PorträtsDiese Kölner machen Sankt Martin lebendig

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Rio Reiser  auf dem Schimmel „Kleiner Onkel“

Köln – Laternen leuchten, ein Feuer knistert, Scharen von Kindern folgen einem Reiter mit weitem Umhang durch ihr Veedel. Die Figur des „hillije Zinter Mätes“ fasziniert, der Martinszug macht Geschichte lebendig. Wir stellen sechs Menschen in Porträts vor. Hier finden Sie alle Infos zu den Sankt-Martinszügen in Köln.

Andrea Wahn als St. Martina

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Andrea Wahn als St. Martina

Wenn Andrea Wahn in die Rolle des Sankt Martin, oder besser gesagt, der Sankt Martina, schlüpft, dann beobachtet sie im Zug vor allem eins: „Viele leuchtende Kinderaugen“, erzählt die 36-Jährige. „Es ist toll zu sehen, wie sich die Kinder freuen, wenn ein großes Pferd vor ihnen reitet, die Laternen leuchten und das Feuer knistert.“ Seit drei Jahren verkörpert sie die Figur des Sankt Martin und reitet für Kindertagesstätten und Grundschulen beim Martinszug mit.

Die Steuerfachangestellte ist auch die Sportliche Leiterin des Reitvereins Oranjehof und trainiert regelmäßig mit den Pferden und Reitern. „Das ist schon eine besondere Situation für die Pferde, wir müssen das Tier vorbereiten“, sagt Wahn. „Etwa das knisternde und heiße Feuer, die Menschen und eine fremde Umgebung – daran muss sich das Pferd gewöhnen. Das Pferd braucht eine gewissen Grundeinstellung, damit es im Zug mitgehen kann. Dazu gehören etwa Ruhe und Gelassenheit“, erklärt Wahn. „Außerdem haben wir Reiter natürlich eine besondere Verantwortung gegenüber den Kindern und Teilnehmern des Martinszugs“, so Wahn. Doch das Training lohnt sich: „Wenn ich oder andere Reiter im Martinszug reiten und die Figur Sankt Martin verkörpern, dann machen wir die Tradition und den Brauch für die Kinder greifbar. Die Geschichte wird lebendig“, sagt Andrea Wahn.

Und neben der Martins-Geschichte ist auch das Pferd ein Höhepunkt für die Kinder: „Viele Kinder sind zunächst scheu, schauen skeptisch, wenn ein großes Pferd vor ihnen läuft oder auch mal wiehert. Aber beim Martinszug können wir ihnen die Berührungsängste nehmen.“ 

Udo Vogt in Seeberg

Udo Vogt beim Umzug in Seeberg – er verkörpert seit fast 30 Jahren den Sankt Martin.

Udo Vogt beim Umzug in Seeberg – er verkörpert seit fast 30 Jahren den Sankt Martin.

Für Udo Vogt ist die Sache mit dem Martin eine Herzensangelegenheit. Und das nicht erst seit gestern. In der Familie des 57-jährigen Kölners, der im normalen Leben als Controller bei Bayer Healthcare arbeitet, wurde Brauchtum seit jeher sehr groß geschrieben. Seit fast 30 Jahren ist Vogt immer im November hoch zu Ross als heiliger Martin unterwegs. Meistens mehrmals an mehreren Tagen hintereinander. Viele Jahre hat er sich auch für das Traditionskorps der Altstädter als Ansprechpartner darum gekümmert, in manchen Jahren für bis zu 30 Martinszüge Reiterinnen und Reiter zu organisieren. 

Hellmut Schüssler von der Nippeser Bürgerwehr

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Hellmut Schüssler

„Für mich werden mit dem Sankt Martin Kindheitserinnerungen wach. Die Atmosphäre, die Botschaft, ich fand das immer toll“, sagt Hellmut Schüssler. Der 52-Jährige verkörpert seit sieben Jahren den Sankt Martin. Am Montag reitet er in Longerich, am Dienstag in Blumenberg und am Donnerstag in Bilderstöckchen.

„Das ist ein toller Brauch, den  wir nicht aussterben lassen wollen. Damit es auch in Zukunft Sankt Martins gibt, leben wir den Brauch gerne vor.“  Der Kommandant des Reiterkorps der Nippeser Bürgerwehr erhält viele Anfragen von Schulen und Kitas. „Die Situation für Pferd und Reiter ist ganz ähnlich wie im Karnevalszug und  für die Kinder bieten wir es natürlich gerne an“, sagt Schüssler.

Denn er ist überzeugt: „Der Martinszug hat eine große integrative Komponente. Es geht  für mich nicht  so sehr um die Religion, sondern um das gemeinsame, gesellschaftliche Erlebnis und die Botschaft.“ Das sei auch für ihn immer wieder aufs Neue spannend: „Vor drei Jahren hat sich ein mir fremder Mann bereiterklärt, den Bettler zu spielen. Seit dem Zug sind wir Freunde.“ 

Hier reiten die St. Martins und St. Martinas in Nippes, in der Innenstadt und in Weiß

Rio Reise mit „Kleiner Onkel“

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Rio Reiser  auf dem Schimmel „Kleiner Onkel“

„Das ist für mich noch alles ziemlich neu, ich reite in diesem Jahr zum zweiten Mal als Sankt Martin in Köln“, sagt Rio Reiser. Der 48-Jährige ist ein Wiedereinsteiger: „Ich  bin 15 Jahre lang nicht wirklich geritten, nun bin ich wieder aktiv dabei. Und auch auf den Martinszug habe ich mich gefreut und vorbereitet.“ Rio Reiser ist  Mitglied des Reiterkorps der Nippeser Bürgerwehr und darüber rutschte er auch in die Rolle des Sankt Martin: „Hier, bei den Appelsinefunke, bringen wir die Geschichte und den Brauch des Sankt Martin den Kindern und Familien gern näher“, sagt er.

„Es gehört sozusagen zum guten Ton, wenn man  als Reiter im Martinszug den Kindern eine Freude machen kann. Das ist aber alles andere als eine Verpflichtung“, betont Reiser. „Das ist mir persönlich auch wichtig. Es ist einfach ein schöner Brauch, für den es sich lohnt, seine Freizeit und auch Geld zu opfern.“ Denn Reiser hat mehrere Lottogeschäfte, er ist selbstständig. Um im Martinszug mitreiten zu können, hat er sich eine Vertretung für den Abend organisiert.

Dass die Tradition des Martinstags bestehen bleibt, ist ihm wichtig: „Der Brauch ist so schön persönlich und  zum Glück noch nicht mit so viel Kommerz verbunden  wie etwa Halloween.“ Als sich Reiser  am Abend dann auf das Pferd „Kleiner Onkel“ schwingt, sieht man ihm  auch ein wenig  Stolz an – die Kinder danken ihm mit einem Lächeln.

Julia Pfaffenholz als St. Martina bei der Paul-Maar-Schule in der Innenstadt

Julia Pfaffenholz (30) ist in die Rolle als Sankt Martin einfach so reingerutscht. Die Geschäftsführerin der Kölner Frisör- und Kosmetik-Innung      ist in derselben Reitunterricht-Gruppe  wie das Reiterkorps der Altstädter, an die sich viele Schulen und Kitas wenden, wenn sie für ihren Zug einen Sankt Martin samt Pferd buchen möchten. Als mal keiner Zeit hatte und der Martinszug der Paul-Maar-Schule in der Innenstadt ein trauriger ohne Martin zu werden drohte, „da haben die  mich gefragt“.

Simone Bail in Weiß

„Natürlich merken die Kinder, dass ich eine Frau bin, aber das macht überhaupt nichts“, sagt Simone Bail. „Im Gegenteil, die meisten sagen sogar, »Oh, da ist die Martina!«“ Die Veranstaltungsassistentin verkörpert seit sechs Jahren die Martina, obwohl ihr erster Zug sehr spontan kam: „Freunde, die selbst schon als Sankt Martin unterwegs waren, haben mich  gefragt, ob ich für sie einspringen kann. Dann musste ich mich und mein Pferd innerhalb von drei Tagen auf den Zug vorbereiten. Aber es ging alles gut“, erzählt die 34-Jährige. „Ich mag die Botschaft der Martinsgeschichte“, so Bail, die am kommenden Dienstag beim Umzug der Grundschule durch Weiß reiten wird. 

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