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Kölner Jurist über Hass-Kommentare„Man darf einem nicht voreilig den Mund verbieten”

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Wehrte sich erfolglos gegen schwere Beleidigungen vor Gericht: Renate Künast

  • Das Urteil aus Berlin bezüglich der Beleidigungen gegen Renate Künast hat viele empört.
  • Der Kölner Jurist Nikolas Gazeas wirft dem Gericht grobe handwerkliche Fehler vor. Er erklärt in diesem Interview aber auch, warum die Grenze zur Beleidigung so schwer auszumachen ist.
  • Außerdem erläutert er, welche Möglichkeit man als Privatperson hat, gegen Beleidigungen im Internet vorzugehen. Es sei leider ein steiniger Weg, sagt er.

Herr Gazeas, das umstrittene Berliner Urteil, wonach die teils heftigen Beleidigungen gegen Grünen-Politikerin Renate Künast nicht strafbar sein sollen, hat viele Menschen empört – Sie auch?

Dieser Beschluss des Landgerichts Berlin ist durch und durch irritierend. Das Gericht hat die zu Recht liberale Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit falsch angewandt. Der Beschluss enthält zwei schwere handwerkliche Fehler.

Welche sind das?

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Erstens haben die Richter bei allen Äußerungen, die Frau Künast gegenüber gemacht wurden, entschieden: Das ist keine Schmähkritik. Das trifft jedoch auf einzelne Äußerungen nicht zu. Einerlei, worum es in einer Debatte geht: Bei den Begriffen »Drecksfotze« und »Stück Scheiße« kann es nie um eine Auseinandersetzung in der Sache gehen, hier steht immer die Diffamierung der Person im Vordergrund. Und genau das ist Schmähkritik, die den Straftatbestand der Beleidigung erfüllt.

Was ist der zweite Fehler?

Der andere grobe Fehler ist, dass das Gericht an einem Punkt mit seiner Prüfung aufgehört hat, an dem Juristen eigentlich erst die Ärmel hochkrempeln müssen. Die Persönlichkeitsrechte von Frau Künast auf der einen und das Recht auf Meinungsfreiheit auf der anderen Seite hätten gegeneinander abgewogen werden müssen. So verlangt es auch das Grundgesetz. Diese Abwägung hat das Gericht gar nicht erst angestellt. Ich gehe daher auch davon aus, dass der Beschluss von der nächsthöheren Instanz aufgehoben wird und einzelne Ausdrücke als strafbare Beleidigung kategorisiert werden.

Wo hört denn die Meinungsfreiheit auf? Wo fängt der Hass an? Gibt es da eine klare juristische Grenze?

Das Problem, das wir gerade bei den Beleidigungsdelikten haben, ist, dass eine klare Grenze zwar existiert, aber es teilweise schwer ist, sie auszumachen. Das Bundesverfassungsgericht sagt zu Recht, dass die Meinungsfreiheit »schlechthin konstituierend« ist für eine Demokratie. Beleidigungsdelikte müssen so ausgestaltet sein, dass auch ein hart geführter Diskurs in der Gesellschaft zulässig ist. Man darf einem also nicht voreilig den Mund verbieten. Das ist in einer freiheitlichen Demokratie auch sehr wichtig.

Spielt es bei der rechtlichen Bewertung eine Rolle, ob ich einen prominenten Politiker beleidige oder meinen Nachbarn?

Menschen, die im öffentlichen Diskurs stehen, vor allem Politiker, müssen tatsächlich mehr einstecken, weil sie sich eben zu vielen umstrittenen Themen exponiert äußern. Sie müssen überzogene Kritik und auch Polemik daher faktisch in größerem Maße dulden als Lieschen Müller – aber auch ihre Ehre ist selbstverständlich geschützt.

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Wie kann ich mich als Privatperson gegen Drohungen oder Hassposts im Internet wehren?

Ich kann Strafanzeige erstatten, und ich kann den zivilrechtlichen Weg beschreiten, etwa um eine Unterlassung durchzusetzen oder Schadensersatz einzuklagen. Aber beide Wege sind in der Praxis leider in der derzeitigen Form zuweilen sehr steinig.

Warum ist das so?

Die Beleidigung ist strafrechtlich ein sogenanntes absolutes Antragsdelikt und als Privatklagedelikt ausgestaltet. Das heißt, sie wird überhaupt nur dann verfolgt, wenn der Betroffene Strafanzeige erstattet – mit wenigen Ausnahmen. Die Beleidigung wird nur dann durch die Staatsanwaltschaft verfolgt, wenn dies im öffentlichen Interesse ist. Meistens wird der Betroffene auf den Privatklageweg verwiesen. Das bedeutet, er muss selbst mit einer eigenen Art Anklageschrift vor Gericht klagen. Er trägt das Kostenrisiko, und es muss ein Sühneversuch vor Klageerhebung durchgeführt werden.

Was empfehlen Sie?

Gar nichts zu machen wäre das falsche Signal. Ich halte den Weg von Frau Künast, zivilrechtlich gegen Hassposts vorzugehen, für wichtig und richtig – und daneben den strafrechtlichen Weg. Was man auf jeden Fall tun kann, ist, vom Betreiber einer sozialen Plattform die Löschung des Posts zu verlangen. Darauf besteht nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz ein Anspruch. Das Gesetz hat aber noch Schwachstellen. Die konsequente Löschung reicht auch nicht, wenn man das Phänomen bekämpfen möchte.

Was schlagen Sie vor?

Man kann darüber nachdenken, dass Beleidigung nicht länger ein absolutes Antragsdelikt sein sollte, sondern dass die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet sein müssten, vor allem bei »Hate Speech« im Internet, sofern sie eine Breitenwirkung hat, von sich aus zu ermitteln. Auch ein besserer strafrechtlicher Schutz von Politikern vor Hasskriminalität ist überlegenswert.

Das würde die Staatsanwaltschaften noch viel mehr belasten.

Das ist richtig. Aber gerade in Köln gibt es ein sehr gutes Beispiel: Das Land hat hier mit der ZAC, der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime, bei der Staatsanwaltschaft Köln eine Spezialeinheit geschaffen, die sich mit engagierten Staatsanwälten auch speziell um »Hate Speech« im Internet kümmert. Von diesen Einheiten bräuchte es bundesweit viel mehr.

Inwieweit haften Facebook oder Twitter als Verbreiter solcher Hassbotschaften?

Social-Media-Plattformen sind erst einmal nichts anderes als eine Pinnwand. Deshalb haften die Unternehmen zunächst nicht für einen Post. Sie sind aber verpflichtet, solche Botschaften in einer bestimmten Frist zu löschen, wenn sie darauf hingewiesen werden. Tun sie das nicht, kann man sie unter anderem zivilrechtlich abmahnen.

Aber müsste man nicht auch Facebook beim Kampf gegen Hassbotschaften stärker in die Pflicht nehmen?

Der Staat sollte für den Bürger mehr Möglichkeiten schaffen, auch außerhalb des Strafrechts gegen Hetzer vorgehen zu können. Die FDP hat hier einen guten Vorschlag eingebracht. Den individuell Betroffenen soll ein eigener zivilrechtlicher Auskunftsanspruch zustehen mit niedrigeren Hürden. Entscheiden soll immer ein Richter. Damit hätten Sie die Möglichkeit, juristisch gegen denjenigen vorzugehen, wenn Sie das wollen. Die gesellschaftliche Diskussion ist angestoßen – vielleicht ein Stück weit auch dank des irritierenden Beschlusses der Berliner Richter. Dann hätte er ungewollt auch etwas Gutes.

ZUR PERSON

Nikolaos Gazeas ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Partner einer auf Strafrecht spezialisierten Kanzlei in Köln. Der Jurist ist zudem Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln. (ksta)

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