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„Dieses Gemeinschaftliche wird mir fehlen“Warum sich eine von Kölns ältesten Wohngemeinschaften auflösen muss

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Eine Häuserzeile mit vier mehrgeschossigen Häusern ist zu sehen. Vor der Front des braunen Hauses hängen Banner mit Slogans, etwa Die Häuser denen, die drin wohnen.

Gegen die Verdrängung von süßen Mäusen: Das Haus in der Palmstraße 19 wird bald geräumt.

Eine seit fast 50 Jahren bestehende Kölner Hausgemeinschaft muss ausziehen. Wie damals alles anfing, und warum es jetzt endet.

Das Haus in der Palmstraße gibt sich kämpferisch: Seine Bewohner haben ihm mit Bannern den Look eines besetzten Hauses verliehen. Auf einem steht: „Die Häuser denen, die drin wohnen“. Das sind derzeit sechs Erwachsene und ein Kind. Sie bilden eine Hausgemeinschaft, die in wechselnder Konstellation seit dem 1. Mai 1975 besteht. Die Geschichte von vielleicht Kölns ältester WG endet nun jetzt am 1. Juni. Dann müssen die Mieter das Haus verlassen, Zwangsräumung.

In der Küche wurde gegessen, diskutiert, gefeiert

Drei Bewohnerinnen und eine Ehemalige, die bis vor zwei Jahren mit Mann und Tochter in der WG gewohnt hat, sitzen jetzt, in der großen Küche. Hier wurde gemeinsam gegessen, diskutiert, auch Partys gefeiert. Die an Silvester wird wohl die letzte gewesen sein. „Im großen Wohnzimmer haben die Kinder immer gespielt“, erinnert sich Philippa Schindler, die mit ihrer zehnjährigen Tochter in den oberen zwei Etagen, lebt. „Wir haben immer zusammen gegessen in der Küche, es war immer jemand da, dieses Gemeinschaftliche wird mir fehlen“. Die Journalistin zieht nach Ehrenfeld, in eine Zwei-Zimmerwohnung. Die Stimmung unter den WG-Freunden ist gedrückt.

„Die Eigentümerin des Hauses möchte mit ihrem Mann und ihrer Tochter einziehen“, erzählt Schindler, die seit fünf Jahren in der WG wohnt. Ein Musikzimmer, ein Sportzimmer, eine Wohnzimmeretage mit Bar und eine eigene Wohnung für die Tochter seien geplant. Das Amtsgericht Köln hat den Eigenbedarf anerkannt.

Alles zum Thema Amts- und Landgericht Köln

Für Schindler und die anderen Bewohner steht ihr eigenes Schicksal exemplarisch für das, was auf dem Kölner Wohnungsmarkt seit Jahren zu beobachten ist. „Unser Fall zeigt, wie stark das Recht auf Eigentum verankert ist, und wie wenig demgegenüber die Frage des tatsächlichen Bedarfs ins Gewicht fällt.“ 

Wer den Flur im Erdgeschoss durchquert, landet in dem riesigen Badezimmer mit Badewanne, das eher einer Waschküche ähnelt. „Hier gab es früher sogar zwei Badewannen“, erzählt Schindler, die sich mit der Geschichte des Hauses intensiv befasst hat. Das Haus hat fünf Etagen, ein Altbau, Deckenhöhe knapp vier Meter. Drei Toiletten befinden sich jeweils auf halber Treppe. Das Bad unten hat keine. Die alte Ölheizung reicht nur bis in den ersten Stock, darüber wurde bis zuletzt mit Kohle geheizt. Das Gemeinschaftswohnzimmer vorne zur Straße hin wurde auch Gruppen zur Verfügung gestellt, im Hof wurde gerne gegrillt. 

Ur-WG zog im Jahr 1975 in das Haus in der Kölner Innenstadt

Im Jahr 1975 mietete es der Journalist Peter Kleinert. Vom damaligen Eigentümer bekam er einen Mietvertrag auf Lebenszeit, dafür musste er die Renovierung übernehmen. Mit ihm zog seine Lebensgefährtin Marianne Tralau ein. Er brachte seine Tochter mit, sie zwei Söhne und eine Tochter. „Wir zogen aber nicht als Patchwork-Familie ein, sondern ausdrücklich als WG“, erinnert sich Cordula Thonett, Tralaus Tochter, die damals zwölf Jahre alt war.

Dabei war auch eine Freundin der Familie. „Wir mussten alle reihum kochen, auch wir Kinder, meine Mutter legte darauf großen Wert, weil sie als Künstlerin auch Zeit haben wollte für ihre Arbeit, und sah sich nicht vorrangig als Hausfrau“.

Folglich mussten sich alle, die in die WG ziehen wollten, auch am Herd beweisen. „Wir luden potenzielle Mitbewohner ein zum Kochen, aber auch um mit uns den Abend zu verbringen. Der Gesamteindruck gab dann den Ausschlag.“ Marianne Tralau notierte die Namen aller Mieter, die vom 1. Mai 1975 bis zum 1. Mai 1999 an der Palmstraße 19 wohnten, akribisch auf einer mit der Schreibmaschine getippten Liste. Unter den 46 Namen befindet sich auch ein gewisser Raoul Grass, Sohn des Schriftstellers Günter Grass, der von 1978 bis 1980 im Haus lebte.

Günter Grass besuchte seinen Sohn, der in der WG in Köln lebte

„Er war so Anfang 20, ein hübscher Kerl mit langen dunklen Locken“, erinnert sich Thonett. Einmal sei der berühmte Vater zu Besuch gewesen, wohl anlässlich eines Geburtstags des Sohnes. „Wir hatten gekocht, das Essen stand quasi auf dem Tisch. Doch Grass hielt eine Rede seinem Sohn zu Ehren, die kein Ende zu nehmen schien. Er neigte zur Ausführlichkeit. Wir Kinder haben ihn dann auch hier und da unterbrochen, weil wir so hungrig waren.“

Cordula Thonett, die mit 17 nach Irland und dort die Liebe zum Puppenspiel für sich entdeckte, organisierte im Haus an der Palmstraße zeitweise ihr „Figurentheater im Kabuff“. So lud sie ihr Publikum in ihr zwölf Quadratmeter kleines Zimmer im zweiten Stock des Hauses.

Viele Bewohner waren Künstler, arbeiteten für Theater, TV oder Zeitung, waren Geisteswissenschaftler oder Pädagogen. Es wehte ein linksliberaler Geist an der Palmstraße 19, auch im Nachbarhaus, der 17, das eine Zeitlang die Redaktion des Kölner Volksblatts beherbergte, das das Sprachrohr von Kölner Bürgerinitiativen war. 

Nach dem Tod von Peter Kleinert, der schon seit der Jahrtausendwende nicht mehr ständig im Haus wohnte, hingen die Bewohner zunächst in der Luft. Sie bekamen schließlich neue Mietverträge unter der Prämisse einer Kündigung in fünf Jahren zuzustimmen – einer juristisch mindestens strittigen Konstruktion, die schließlich in die Kündigung mit anschließender Räumungsklage mündete. Jetzt sind alle juristischen Mittel aufgebraucht.

Die Berufung wurde am 13. April 2023 vom Landgericht Köln abgelehnt. Eberhard Reinecke, der Anwalt der Mieter, zieht eine nüchterne Bilanz: „Wir erleben eine Verdrängung von Mietern, die sich viel Wohnraum teilen, zugunsten von Eigentümern, die wegen Eigenbedarfs kündigen, um anschließend selbst großzügig zu leben oder sogar nach einer Schamfrist teuer zu vermieten oder doch an Investoren zu verkaufen.“

Philippa Schindler will ihren Traum vom gemeinschaftlichen Wohnen aber nicht aufgeben. Sie hat sich dem Verein 1006 angeschlossen, der an der Bergisch Gladbacher Straße in Dellbrück an der Umsetzung eines Gemeinschaftsprojekts arbeitet. Das Haus steht seit zehn Jahren leer, der Verein kämpft jetzt darum, die Kosten für die Sanierung des Altbaus zu organisieren. 


Ein Bündnis aus Unterstützerinnen und Unterstützern trifft sich am Donnerstag, 1. Juni, um 11 Uhr vor dem Haus Palmstraße 19, um gegen die Zwangsräumung des Gebäudes zu protestieren.

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