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Kölner Kult-TheaterDie Millowitsch-Ära endet nach sieben Generationen

Lesezeit 5 Minuten

Köln – Weil es Besonderes zu verkünden gab, hatte sich Peter Millowitsch jedes Wort seiner Erklärung aufgeschrieben. Es hätte die Gefahr bestanden, dass er sonst ins Stottern kommen könnte, wie er sagte. „Mit mir endet in Köln eine wunderbare Ära, die über sieben Generationen gedauert hat.“

Der Schritt falle ihm nicht leicht, denn er „lebe und atme das Millowitsch-Theater“, seit er denken könne. Einmal noch den „Etappenhase“, dann ist Schluss. Der 68-Jährige bringt ein letztes Mal das Stück auf die Bühne, mit dem das Kölner Millowitsch-Theater im Oktober 1953 erstmals live im Fernsehen zu sehen war. Es war die erste Live-Übertragung eines Bühnenwerks im Deutschen Fernsehen überhaupt.

Mit der Komödie Stück schließe sich ein Kreis. Er habe alle männlichen Rollen im „Etappenhase“ gespielt – außer der Hauptrolle, die seinem Vater Willy vorbehalten war. Der Stückwahl lässt sich leicht eine weitere symbolische Bedeutung geben. Schließlich war die Kooperation mit dem Fernsehen, die mit dem „Etappenhase“ begann, eine wichtige Stütze des Volkstheaters, das ohne städtische Subventionen auskommen musste.

Mit dem Ausstieg des WDR im vergangenen Jahr sei ein „Partner von der Fahne gegangen, der einen Teil der finanziellen und organisatorischen Belastung getragen hat“, so Peter Millowitsch. So werde ihm „das alles einfach zu anstrengend“.

Nachfahren wollen nicht weiter machen

Dass mit seinem Rückzug eine große Geschichte einer Theater-Dynastie enden würde, war schon lange klar. Es gibt keine Nachfahren, die weiter machen könnten. Eigene Kinder hat Peter Millowitsch keine. Seine drei Schwestern Katharina, Susanne und Mariele wollten nicht in die Fußstapfen des großen Vaters Willy treten und Volksschauspielerinnen werden. Auch die Nichten und Neffen von Peter wollten nicht.

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Peters älteste Schwester saß am Dienstag bei der Pressekonferenz im Theaterfoyer an der Aachener Straße in der letzten Reihe, um den Bruder zu unterstützen. Begeistert sei keiner der Geschwister, dass es nun zu Ende gehe, aber die Entscheidung sei verständlich und richtig. „Es ist gut, in Würde aufzuhören“, sagt Katharina Eisenlohr-Millowitsch.

Man weiß nicht so ganz genau, wann die Geschichte der kölschen Theater-Dynastie begann. Ein Briketthändler mit Namen Michael Millowitsch, wahrscheinlich damals „Millewitsch“ geschrieben, spielte Ende des 18. Jahrhunderts im Rechtsrheinischen Theaterstücke mit Stockpuppen. Sein Sohn Franz Andreas professionalisierte den Nebenjob seines Vaters mit einer mobilen Bühne an der Deutzer Schiffsbrücke und verkürzte den Passanten, die auf die andere Rheinseite wollten, die Wartezeit. Auch er hätte wohl gerne mit seinem Theater die Rheinseite gewechselt, doch die Stadt gab ihm keine Spielerlaubnis.

In der linksrheinischen Altstadt etablierte sich zur gleichen Zeit der Konkurrent Johann Christoph Winter mit dem Hänneschen-Theater. Den Puppenspieler auf der „Schäl Sick“ soll er verspottet haben, in dem er den Holzkopf der Schäl-Puppe so wir Franz Andreas Millowitsch aussehen ließ.

Wie Stockpuppen durch Schauspieler ersetzt wurden

Nach den durchaus bescheidenen Anfängen der Geschichte der Theater-Familie war nicht absehbar, dass sich in den folgenden rund 200 Jahren eine Erfolgsstory entwickelen sollte. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ersetzte der Enkel des Puppenspielers, Wilhelm Josef Millowitsch, die Stockpuppen durch richtige Schauspieler, brachte Schwänke, Parodien und Revuen auf die Bühne.

Die Geschichte der Familie, die immer wieder auch die Geschichte der Stadt mitgeprägt hat, gäbe selbst genug Stoff fürs Theater her: Erfolge und Krisen, Rivalitäten und große Gefühle sowie als immer wiederkehrendes Motiv die oft nicht einfachen Beziehungen zwischen Vätern und Söhnen. Zur Aufführung kämen Liebesgeschichten und Dramen, wie das von einem Millowitsch der bei einem Operetten-Gastspiel seine Stimme verloren haben soll. Umjubelt würden starke Frauen wie die „kölsche Duse“ Emma, die dem Theater von 1909 bis 1920 zum endgültigen Durchbruch verhalf, oder die beliebte Filmschauspielerin Lucy, die später einräumte, Schwänke eigentlich gar nicht zu mögen.

Mit Lucy Millowitsch und ihrem Bruder Willy verbindet sich auch die komplizierte Zeit des Theaters zwischen Überlebenswillen und Anpassung während der NS-Zeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie von Oberbürgermeister Konrad Adenauer aufgefordert, das Theater an der Aachener Straße, das seit 1936 ihre Heimat war, schnell wieder zu eröffnen. „Se kriejen alles, was Se brauchen. Die Kölner müssen wieder wat zu lachen haben“, soll Adenauer gesagt habe.

Kölscher Superstar und Ehrenbürger

Aus Willy wurde ein kölscher Superstar und ein Ehrenbürger, der keinen Schulabschluss brauchte. Viele unvergessene Auftritte verbinden sich mit seinen letzten Lebensjahren, so wie seine Zuckmayer-Rezitation bei der „Arsch Huh“-Kundgebung oder die letzte große Fahrt durch seine Stadt auf einem Wagen des Rosenmontagszuges 1998. Da lagen ihm auch diejenigen zu Füßen, die dem, was er und sein Sohn im Theater machten, nichts abgewinnen konnten.

Die Gattung des Schwanks ist nicht erst nach dem Ende der TV-Übertragungen von vielen tot gesagt worden, erst recht wenn sie in einer Mundart präsentiert wird. Auch Peter Millowitsch hat immer wieder mal Zweifel an ihrer Zukunftschance geäußert. Er reduzierte die Zahl der Aufführungen.

Seit zweieinhalb Jahren heißt das „Millowitsch-Theater“ „Volksbühne am Rudolfplatz“. Millowitsch ist nur noch einer von vielen Nutzern, wenn auch der „Lieblings-Hauptmieter“, wie Volksbühnen-Chef Birger Steinbrück am Dienstag versicherte. Mit seinem aktuellen Stück sorgt er – allen Unkenrufen über das Ende des Schwanks zum Trotz – noch mal für viele ausverkaufte Vorstellungen.

Was kommt, wenn im Frühsommer 2019 der letzte Vorhang für das Millowitsch-Ensemble fällt, ist noch nicht ausgemacht. Die Volksbühne selbst hatte gehofft, dass der Kölner Komiker Marc Metzger mit einem modernen Volkstheater-Stück neue Wege gehen könnte. Doch Metzger sagte das mit Spannung erwartete Projekt ab. Es ist nicht einfach, neben dem Scala-Theater, das eine ganz eigene Form des kölschen Volkstheaters pflegt, die Tradition fortzusetzen.

Millowitsch hat ein Konzept

Die Fans von Peter Millowitsch dürfen aber hoffen, dass er es mit dem Ruhestand nicht ganz so ernst nehmen wird. Dass er das Ende des Millowitsch-Theaters verkünde, müsse ja nicht heißen, „dass ich nichts mehr mache und dass dieses Haus für den Schwank verloren ist“. Er will weiter inszenieren und Regie führen. „Es gibt ein Konzept, das aber noch ausreifen muss.“

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