Kölner Insolvenzverwalter„Wie eine Luftpumpe, auf die man gerade den Daumen hält“

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Fachanwalt Joachim Klein

Fachanwalt Joachim Klein

  • Die Pflicht zu Insolvenzanträgen ist bis September ausgesetzt - aber was kommt danach? Droht eine Welle der Insolvenzen in Köln und der Region?
  • Der Kölner Fachanwalt Joachim Klein für Insolvenzrecht betreute viele Unternehmen. Im Interview erklärt er die Folgen der Corona-Krise für Gastronomen, Künstler, Einzelhändler und Touristiker.
  • Er vergleicht die Situation mit einer „Luftpumpe, auf die man gerade den Daumen hält".
  • Lesen Sie hier das ganze Interview.

Herr Klein, wer kommt momentan zu Ihnen, um sich beraten zu lassen? Klein: Gastronomen, Touristiker, Veranstaltungstechniker, Künstler, Einzelhändler – Vertreter aller Branchen, die von der Corona-Pandemie betroffen sind.

Momentan gibt es noch keine Insolvenzwelle, für den Herbst oder das nächste Frühjahr wird allerdings eine erwartet. Wie erleben Sie in Köln den Status quo?

Im Moment gibt es so wenige Insolvenzen wie in den vergangenen Jahren nicht. Nach aktueller Rechtslage ist bei Gläubigerforderungen nur erlaubt, Insolvenzantrag zu stellen, wenn das Unternehmen vor dem 1. März zahlungsunfähig oder überschuldet war. So soll verhindert werden, dass die Unternehmen im Zuge der Pandemie weiter verunsichert werden. Die Insolvenzantragspflicht ist bis zum 30. September ausgesetzt, sollte die Pandemie andauern, könnte die Aussetzung bis 31. März 2021 verlängert werden – damit rechne ich fest.

Und dann kommt der große Knall? Experten glauben, dass es dann 20, vielleicht sogar 30 Prozent mehr Insolvenzen geben könnte als normal.

Für mich ist das wie eine Luftpumpe, auf die man gerade den Daumen hält: Unten kommt der Druck rein, wenn man den Daumen loslässt, entlädt sich das. Der Gesetzgeber versucht, die Insolvenzwelle zu verhindern – ob es gelingen wird, wissen wir alle nicht.

Ist es sinnvoll, möglichst lange den Daumen draufzuhalten?

Die Pandemiegesetze halte ich für sinnvoll, um zu verhindern, dass die Unternehmen jetzt reihenweise Pleite gehen. Wir haben es hier mit schweren Schicksalen zu tun, Existenzen, die über Jahre und Jahrzehnte aufgebaut wurden. Alle Tourismus-, Veranstaltungs- und Gastrobetriebe liegen am Boden – da ist es angezeigt, abzuwarten, ob die Betriebe sich mit staatlicher Hilfe erholen können.

Wie lange kann man so eine Aussetzungspflicht strecken?

Das kann ich nicht vorhersehen. Wichtig ist, dass nur die Unternehmen geschützt werden, die pandemiebedingt zahlungsunfähig geworden sind – auch wenn da einige unter dem Schutzschirm segeln momentan, die vorher schon in Schieflage waren. Auch das wird später klarer zutage treten.

Was prognostizieren Sie für Privatinsolvenzen?

Ich glaube, dass es auch da im Moment den Luftpumpeneffekt gibt: Es gibt eine neue EU-Richtlinie, wonach bis Mitte 2021 eine Verkürzung der Restschuldbe-freiungsverfahren von sechs auf drei Jahre umgesetzt werden muss, für Privatpersonen wie für haftbare Personen in Aktiengesellschaften und GmbHs. Noch ist offen, ob die Richtlinie früher umgesetzt wird, fristgerecht oder spätestens bis zum 16. Juli 2022. Die Verkürzung bedeutet für alle Betroffenen eine enorme Erleichterung – viele versuchen vermutlich, durchzuhalten, bis die Richtlinie in Kraft ist.

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Was raten Sie Unternehmern konkret, die durch die Coronakrise in Schieflage geraten sind?

Vor allem, genau zu dokumentieren, wie sie pandemiebedingt zahlungsunfähig geworden sind. Über eine geordnete Finanzbuchhaltung und Restrukturierungspläne. Andernfalls kommt man nicht in den Genuss der Aussetzung der Antragspflicht.

Angenommen ich bin ein Gastwirt, der zwölf Wochen dicht machen musste und jetzt wieder arbeitet, aber nicht seine Kosten decken kann. Was muss ich tun, bevor ich Insolvenz anmelde?

Die Antragspflicht ist auch dann nicht ausgesetzt, wenn es keine positive Zukunftsprognose gibt. Wenn ich als Unternehmer weiß, dass es für mich nicht gut enden wird – sprich: dass ich Kredite vermutlich nie zurückzahlen kann – dann muss ich Insolvenz anmelden.

Für viele ist das aber schwer vorhersehbar. Wie soll ein Messebauer absehen, ob er in ein oder zwei Jahren wieder normal arbeiten kann?

Stimmt, das ist schwierig bis unmöglich. Das erste ist eine Kostenreduktion, beispielsweise durch Kurzarbeit, was ja sehr viele Unternehmen aktuell in Anspruch nehmen. Zweitens sollte ich sämtliche Zuschüsse der Regierung beantragen, und drittens geht es um längerfristige Darlehen. Hier geht es um die Frage, ob ich das künftig stemmen kann. Manchmal kann eine Insolvenz günstiger sein, als sich mit der Aussicht, Jahrzehnte lang Kredite abzubezahlen, zu plagen.

Zur Person

Joachim Klein (59) ist Anwalt für Insolvenzrecht und Arbeitsrecht. Als Insolvenzverwalter betreut er Privatinsolvenzen und mittelständische Unternehmen genauso wie Konzerne. Er arbeitet seit vielen Jahren auch als Lehrkraft für Insolvenzrecht. (uk)

Gibt es neben der vagen Aussicht, was die Zukunft bringt, Anhaltspunkte, wann Sie eher zu einer Insolvenz raten und wann nicht?

Also erstmal muss die Insolvenz kein Horror sein, sondern kann auch eine gute Möglichkeit sein, um Verbindlichkeiten und auch Sorgen los zu werden. Zu Konkurszeiten war man lebenslang gebrandmarkt, viele kamen nie mehr auf die Beine. Mit der in Aussicht stehenden Verkürzung der Restschuldbefreiungsdauer sind kurzfristige Sanierungen möglich.

Also wundern Sie sich, dass sich momentan noch so wenige entschließen, Insolvenz zu beantragen?

Der Luftpumpeneffekt hat ja einen gesetzlichen Hintergrund. Psychologisch gesehen gibt es zwei Typen: Die Optimistischen, die gut mit der Krise umgehen können. Die mit Krediten und mit Unsicherheiten leben können - denen rate ich, vorläufig weiterzumachen. In der Gastronomie gibt es viele solcher Menschen: Die lernen jetzt, mit der Pandemie umzugehen und sind hart gesotten. Den Typen, denen die Schulden monatelang schlaflose Nächte bereiten, die leiden und sich quälen, rate ich eher zu einem Insolvenzantrag. Gerade dann, wenn sie sagen, dass sie es auch in Zukunft nicht hinkriegen. Ein Insolvenzverfahren bringt diesen Menschen innere Ruhe.

Geht die Unruhe da nicht erst los?

Nein, denn dann hat man eine gewisse Sicherheit. Viele sind durch Zwangsvollstreckungen, die durch die Pandemiegesetze nicht ausgesetzt sind, sehr belastet. Geschäftsführer und Vorstände sind von den Haftungsrisiken befreit, wenn die Gründe für die Insolvenz in der Pandemie liegen.

Appelrath-Cüpper, Esprit, Galeria Kaufhof – viele große Unternehmen haben im Frühjahr Insolvenz angemeldet – greift da der Verweis auf Corona oder eher nicht?

Für den Einzelfall kann ich das nicht beurteilen. Oft ist allerdings nicht nur die Pandemie die Ursache, es geht auch um kaufmännische Versäumnisse und einen Strukturwandel. Das Virus hat für viele einfach das Fass zum Überlaufen gebracht.

Wird die Pandemie den Wandel – Stichwort Digitalisierung und Ausbluten der Geschäfte in der Innenstadt – beschleunigen?

Das ist so. Den strukturellen Wandel sehen wir schon jetzt am eigenen Arbeitsplatz: Das Homeoffice ersetzt das Büro, das wird auch Auswirkungen auf die Größe von Büros und Vermietungen haben. Der elektronische Handel ist der Gewinner der Pandemie – darunter leidet der Einzelhandel vor Ort. Den Trend gab es schon vor der Coronakrise – jetzt hat er sich enorm verstärkt.

Was könnte eine Insolvenzwelle für Köln bedeuten?

Es wird viel Platz entstehen, zum Beispiel in der Gastronomie, bei den Kinos, Theatern, in der Veranstaltungsbranche. Schon an den Menschen, die wir momentan beraten, zeichnet sich das ab. Aber es wird auch wieder Neues kommen. Es wird weiter in Richtung Digitalisierung und Homeoffice gehen, mit allen Auswirkungen für den Handel und die Arbeit.

Zu Ihnen kommen viele Menschen, die verzweifelt sind. Was macht den Reiz Ihres Jobs aus?

Die Kreativität des Insolvenzrechts ist interessant. Man lernt sehr viel über Betriebswirtschaft, darüber, womit einzelne Branchen zu kämpfen haben; und man erhält Einblicke in ganz unterschiedliche Bereiche. Das finde ich einmalig. Und es ist schon auch so, dass ich Dankbarkeit erfahre: Wir können Menschen Orientierung und Auswege bieten.

Nehmen wir an, ich komme als Gastronom zu Ihnen, dessen Kneipe nicht schlecht lief, aber auch nicht blendend, und der jetzt überschuldet ist und keine Perspektive sieht. Wie sieht ihr Insolvenzplan aus?

Das hängt vom Typ ab. Häufig arbeiten wir mit Auffanggesellschaften, die von Schuldnern, Wettbewerbern oder Investoren gegründet werden – die dann zu einem Neustart führen. Auch der Schuldner selbst kann im laufenden Insolvenzverfahren weiterhin selbstständig tätig sein. Dabei bleiben Arbeitsplätze erhalten. Wenn kaufmännisches Unvermögen zu der Pleite geführt hat, lässt sich das mit einem Neustart auf Dauer nicht auffangen, dann ist häufig das Ende da. Wenn wir das nachvollziehen können, sagen wir es unseren Kunden möglichst schonend.

Das Gespräch führte Uli Kreikebaum

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