Abo

Kölner GynäkologinDie Gesetzgebung treibt mich an den Rand der Illegalität

Lesezeit 8 Minuten
Abtreibung

Ein Ultraschallbild eines Ungeborenen in der vierten Woche

  • Generell sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland weiterhin verboten – damit müssen auch die Ärzte umgehen.
  • Ulrike B. hat mehr als tausend Schwangerschaften beendet. Am Rande des Erlaubten und dennoch aus Überzeugung.
  • Leicht fällt ihr das nicht: „Wenn Sie einen Ultraschall in der elften Woche machen und Sie sehen da ein komplett fertiges Kind, mit Ärmchen und Beinchen und sie wissen, sie müssen das jetzt aus der Gebärmutter herausholen – das tut weh, auch dem Profi.“
  • Warum tut sie es trotzdem?

Köln – Von der Straße aus geht es ein paar Treppenstufen nach oben dann durch eine Milchglastür, hinter dem Tresen steht eine Frau und lächelt: „Die Frau Doktor hat gleich Zeit für Sie. Nehmen Sie doch einen Moment im Wartezimmerplatz“. Das Wartezimmer der Kölner Frauenarzt-Praxis ist hell und groß. In einer Ecke liegen Kinderspielsachen. Hier sitzen neben freudig aufgeregten werdenden Eltern auch immer wieder Frauen, die ungeplant schwanger geworden sind – und ungewollt. Die, die sich nicht freuen. Die, die ihr Kind nicht bekommen werden.

„Ein Schwangerschaftsabbruch ist letztlich ein sozialer Akt“, sagt Ulrike B. Sie und ein Kollege führen die Praxis und bieten schon seit Jahren Schwangerschaftsabbrüche an. Ulrike B. heißt anders, will aber ihren Namen nicht in der Öffentlichkeit nennen. Zu groß ist die Angst vor Abtreibungsgegnern, die die Praxis und ihre Patientinnen belagern könnten. Sie weiß von einer Praxis, vor der wöchentlich Demonstrationen stattfanden. „Wo die Kollegen tatsächlich verfolgt wurden. Das muss ich für meinen Teil echt nicht haben.“

21.378 Frauen haben 2018 in NRW abgetrieben. Etwa 150 davon bei Ulrike B. Zu ihr kommen die unterschiedlichsten Frauen. Frauen, die alleine und überfordert sind. Frauen, die schon Kinder haben und keine mehr wollen. Frauen, die einen beruflichen Nachteil befürchten. Frauen, die psychisch labil sind. Frauen, die von Hartz IV leben. Frauen im Studium. Gebildete Frauen, junge Frauen, ältere Frauen, Frauen aus dem Ausland. „Der Schwangerschaftsabbruch ist so alt wie die Menschheit. “ Die Ärztin geht davon aus, dass Abtreibungen nicht zu verhindern sind. Sie sagt, es ist besser, die Frauen in ihrer Notlage zu unterstützen, als sie mit gefährlichen Methoden allein hantieren zu lassen.

Ulrike B. hadert mit der Gesetzgebung

In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche verboten. In Paragraf 218 des Strafgesetzbuches steht: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Eine Frau, die dennoch abtreiben will, kann bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei ausgehen, wenn sie zuvor an einem Beratungsgespräch einer anerkannten Beratungsstelle wahrgenommen hat, den Abbruch bei einem Arzt durchführen lässt und zwischen dem Beratungsgespräch und dem Abbruch mindestens drei Tage liegen. Bis vor kurzem durften Ärzte zudem nicht auf ihrer Website darauf verweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Dagegen hatte eine Frauenärztin geklagt, verloren und so eine riesige Protestwelle ausgelöst. In der es oft um weit mehr zu gehen schien, als nur das Verbot für Ärzte.

Viele Frauen forderten die Abschaffung des Paragrafen 218. Eine, die damit einverstanden wäre, ist Gabrielle Stöcker von der Profamilia-Zentrale in Köln. Sie ist selbst Frauenärztin und bietet über den Verein Beratungsgespräche an. Sie hält vor allem die Beratungspflicht für falsch. Dadurch würden viele Frauen nur wegen des Beratungsscheins kommen und nicht wegen der Beratung an sich. „Es ist unser Wunsch, dass wir die Frauen beraten, die das auch brauchen“. Frauen, die festentschlossen sind, bräuchten keine Beratung mehr.

Auch Ulrike B. hadert mit der Gesetzgebung. Sie nennt sie „unehrlich“. Dabei hat sie nichts gegen die Beratungspflicht. „Ich bin ganz froh, dass die Patientin dann auch immer die drei Tage Bedenkzeit hat. Damit sie nicht hinterher sagt, das war ein großer Fehler.“ Ulrike B. hat ein Problem mit der Illegalität, „dass ich tatsächlich etwas Verbotenes tue und nur Glück habe straffrei auszugehen, das gibt mir immer wieder zu denken“. Auch für die Patientinnen sei der Gedanke, etwas Verbotenes getan zu haben, zusätzlich belastend. Eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen mit Beibehaltung der Beratungspflicht hält sie für denkbar. Einen Abtreibungsboom fürchtet sie nicht, und verweist auf andere Länder mit weniger starken Gesetzen. Die Abtreibung drohe auch nicht zum Geschäftsmodell zu werden. „Man wird nicht reich.“

Der Eingriff dauert 15 bis 20 Minuten

Ulrike B. führt operative Schwangerschaftsabbrüche durch. Dabei weitet sie den Muttermund und saugt die Gebärmutter samt des Embryos mit einem speziellen Gerät ab. Diese Operationen werden ambulant durchgeführt und dauern 15 bis 20 Minuten. Vor jedem Eingriff muss sie die Patientinnen detailliert aufklären. Sie bekommt für einen Abbruch 240 Euro. Bei Frauen mit sehr geringem Einkommen sind es nur 106 Euro. Ihr Kollege bietet die medikamentöse Methode an. Die ist teurer: 280 Euro. Von dem Geld müssen die beiden Ärzte die Geräte bezahlen, Materialien, Miete und Mitarbeiter. „Eigentlich ist es ein Minusgeschäft.“

Frauen in Deutschland müssen einen Schwangerschaftsabbruch selbst bezahlen. Verdienen sie im Monat weniger als 1179 Euro, übernimmt in NRW das Land die Kosten, geregelt wird das über die Krankenkasse. „Schwangerschaftsabbrüche sind keine Kassenleistung“, betont Gabrielle Stöcker.

Das könnte Sie auch interessieren:

Profamilia zählt etwa 160 Ärzte in NRW, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Anspruch auf Vollständigkeit haben diese Listen nicht, denn die Ärzte seien nicht verpflichtet, sich zu melden, so Stöcker. Die Versorgungslage in NRW sei nicht gut. Besonders in ländlichen Gebieten wie der Eifel und dem Sauerland gebe es kaum Möglichkeiten für Frauen. Sie müssen weite Wege auf sich nehmen, hätten höhere Kosten, weniger Zeit, die Wahl der Methode falle weg. Eine Sorge, die das Familienministerium in NRW nicht teilt: In Nordrhein-Westfalen sei „für Frauen die Möglichkeit sichergestellt, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen.“

In Deutschland haben Ärzte bei Abbrüchen ein gesetzlich geregeltes Weigerungsrecht. Kein Arzt muss einen Abbruch durchführen. In NRW gibt es auch keinen Versorgungsschlüssel, also keine festgeschriebene Zahl, wie viele Ärzte es pro Einwohner geben muss, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Gleichzeitig hat das Land die Pflicht, sicherzustellen, dass es genügende sind. Was passiert, wenn das nicht mehr der Fall sein sollte, darüber macht sich das Ministerium keine Gedanken. „Eine theoretische“ Diskussion, nennt das ein Sprecher.

Stöcker von Profamilia fordert vor allem eine Enttabuisierung des Themas, „Schwangerschaftsabbrüche gehören zu unserer Lebensrealität.“ Das müsse die Gesellschaft akzeptieren. Ulrike B. sieht das ähnlich. Beiden Frauen ist es wichtig, dass Frauen und Ärzte, die einen Abbruch durchführen, nicht mehr verurteilt werden.

„Ein komplett fertiges Kind, mit Ärmchen und Beinchen“

Schon über tausend Schwangerschaften hat Ulrike B. beendet. Zur Routine wird so etwas trotzdem nie. Sie erzählt: „Wenn Sie einen Ultraschall in der elften oder zwölften Woche machen und Sie sehen da ein komplett fertiges Kind, mit allem Drum und Dran, mit Ärmchen und Beinchen und sie wissen, sie müssen das jetzt aus der Gebärmutter herausholen – das tut weh, auch dem Profi.“

In all den Jahren hat die Ärztin einiges gesehen. Eine 13-Jährige, die von Petting schwanger wurde „die war wirklich noch Jungfrau“. Eine Frau, die mit Mitte 40 noch einmal schwanger wurde und sagte „ich hab doch schon meine Kinder gekriegt, da fang ich doch jetzt nicht noch einmal von vorne an.“ Junge Paare, die durch die Erfahrung des Abbruches so gestärkt wurden, dass sie nur ein Jahr später eine Familie gründeten. „Klar ist es schade um das eine Leben. Und man kann dann hinterher sagen, na ja, siehste mal, ist doch gut gegangen, hättest du doch gleich kriegen können. Aber das weiß man nicht immer in dem Moment.“

Ulrike B. verurteilt die Frauen und Paare nicht, die zu ihr kommen. Aber es gibt auch Dinge, die sie wütend machen. Männer zum Beispiel, die partout keine Kinder wollen und deren Frauen, dann trotzdem schwanger bei ihr sitzen. „Warum lassen die sich nicht sterilisieren? Das wäre doch mal konsequent.“ Sie erinnert sich auch an dieses eine Mal, als eine Frau bei ihr war, die zum achten Mal einen Schwangerschaftsabbruch wollte. „Da habe ich gesagt, okay, wir machen das. Aber wir sehen uns nie wieder und Sie verhüten!“ Anfeindungen hat die Ärztin noch nie erlebt. Sehr gute, sehr katholische Freunde hätten aber „ein Problem damit“, sagt sie. Ulrike B. wirkt mit sich im Reinen. Und ist sich dennoch des Ernstes der Situationen bewusst. „Das ist ja ein sehr erhabener Moment. Ich erhebe mich über den Ablauf der Natur. Und sage: Ich habe jetzt ein Recht, dieses Leben zu beenden.“ Eine Situation mit der man umgehen können müsse. Ulrike B. sagt, sie kann. Direkt nach dem Studium arbeitete sie in einer Praxis, in der eine Gynäkologin und eine Psychotherapeutin tätig waren. Während die Therapeutin Beratungsgespräche zu Schwangerschaftsabbrüchen anbot, führte die Gynäkologin diese durch. Ulrike B. konnte also beide Seiten kennenlernen. „So habe ich den Umgang damit gelernt.“

Ulrike B. trieb selbst ab. Ihre Entscheidung, als Ärztin Abbrüche durchzuführen, habe das nicht beeinflusst

Gabrielle Stöcker von Profamilia meint, angehende Ärzte müssten stärker für das Thema Schwangerschaftsabbruch sensibilisiert werden. Die Ärzte, die aktuell Abtreibungen anbieten würden, hätten noch den Kampf um das Recht auf Abtreibung in den 70er Jahren mitbekommen. Danach sei das Thema aber etwas von der Bildfläche verschwunden. Der Streit um Paragraf 219a in den vergangenen Monaten sei deshalb gut und wichtig, „da ist etwas in Bewegung gekommen, aber es dauert bis das Ganze Früchte trägt“. Auch Ulrike B. glaubt, dass mehr Feminismus und Öffentlichkeit dem Thema gut täten.

Sie selbst kennt die Nöte und Ängste ihrer Patientinnen: Im Studium wird sie schwanger, ungeplant und ungewollt. Sie treibt ab. Ihre Entscheidung als Ärztin Abbrüche durchzuführen, habe das aber nicht beeinflusst, sagt sie. Heute ist sie verheiratet, hat zwei Söhne. 

KStA abonnieren