Kölner KlinikstreikSo liefen die harten Verhandlungen ab

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Streik der Pflegekräfte 

Die Pflegerinnen und Pfleger an den sechs Unikliniken in Nordrhein-Westfalen werden deutlich entlastet. In der Nacht zu Dienstag haben sich die Spitzen der Kliniken mit der Gewerkschaft Verdi auf Eckpunkte für einen neuen Tarifvertrag geeinigt – nach 79 Streiktagen und wochenlangen Verhandlungen. Sowohl die Kliniken als auch die Pflegerinnen und Pfleger gehen von erheblichen Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen und auch in der Patientenversorgung aus. Mit der Unterzeichnung kommt eine der größten deutschen Krankenhausbewegungen, die mit einem 100-tägigen Ultimatum im Januar begann, zu ihrem Ziel.

Was sind die zentralen Inhalte des neuen Tarifvertrags?

Grundlage des Vertrags sind bessere Personalschlüssel, vor allem in patientennahen Berufsgruppen innerhalb der Kliniken. Außerdem hat die Gewerkschaft eine umfangreichere persönliche Anleitung für Auszubildende sowie zusätzliche Tage für Selbstlernzeit erreicht.

Warum haben die Verhandlungen so lange gedauert?

Um sicherzustellen, dass die festgelegten Bedingungen vor Ort tatsächlich geschaffen werden, forderte Verdi, die Belastung pro Schicht künftig präzise zu bemessen. Sind die Arbeitsbedingungen schlechter als vereinbart, bekommen die Angestellten automatisch einen Belastungsausgleich in Form von freien Tagen oder Geld.

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Dieser Sanktionsmechanismus war der entscheidende Knackpunkt der Verhandlungen, bis zuletzt versuchten die Kliniken, ihn zu entschärfen. Der bürokratische Aufwand sei zu hoch, eine Umsetzung unrealistisch, hieß es. Zwischenzeitlich stellten die Kliniken eine Deckelung auf bis zu acht zusätzliche freie Tage pro Jahr in den Raum. Für Verdi war ein fester Sanktionsmechanismus nicht verhandelbar: Ohne ihn sei der gesamte Vertrag entwertet, weil die Kliniken nicht unter Druck stünden, die festgelegten Untergrenzen tatsächlich einzuhalten.

Ein weiteres Problem waren die Uneinigkeiten zwischen den sechs Kliniken. Während etwa Edgar Schömig als Verhandlungsführer der Kliniken eine vermittelnde Rolle einnahm, wehrte sich die Uniklinik Bonn vehement gegen die Forderungen – und versuchte vor Gericht erfolglos, ein Ende des Streiks zu erwirken. Zu Beginn des Streiks weigerten sich die Unikliniken lange, überhaupt an den Verhandlungstisch zu kommen und Angebote vorzulegen. Auch, weil es rechtliche Hürden gab: Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder, der die Kliniken zu Beginn des Streiks angehörten, lehnten Verhandlungen ab.

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Welche Rolle spielt die Politik?

Eine mitentscheidende Rolle. Die neu gebildete Landesregierung aus CDU und Grünen betonte die Autonomie der Tarifpartner – und versprach, die Finanzierung eines neuen Vertrages nach der Einigung sicherzustellen. Explizit sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) der Gewerkschaft öffentlich zu, dass das Land die zusätzlichen Kosten, die nicht von den Krankenkassen getragen werden, übernehme. Für beide Seiten war dies ein entscheidendes Signal.

Auch wurden die Kliniken aus der Tarifgemeinschaft gelöst, um autonom in Verhandlungen treten zu können. Ende Juni gelang eine entsprechende Änderung des Hochschulgesetzes im Landtag mit den Stimmen der neuen schwarz-grünen Koalition sowie der Fraktionen von SPD und AfD. Nun konnten die Unikliniken aus dem Arbeitgeberverband austreten und eigenständig Tarifverhandlungen führen.

Wie hat sich die Ärzteschaft positioniert?

Viele Ärztinnen und Ärzte unterstützten das Anliegen der Pflegenden, für bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Patientenversorgung einzustehen. Dennoch wurde der Streik wegen der Auswirkungen auf die Behandlungen von Ärzten teils sehr kritisch gesehen, aus unterschiedlichen medizinischen Bereichen wurden klinikübergreifend offene Briefe publiziert, in denen gefordert wurde, den Streik während der Verhandlungen auszusetzen.

Der Kölner Onkologe Michael Hallek etwa erklärte im Juni in einem Schreiben, das er gemeinsam mit den Fachkollegen der anderen Standorte verfasste, die umfassende Einbeziehung der Krebsmedizin in die Streikmaßnahmen „in dem derzeitigen, massiven Ausmaß ist neu und wird von uns mit allergrößter Sorge gesehen.“ Man könne den Betroffenen spezielle Therapieverfahren und chirurgische Eingriffe nicht vorenthalten – und auch nicht in andere Häuser verlegen. „Sie müssen wegen der extremen Belastung heimatnah durchgeführt werden, damit Patientinnen und Patienten in dieser extremen Situation die seelische wie soziale Unterstützung ihrer Familien und Freunde erhalten können“, heißt es. Briefe wie dieser wurden in Teilen der Belegschaft als Torpedierung des Arbeitskampfes gelesen.

Wie reagieren die Kliniken auf den Kompromiss?

Mit Erleichterung. „Nach harten Verhandlungen sind wir sehr glücklich über die gefundene Lösung und das bevorstehende Ende des Streiks“, sagte Edgar Schömig, Verhandlungsführer für die sechs Kliniken und Vorstandsvorsitzender der Kölner Uniklinik. Mit den vereinbarten Eckpunkten seien die Unikliniken in Nordrhein-Westfalen künftig Vorreiter bei den Arbeitsbedingungen und in der Patientenversorgung.

„Wer in einer Uniklinik arbeitet, kann sich zukünftig sicher sein, dass es zumindest national keine besseren Rahmenbedingungen in anderen Krankenhäusern gibt“, so Schömig weiter. Frank Schneider, Chef der Düsseldorfer Uniklinik und zweiter Verhandlungsführer, ergänzte, es habe von Anfang an einen gemeinsamen Nenner in den Gesprächen gegeben: „Pflege braucht Entlastung. Die Kolleginnen und Kollegen leisten täglich herausragende Arbeit. Dies wurde nicht zuletzt in der Corona-Pandemie sichtbar.“ Die Frage des Ausgleichs für besonders hohe Belastung sei eine Herausforderung gewesen. „Aber natürlich ist Krankenhaus Teamarbeit, und so konnten wir auch hier gute Kompromisse finden.“

Wie reagieren die Streikenden?

Mit Jubel. Die Organisation des Streiks war in den vergangenen Wochen zunehmend kräftezehrend – und viele Pflegende ermüdet von den Notbesetzungen. Die Gewerkschaft musste punktuell dafür kämpfen, dass auf den Stationen tatsächlich nur die Notbesetzung arbeitet. Mitglieder der Tarifkommission fühlten sich teilweise unter Druck gesetzt, wenn sie für Verhandlungen freigestellt waren und ihre Station nicht unmittelbar unterstützen konnten.

Umso größer war die Freude am Dienstag. „Die Einigung bedeutet für mich sehr viel“, sagte Intensivpfleger Dominik Stark aus der Tarifkommission. „Es ist ein Meilenstein, wir können nun wieder neue Kraft und Motivation schöpfen, sodass wir tatsächlich menschenwürdige Pflege auf hohem Niveau anbieten können. Es ist ein Zeichen. Ich bin wirklich stolz auf unsere Bewegung.“

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