Kölner Impfzentrum geräumtZwei Rentner lassen sich Sekunden vor Schließung erstimpfen

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Im Kölner Impfzentrum wurden mehr als 640.000 Impfungen verabreicht. Nun wird es abgebaut.

Köln – Werden Sie es vermissen? Daniel Heu lacht. Nein, das Kölner Impfzentrum wird er nicht so schnell vermissen, die Schichten von 7 bis 24 Uhr im Frühjahr, in denen er den Betrieb am Laufen hielt, darauf kann er jetzt erstmal verzichten. „Die Zeit hier hat sich länger angefühlt als ein Jahr. Das ging schon deutlich über das normale Pensum hinaus“, sagt er. Dabei waren es streng genommen nur achteinhalb Monate. Am 8. Februar wurde das Impfzentrum, das Heu gemeinsam mit Sebastian Brandt leitet, eröffnet.

Die beiden sind eigentlich als organisatorische Leiter bei der Feuerwehr tätig, improvisieren also ohnehin beruflich, sobald es brennt. Aber „so etwas haben wir noch nie erlebt, die Dimension war völlig neu“, sagt Heu. Er blickt zufrieden zurück. Zurecht, denn die Bilanz ist beeindruckend: 640 000 Impfungen wurden auf dem Messegelände durchgeführt. Keine einzige Spritze musste in Zeiten der Knappheit verworfen werden, die Priorisierung wurde eingehalten – in Arztpraxen allein wäre das kaum denkbar gewesen.

Vielleicht lief es auch deshalb so reibungslos, weil man der Feuerwehr die Verantwortung von Beginn an übergab: „Wir haben im Grunde eine Einsatzstelle aufgebaut: Verantwortlichkeiten und Kommunikationswege wurden für alle möglichen Situationen erstellt“, sagt Brandt und zeigt auf eine Karte an seinem Hals, auf der alle wichtigen Durchwahlen stehen, „es gab immer feste Lagebesprechungen. Das hat uns schon geholfen.“

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Kölner Feuerwehr bewertet Entscheidung für die Messe als richtig

Vor elf Monaten saßen Brandt und Heu gemeinsam in der siebten Etage eines Bürogebäudes in der Innenstadt und mussten der Stadtverwaltung erklären, wie sie binnen zwei Wochen jenes Impfzentrum, das am Dienstagabend geschlossen wurde, aus dem Boden stampfen wollen. Ein Kampfauftrag. „Heute müssen wir nicht jedes Problem lösen. Wie auch, noch kennen wir viele von ihnen nicht einmal“, sagte Brandt damals. Der Vertrag mit der Messe war noch nicht ausgehandelt, es brauchte noch hunderte Ärztinnen und Apotheker, überhaupt klinische Logistik.

„Die Messe war ein guter Kompromiss aus zentraler Lage, guter Infrastruktur, Professionalität und Barrierefreiheit. Die Entscheidung war richtig“, sagt Brandt heute. Dabei gab es auch andere Angebote: Das Rhein-Energie-Stadion etwa und den Flughafen. Es wurde die Messe und hier alles binnen zwei Wochen vorbereitet. Dann aber stand die Halle fast zwei Monate lang leer – weil der Impfstoff fehlte.

Die Leitung des Impfzentrums war damit nicht unglücklich: Die Zeit zur finalen Vorbereitung konnte man gut gebrauchen, auch wenn formal alles parat war. Jürgen Zastrow, der die Impfungen im Zentrum verantwortete, sieht das anders: „Das Land wollte, dass wir zum 15. Dezember betriebsbereit sind, obwohl klar war: Es gibt noch keinen Impfstoff. Man kauft sich doch auch kein Auto, für das es keinen Sprit gibt.“

„Da ist schon zusammengewachsen, was zusammen gehört“

Insgesamt hält aber auch Zastrow die achteinhalb Monate für eine „Erfolgsstory“, auch in der Zusammenarbeit mit den Behörden. Sogar mit dem Gesundheitsministerium, das er im vergangenen Jahr fast laufend für fehlenden Pragmatismus kritisierte, ist er heute gnädig: „Da ist schon zusammengewachsen, was zusammengehört.“ Und so sieht es auch Sebastian Brandt: „Apotheken, Ministerium, Bundeswehr, Feuerwehr, Kassenärzte, die Messe – das waren sehr unterschiedliche Partner, natürlich gab es da auch Reibung. Aber gemeinsam hatte das sehr viel Power und Professionalität.“ Den Rekord erreichte man mit 7258 Impfungen am 29. Mai, 250 Menschen haben an jenem Tag im Impfzentrum gearbeitet. Ursprünglich war das Zentrum auf 5000 tägliche Impfungen ausgelegt.

Wenn man an jenem Dienstag mit Sebastian Brand durch die Messehalle 1 spaziert, dann kann er nicht verbergen, dass da auch Wehmut ist, mindestens ein bisschen. Er grinst euphorisch die kahlen Wände an und lächelt Check-in-Helfern und Apothekerinnen breit entgegen, ruft Dinge wie „letzter Tag!“ und schnappt sich fast feierlich ein Wasser im Tetrapack. Prost. Er erinnert sich an skurrile Momente des letzten Jahres, einmal habe er sich ernsthaft Sorgen um den Sprengstoffspürhund gemacht, der sicherheitshalber immer vor Ort war. Damals hieß es, ein Wolf sei am Impfzentrum gesichtet worden. „Ich dachte: Nicht, dass ich ihn am Ende zerlegt in der Halle wiederfinde.“ Er erzählt von Menschen, die sich im April mit Arztkitteln eine Impfung erschleichen wollten und von anderen, die trotz Impfberechtigung mit Kostüm einmarschierten, weil Karneval war.

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Um kurz nach 18 Uhr besuchten dann noch zwei Rentner im Rollstuhl das Impfzentrum – um ihre Erstimpfung zu bekommen. Ein Rollstuhl verhakte sich im Eingang, die Schließung verzögerte sich noch einmal. Dann erhielt Claudia Peters, Personalchefin der medizinischen Angestellten, ihre Drittimpfung. Die letzte Spritze. Jetzt aber ist es vorbei, geimpft wird nur noch von mobilen Teams, in den Arztpraxen – und an einer Impfstelle am Neumarkt. „Damit sind wir auch in Zukunft gut aufgestellt“, sagt Brandt.

Dabei wurden zuletzt immer noch rund 1000 Menschen pro Tag an der Messe geimpft. Den Großteil machten Zweit- und Drittimpfungen aus. Aber jeden Tag ließen sich hier bis zuletzt auch Menschen von der Erstimpfung überzeugen, wie Daniel Heu erzählt. „Das hat vermutlich auch mit den Tests zu tun, die kostenpflichtig werden. Und mit 2G-Regelungen.“ Und natürlich spielen auch Erfahrungen aus Freundeskreisen, die nach der Impfung keine Probleme hatten, eine Rolle, sagt Heu. „Es spricht eben rational wirklich nichts gegen eine Corona-Impfung.“

Corona-Impfzentren: Fast eine Milliarde Kosten in NRW

Sebastian Brandt hält die Schließung für vertretbar. „Die Hausärzte haben Stand heute mehr geimpft als das Impfzentrum. Ich denke, dass die Praxen schon sehr schlagkräftig sind, auch ohne uns.“ Der Betrieb der Impfzentren in Nordrhein-Westfalen hat Bund und Land immerhin fast eine Milliarde Euro gekostet, das weiß auch Brandt. „Und: Die Messe braucht ihre Räume ab Mittwochmorgen wieder“, ergänzt er. Schon am Mittwochmorgen wird in Messehalle 1, in die das Impfzentrum vor einigen Wochen umgezogen ist, die Nahrungsmittelmesse Anuga aufgebaut.

Jürgen Zastrow hätte eine Fortführung des Impfzentrums in einem kleineren Rahmen begrüßt, „dann hätte man die Kapazitäten schnell wieder hochfahren können, wenn Bedarf da ist“, sagt der Mediziner: „Diese Möglichkeit haben wir uns genommen.“ Im besten Fall wird es den Bedarf nie geben. Und im schlimmsten weiß jetzt jeder, was zu tun ist.

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