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Kölner KarnevalWie Stadt und Einsatzkräfte gegen Saufexzesse und Wildpinkler vorgehen

Lesezeit 6 Minuten
Die Polizei trennt aggressive Jugendliche in der Mühlenstraße.

Die Polizei trennt aggressive Jugendliche in der Mühlenstraße.

  • Nichts stört die Kölner am Karneval mehr als Saufexzesse und Wildpinkler, hat die Online-Umfrage Jeck-Check des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ergeben.
  • Köln bereitet sich laut Ordnungsamtschef an Weiberfastnacht am kommenden Donnerstag auf einen „Großkampftag“ vor. 1000 Polizisten sind im Kwartier Latäng, der Südstadt, der Innenstadt und am Rheingarten im Einsatz.
  • Wir verraten, wie sich die Stadt Köln, das Ordnungsamt, Polizei und Rettungskräfte auf die intensivste Zeit des Jahres vorbereiten.

Köln – Auf dem Platz vor Groß St. Martin pinkeln Betrunkene vor den Bauzaun, der die Kirche schützt – statt die Dixi-Klos daneben zu benutzen. Das Kopfsteinpflaster ist mit Glassplittern, Müll und Erbrochenem besprenkelt. Auf der Wiese liegen Komatrinker.

Die Schwestern und Brüder der Klostergemeinschaft von Jerusalem, die an der Kirche leben, um die Ruhe des Glaubens in die Stadt zu tragen, flüchten vor dem Rosenmontag aufs Land. Das Szenario wiederholt sich nahezu alle Karnevalsjahre wieder. Bernhard, ein Obdachloser, der vor der Basilika übernachtet und auf dem Platz seine Tage verbringt, sagt: „Karneval ist die schlimmste Zeit. Da verlieren die Menschen ihre Menschlichkeit.“ Er selbst werde „zu keiner anderen Zeit im Jahr öfter beschimpft“. 

Nichts stört Kölner mehr als Saufexzesse und Wildpinkler

Nichts stört die Kölner am Karneval mehr als Saufexzesse und Wildpinkler,  hat die Online-Umfrage Jeck-Check des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ergeben, an der sich fast 8000 Leserinnen und Leser beteiligt haben. 70 Prozent der befragten Frauen und 66 Prozent der Männer sind von den Auswüchsen des Feierns genervt. Schunkeln, Verkleiden, Alltag und Sorgen vergessen – darauf können sich fast alle einigen. Aber der Karneval ist oft nicht ohne seine würdelosen Begleiterscheinungen zu haben: grapschen, sich übergeben, in Hauseingänge pinkeln.

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99 Prozent der Jecken feiern friedlich. Aber einige verlieren auch Jahr für Jahr die Kontrolle.

„Auf der Zülpicher Straße ist eine positive Entwicklung zu sehen“

Die Behörden haben in den vergangenen Jahren einiges getan, um die Exzesse einzudämmen: Nach einem Sessionsauftakt mit einem traurigen Rekord an Strafanzeigen und sexuellen Übergriffen am 11.11. 2017 berief die Stadt einen „Runden Tisch Straßenkarneval“ ein. Für die Plätze beschloss die Stadt zusammen mit Wirten, Anwohnern und Festkomitee ein Glasverbot. „Die Verletzungen durch Glas sind dadurch in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen“, sagt Wolfgang Büscher, Leiter des Ordnungsamts, bei der Pressekonferenz zum Kölner Karneval am Montag im Historischen Rathaus. „Gerade auf der Zülpicher Straße ist eine positive Entwicklung zu sehen“, ergänzt Michael Kramp, Sprecher des Festkomitees. „Das Glasverbot und die Bespielung einer Bühne haben dazu geführt, dass sich die Beschwerden der Anwohner stark vermindert haben.“

Mehr Beschwerden kommen von Wirten, da einige Straßen im Studentenviertel in den vergangenen Jahren schon mittags abgesperrt wurden und womöglich auch deswegen manche Kneipen halb leer blieben. Um einen Ansturm zu bestimmten Zeiten zu verhindern, verraten die Verantwortlichen dieses Jahr nicht, wann beliebte Bands wie Querbeat und Kasalla an Weiberfastnacht auf der Uni-Bühne auftreten werden.

1000 Polizisten und 700 Ordnungskräfte im Einsatz

In der Altstadt und im Kwartier Latäng  stellt die Stadt dieses Jahr wieder rund 700 mobile Toiletten auf, um Wildpinklern vorzubeugen. 1000 Polizisten sind allein an Weiberfastnacht im Kwartier Latäng, der Südstadt, der Innenstadt und am Rheingarten im Einsatz. Auch die Wachen werden personell deutlich verstärkt.  Das Ordnungsamt stellt an den Spitzentagen 215 eigene Mitarbeiter ab, zum Vergleich: 2018 waren es 140. Dazu kommen 470 Einsatzkräfte von privaten Sicherheitsfirmen.

Schon seit vielen Tagen klappern Bedienstete der Stadt Kioske und Kneipen ab, um über die beträchtlichen Geldstrafen zu informieren, die verhängt werden, sobald Alkohol an Minderjährige verkauft wird. Die Streetworker, die besonders derangierte Jugendliche betreuen, arbeiten dieses Jahr erstmals nicht nur am Fischmarkt, sondern auch im Bereich des Zülpicher Platzes. Die Kinderkrankenhäuser an der Amsterdamer Straße und in Porz sowie die Uniklinik sind auf die Einlieferung zahlreicher Jugendlicher vorbereitet, die einen Filmriss haben, weil sie sturzbetrunken sind.

Köln bereitet sich auf einen „Großkampftag“ vor

Die Feuerwehr rechnet mit täglich 70 bis 100 Prozent mehr Notrufen: „An einem normalen Tag gehen bei uns 1000 Notrufe ein, an Karneval sind es 1700 bis 2000“, sagt Christian Miller, Chef der Kölner Feuerwehr. „Wir richten 26 Unfallhilfsstellen ein und arbeiten täglich mit 200 bis 250 Einsatzkräften zusätzlich.“ Köln bereitet sich auf einen „Großkampftag“ vor, wie  Ordnungsamtschef Wolfgang Büscher  formuliert.

Die KVB setzt bis zu doppelt so viele Bedienstete ein wie an normalen Tagen im Jahr –  auch, um schwere Unfälle mit Karnevalisten zu verhindern, die es in den vergangenen Jahren immer wieder gab.

Anwohner flüchten aus der Stadt

Am Montag ist in der Altstadt die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm zu erleben. Auf dem Alter Markt wird die große Bühne aufgebaut. An den Hintereingängen einiger Kneipen parken Getränkelieferanten. Eine Gruppe älterer amerikanischer Touristen schlendert durch das Sträßchen Auf dem Rothenberg.

Eine Stadtführerin berichtet von der Gründung der Stadt in der Römerzeit. „Der »Stadt-Anzeiger« hat unsere Straße ja vor einem Jahr »die Gasse des Grauens« getauft“, sagt Stephanie Klein, die seit 25 Jahren Auf dem Rothenberg wohnt. „In den Tagen ab Weiberfastnacht ist das nicht falsch. Die Wildpinkler, von denen es hier jede Menge gibt, machen mich richtig aggressiv. Ein paar Leute, die sich nicht im Griff haben, machen viel aus.“

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 Sie flüchte dieses Jahr nach Paris, sagt Klein, die sich wundert, dass „einige Mauern hier sich noch nicht zersetzt haben“. Sie deutet auf ein Bauwerk am Rote-Funken-Plätzchen, das nicht nur an Karneval manchen als Klo diene. Tatsächlich ist in einer Ecke eine verdächtige Pfütze zu sehen. Auf die Rückseite des Mäuerchens ist ein Spruch der Roten Funken graviert, in dem es (auf Kölsch) heißt, dass der Karnevalist so viel säuft, wie der Magen vertragen kann. Von den Karnevalstouris kann den Spruch leider keiner lesen.

Hilfe bei sexueller Belästigung

Im vergangenen Jahr hatte eine junge, als Engel verkleidete Frau einen Mann in Kampfanzug unweit der Altstadtgasse verzweifelt angeschrien, er solle sie endlich in Ruhe lassen und aufhören, sie anzufassen – Erfolg hatte sie erst, als zwei andere Männer den Angetrunkenen zur Rede stellten. Bewährt hat sich der Stadt zufolge das Edelgard-Mobil, das an den Tagen am Zülpicher Platz, Ecke Hohenstaufenring direkt an der Herz-Jesu-Kirche stehen wird: Mädchen und Frauen, die sich belästigt fühlen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden, erhalten hier Hilfe.

Mit einem Edelgard-Emblem gekennzeichnet sind Kölner Geschäfte, Restaurants, Kneipen, Apotheken, Bürgerzentren und Netzwerke, die sich der Initiative angeschlossen haben. „Unter edelgard.koeln.de finden Mädchen und Frauen die Schutzräume“, sagt Bettina Mötting, städtische Gleichstellungsbeauftragte, die die Kölner auffordert, „respektvoll miteinander zu feiern“.

Karneval in Köln: Polizei kündigt frühzeitiges Vorgehen an

Die Polizei kündigt an, „frühzeitig und entschlossen gegen all diejenigen vorzugehen, die Karneval für Schlägereien, Diebstähle oder andere Straftaten missbrauchen“. Gewalttäter würden rasch in Gewahrsam genommen. „Wir werden gemeinsam mit unseren Partnern alles dafür tun, dass die Menschen in Köln friedlich und sicher Karneval feiern können“, sagt Polizeidirektor Michael Tiemann. An die Kölner appelliert er, „Grenzen einzuhalten und ein Nein zu akzeptieren. Dafür braucht die Polizei auch die Unterstützung der Feiernden. Alle Mitarbeiter von Stadt und Polizei sind jederzeit vor Ort ansprechbar oder können über den Notruf 110 oder 112 informiert werden.“

Feuerwehrchef Christian Miller nutzt die Pressekonferenz im Rathaus, um auf eine Selbstverständlichkeit hinzuweisen, die längst keine mehr ist: „Bitte machen Sie die Rettungswege im Notfall frei, statt mit den Einsatzkräften Späße zu machen.“ Der Respekt gegenüber Amtspersonen habe abgenommen, hat Miller festgestellt. „Dass die Hemmschwelle sinkt, lässt sich im Karneval, aber auch abseits beobachten.“

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