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Kölner Infektiologe im Interview„Ich warne dringlich vor zu großer Lockerheit!“

Lesezeit 6 Minuten
Corona Symbol

Untersuchung von Proben des Coronavirus in einem Labor. (Symbolbild)

  • Der Kölner Infektiologe Gerd Fätkenheuer ist an Studien zum Präparat Remdesivir beteiligt. Es soll schon in Kürze verfügbar sein.
  • Obwohl es Hoffnung auf ein Medikament gibt, warnt der Infektiologe vor einer zweiten Infenktionswelle, die schleichender sich ausbreiten könnte.
  • Wann das Medikament erwartbar ist und was es kosten soll, ebenso wie seinen Blick auf den weiteren Verlauf des Coronavirus erzählt er im Interivew.

Herr Professor Fätkenheuer, in der Corona-Krise folgt inzwischen eine Lockerung der nächsten, so auch an diesem Montag wieder. Wie locker sind Sie heute? Fätkenheuer: Ehrlich gesagt, steigt bei mir die Spannung. Ich nehme überall wahr, dass bei den Menschen das Gefühl da ist: Wir können wieder loslegen. Ich verstehe das auch. Aber gerade deshalb sind wir jetzt an einem sehr kritischen Punkt. Denn auch das Virus ist da und kann jederzeit loslegen. Wir müssen befürchten, dass es sich jetzt schleichend, gleichsam unter dem Radar, ausbreitet und es zu der immer wieder genannten zweiten Welle kommt, die dann von unvergleichlich größerer Wucht sein wird. Ich warne deshalb dringlich vor zu großer Lockerheit. Wir müssen die Bedrohung durch das Virus weiter ernstnehmen und die Regeln beachten, die Regeln beachten, die Regeln beachten! Und es ist wichtig, dass Sie beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Ihre Kollegen bei den anderen Medien das immer wieder transportieren.

Wichtig ist auch die Entwicklung von Wirkstoffen gegen Corona. Da haben Sie mit Ihrer Forschung an einem möglichen Medikament namens Remdesivir mitgewirkt, die weltweit für Aufsehen gesorgt hat. Ist Remdesivir der Durchbruch?

Also, wir sind mit unserer Studie in einem sehr weit fortgeschrittenen Stadium und können sagen: Remdesivir wirkt. Wir haben nachgewiesen, dass das Medikament bei einer Covid-19-Erkrankung den schweren Verlauf abmildert und verkürzt.

Alles zum Thema Christian Drosten

Es sind allerdings auch noch sehr viele Fragen offen. Wir wissen insbesondere noch nicht, in welchem Stadium der Krankheit die Patienten am meisten profitieren. Der genaue Einsatz von Remdesivir muss also noch geklärt werden.

Was ist mit Nebenwirkungen?

Es sind uns bisher keine wesentlichen bekannt geworden. Im Detail müssen wir das natürlich noch weiter untersuchen, denn eine Nebenwirkung können Sie ja nur dann mit Bestimmtheit auf das jeweilige Medikament zurückführen, wenn es ausschließlich bei den Patienten auftritt, die damit behandelt wurden, nicht aber bei Patienten in gleicher Situation, die das Präparat nicht bekommen haben. Das ist ein aufwendiger, komplizierter Nachweis.

Wann ist es so weit mit dem Einsatz?

Wir werden Remdesivir binnen Wochen oder weniger Monate zur Verfügung haben.

Zu welchem Preis?

Das Präparat sollte einfach und günstig herstellbar sein. Nach Berechnungen eines britischen Kollegen würde der Selbstkostenpreis mit einem kleinen Aufschlag bei etwa zehn Euro für eine zehntägige Behandlung liegen. Wie teuer es dann verkauft werden wird, ist eine andere Frage.

Es gibt die Kritik, dass aus den Ergebnissen Ihrer Studie keine signifikante Verringerung der Sterblichkeitsrate von Covid-19-Erkrankten nach der Einnahme von Remdesivir hervorgehe. Ist das nicht ein wesentlicher Schwachpunkt?

Das Studiendesign war von vornherein anders definiert. Es ging um die mildernde oder heilende Wirkung überhaupt, die „klinische Besserung“, wie wir das nennen. Es war keine Willkür, an dem Punkt aufzuhören, an dem wir diese Wirkung bejahen konnten. Wir haben genau die Zahl von Patienten – um die 1000 – in die Studie eingeschlossen, die wir vorher festgelegt hatten.

Zur Person

Gerd Fätkenheuer, geboren 1955, ist Leiter der Infektiologie am Universitätsklinikum Köln und war von 2013 bis 2019 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie. 2007 erhielt er eine Professur für Innere Medizin/Klinische Infektiologie an der Universität zu Köln. Er ist deutscher Studienleiter eines internationalen Konsortiums zur Forschung mit dem antiviralen Wirkstoff Remdesivir (jf)

Das zu erweitern, wäre auch deshalb nicht sinnvoll gewesen, weil wir dann weiterhin eine Vergleichsgruppe von Patienten mit einem Placebo hätten behandeln müssen, obwohl die positive Wirkung von Remdesivir bereits festgestellt war.

Es handelt sich dabei ja um ein „abgelegtes“ Ebola-Präparat, das im Kampf gegen dieses Virus nicht die erhoffte Wirkung gezeitigt hatte. Wie kommt man eigentlich darauf, es sozusagen wieder aus der untersten Schublade zu ziehen?

Vor der Entwicklung eines neuen Medikaments finden immer umfangreiche Laborversuche statt. Dabei stützt man sich möglichst auf Forschungen im Umfeld. Also: Hat es bei der Entwicklung von Wirkstoffen gegen andere, ähnliche Viren schon mal Hinweise gegeben, dass ein bestimmtes Präparat funktionieren könnte?

Das ist ganz schlicht das Verfahren „Versuch und Irrtum“. Im Fall von Remdesivir wusste man schon vor dem Auftreten der aktuellen Pandemie, dass es eine positive Wirkung gegen Coronaviren hat. Aber das war – wenn Sie so wollen – unnötiges Wissen, denn es gab ja keinen für den Menschen gefährlichen Typus von Coronaviren.

Aber jetzt schon.

Eben. Und jetzt konnte man das vorhandene Wissen aktivieren und sich auf die entsprechenden Vorarbeiten einschließlich Verträglichkeits- und Sicherheitsstudien beim Menschen stützen. Deswegen konnten wir in so kurzer Zeit auch so weit kommen.

Sie sind der deutsche Studienleiter eines internationalen Forscherkonsortiums. Was ist da eigentlich Ihre Aufgabe?

Hinter der Studie steht das US-amerikanische National Institute of Allergy and Infectious Diseases“ (NIAID). Dieses wiederum untersteht dem National Institute of Health (NIH), einer dem Robert-Koch-Institut vergleichbaren Einrichtung, geleitet von Anthony Fauci, einem der weltweit kompetentesten, angesehensten Fachleute überhaupt. Eine gewisse Popularität hat er jetzt als Berater von US-Präsident Donald Trump bekommen. Fauci ist aber auch der Letztverantwortliche für die Remdesivir-Studie. Die Anfrage der Kollegen vom NIAID erreichte mich, weil wir schon verschiedentlich kooperiert haben und einander kennen.

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Mir wurde gesagt, wir könnten drei deutsche Zentren mit in die Studie einbringen. Die weitere Vorgabe war dann, es müsse extrem schnell gehen, und wir sollten im Grunde am nächsten Tag anfangen. Dazu muss man wissen, dass es sonst viele Monate dauert, bis Budgets verhandelt, Verträge geschlossen, Prüfverfahren durchlaufen und behördliche Genehmigungen erteilt sind. Wir konnten dagegen tatsächlich binnen weniger Tage an den Start gehen, weil alle Beteiligten praktisch Tag und Nacht gearbeitet haben. So etwas hat es noch nie gegeben.

Zeit ist der eine Faktor, Geld der andere. Auf einer internationalen Geberkonferenz wurden vorige Woche 7,4 Milliarden Euro zur Bekämpfung der Pandemie eingesammelt. Bringt ein solcher Geldsegen Ihrer Arbeit etwas?

Wissenschaftliche Kapazitäten und Kenntnisse kann man für Geld nicht kaufen. Das Gießkannenprinzip bringt deshalb gar nichts. Aber in dem Moment, wo die reine Forscherarbeit Erfolg versprechende Ergebnisse zeitigt, hilft es schon, wenn man dann viel Geld in die sehr, sehr teuren Studien investieren kann. Entscheidend sind Aufbau und Erhalt einer leistungskräftigen Forschungs-Infrastruktur.

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Wir sind heute auch deshalb in einer deutlich besseren Situation, als wir bei einer Pandemie vor zehn Jahren gewesen wären. Seitdem ist die Infektionsforschung in Deutschland mit Fördermitteln des Wissenschaftsministeriums stark ausgebaut worden. Das hat dazu geführt, dass wir in unserem Land jetzt weltweit führende Experten auf dem Gebiet der Virologie haben, die entscheidend zur Bekämpfung der Epidemie beitragen – wie Christian Drosten in Berlin oder Florian Klein in Köln.

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