit den sensiblen Musikern mit Bärten. Es ist schön, ein Teil davon zu sein, solche Bewegungen aufzugreifen und auf die Bühne zu bringen.

Welche musikalischen Trends dominieren aktuell?

van Weegen: In den Independent-Szenen ist der große, griffige Trend gerade nicht zu erkennen. Es gab in den letzten Jahren so Neo-Folk-Sachen – ist inzwischen aber abgeebbt. Dann gab es viele deutsche Punk-Bands mit deutschen Texten wie Turbostaat oder die Berliner Band Pisse: Total-Verweigerer, die nicht bei der GEMA sind und nicht ins Radio wollen. Aber das Konzert bei uns war ausverkauft. Die Leute sind auf der Suche danach, was abseits von Medien und Trends passiert. Etwas, was cooler und eckiger ist.

Was war Ihr persönliches Konzert-Highlight?

van Weegen: Die Flaming Lips, das ist aber schon über 20 Jahre her. Die haben einfach neue Standards gesetzt. Und Arcade Fire 2005. Da hat man schon gesehen, dass die Band großes Potenzial hat, viele Leute zu begeistern.

Geller: Dann sieht man, wie solche Bands kurze Zeit später in einer ausverkauften Mitsubishi-Halle in Düsseldorf spielen. The Flaming Lips fielen mir auch als Erstes ein. Außerdem hatten wir zum Beispiel das erste Konzert der White Stripes in Deutschland.

Haben Sie da gemischte Gefühle, weil Sie denken, „ach, wir haben sie entdeckt“?

van Weegen: Die Konzerte verlieren in so großen Räumen natürlich ihren Charme, aber ich freue mich, wenn sie es schaffen, dass sie lukrativ werden und nicht nur in prekären Selbstausbeutungsverhältnissen bestehen. Diese Bands landen nicht zufällig dort, man spürt es schon vorher, dass sie die Karriere wollen.

Wo steuern Sie nun hin?

Geller: Jetzt haben wir einen langfristigen Mietvertrag. Aber es bleibt dabei, wir haben jetzt nicht den Masterplan. Es ergibt sich organisch aus dem täglichen Arbeiten und wir setzen uns keine Ziele über die nächsten zwei, drei Jahre hinaus.

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