Kölner Lehrer„Diese Verschwörungs-Videos gehören in alle Schulen“

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Im Unterricht haben Lehrer die Chance, über Verschwörungsvideos aufzuklären.

Köln – Hannes Loh (47) ist Mitbegründer der Hip-Hop-Gruppe Anarchist Academy. Er engagiert sich gegen rechtsradikale Texte im Rap. Ein Gespräch mit dem Lehrer für Deutsch und Geschichte über Gansterrap, 

Herr Loh, Sie waren vor Ihrer Zeit als Lehrer selber Rapper und gelten als einer der wichtigsten Beobachter dieser Subkultur. Wie hat sich der Rap verändert?

Gangsta-Rap kommt aus den ärmsten Vierteln der amerikanischen Großstädte. Die Rapper waren junge Leute ohne Zugang zu Ressourcen. Die einzige Möglichkeit, Ansehen zu erlangen, war maximale verbale Konfrontation und musikalische Kreativität. Prekäre soziale Verhältnisse und Nähe zur Diaspora sind auch für den Gangsta-Rap in Deutschland typisch. Doch im Gangsta-Rap und vor allem im Battle-Rap (dt.: Kampf) geht es um eine schamlose Selbsterhöhung, um aus dieser Machtposition auf Schwache verbal erniedrigend einzuschlagen. Das hat sich in den letzten Jahren zugespitzt, und diese Zuspitzung ist kein Zufall.

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Zur Person

Hannes Loh (47) ist Mitbegründer der Hip-Hop-Gruppe Anarchist Academy, mit der er mehrere Alben veröffentlichte. Er engagiert sich gegen rechtsradikale Texte im Rap und ist  mit Sascha Verlan Autor des Standardwerks „35 Jahre HipHop in Deutschland“. Der Lehrer für Deutsch und Geschichte am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Pulheim  lebt in Ehrenfeld.

Warum ist das kein Zufall?

Weil diese Musik auch der Soundtrack zum neoliberalen Kurs unserer Gesellschaft ist. Rap ist in einem sozialen Milieu entstanden, in dem Kinder nicht genug Ressourcen bekommen und sich verbal ermächtigen. Draus entstehen auch Überkompensations-Fantasien junger Männer: Ich will mehr Geld, das größte Auto und die Frauen sollen mir gefälligst zu Füßen liegen. Und was ist die Antwort unserer Gesellschaft? Wir leisten uns ein viergliedriges Schulsystem mit dem Gymnasium als Flaggschiff und sortieren „die Asis“ und die Migrantenkids aus auf die Hauptschulen.

Aber es hören doch auch sogenannte bürgerliche Kinder diese Musik ...

Stimmt. Deshalb horchen wir jetzt auf. Weil auch die gutbürgerlichen Gymnasiasten durch die vermeintliche verbale Verrohung bedroht sind. Dabei war Antisemitismus im Hip Hop immer wieder mal Thema, alle hätten es wissen können. Jetzt machen wir uns plötzlich Sorgen.

Warum ist Battle-Rap auch bei den vermeintlich Privilegierten so populär?

Es sind Allmachtsfantasien junger Männer in der Pubertät. Die Musik bietet den Jungs ein hypermaskulines Bild von Männlichkeit, an dem sie sich gerne orientieren. Die Bilder eignen sich zudem für die Rebellion gegen die Eltern, um sich von ihnen abzugrenzen. Zudem ist es der wohlig-gruselige Blick durchs Schlüsselloch ins Ghetto: Psychologisch suchen wir die Vergewisserung, dass wir anders sind als diese prekären Existenzen und spüren darin unsere moralische Überlegenheit. In den 90ern gab es Kanak-Comedy à la Erkan und Stefan. Da war es angesagt, sich lustig zu machen über Migranten, die nicht so gut Deutsch konnten. Nach dem Motto: Ich tu jetzt mal so, als wäre ich ein „Kanake“, aber ich bin natürlich keiner. Das ist der gleiche Mechanismus.

Plötzlich sind alle erschrocken darüber, dass Rapper wie Kollegah antisemitisches Gedankengut verbreiten. Wo liegt hier die Aufgabe der Schulen?

Wir müssen als Pädagogen offensiv damit umgehen, wenn wir wirklich Verantwortung übernehmen wollen. Die gruppenbezogene Menschenverachtung hat zugenommen: Trump diffamiert Migranten und Frauen, Beatrix von Storch für die AfD im Bundestag Flüchtlinge. Und da wundern wir uns, dass sich Sexismus, Antisemitismus und Homophobie auch in der Jugendkultur äußern. Kollegah ist mit seinen antisemitischen Versatzstücken kein unbedeutender Hinterwälder: Alle Schüler kennen seine Videos, in denen der Teufel einen Davidstern trägt und er von einer Welt singt, in der Christen, Muslime und Buddhisten friedlich zusammen leben. Aber eben keine Juden. Auf der anderen Seite ist es in den populären Battle-Rap-Veranstaltungen seit Jahren üblich, sich auf übelste Weise rassistisch zu äußern.

Was raten Sie konkret?

Diese Verschwörungsvideos gehören in alle Schulen! Man muss sie in der Klasse gemeinsam anschauen und sezieren. Gerade weil es an den Schulen sowohl muslimische Schüler mit israelfeindlichen Tendenzen gibt, als auch solche, die sich islamfeindlich äußern. Im Grunde sind die Videos und Musiktexte Anlässe, um über Werte zu reden. Damit kommt man meiner Erfahrung nach sehr weit. Diese Musik ist in diesem Sinne pädagogisch eine Riesenchance. Der bloße Zeigefinger mit einem „Geh zum Direktor und hol dir deine Strafe ab“ ist dagegen sinnloses pädagogisches Handeln.

Aber wenn die Schüler mit einem: „Das ist doch nur Spaß und nicht ernst gemeint“ kontern, wird dem Lehrer doch sofort der Wind aus den Segeln genommen.

Das ist das Standardargument der Schüler. Wenn einem Kind das Mäppchen geklaut wird, heißt es auch immer, dass das doch nur Spaß war. Hier muss man klar sagen: Für mich ist das Ernst und wenn der Rapper das so sagt, setzt er eine Wahrheit. Ich werbe für den Perspektivwechsel: Wir tun mal so, als ob das ernst gemeint wäre. Was würde dann passieren? Im Grunde geht es darum, Empathie in der Schule einzuüben. Das fällt Jugendlichen – gerade durch den Hirnumbau im Rahmen der Pubertät – ungemein schwer. Man muss ihnen klar machen, dass Worte etwas mit Menschen machen.

Warum ist der Zuspruch für solche teilweise menschenverachtenden Texte so groß?

Unter anderem, weil Schule keine Ressourcen für Softskills wie Einfühlungsvermögen oder soziale Kompetenz zur Verfügung stellt beziehungsweise gestellt bekommt. Es geht nur um Leistung und darum, den Stoff durchzubringen. Das erzeugt ein Klima des Drucks und der Rücksichtslosigkeit. Wenn die Gesellschaft keine Ressourcen für Demokratiearbeit zur Verfügung stellt, dann haben wir am Ende eben die starken Männer mit den dicken Eiern, die sich nehmen, was ihnen vermeintlich zusteht...

„Wir unterrichten Fächer statt Kinder“

Wie könnte die Demokratiearbeit in der Schule verankert werden?

Statt stur das Curriculum abzuarbeiten, sollte man den Kindern beibringen, wie sie einen Klassenrat abhalten können. Man muss mehr Ressourcen in Bindungsarbeit stecken. Wenn etwa ein Kind als „Du Jude“ beschimpft wurde, ist der Klassenrat der Rahmen, um dem Beschimpfer klar zu machen, was das für das andere Kind bedeutet und dass die Gemeinschaft einen solchen Umgang nicht duldet. Statt einfach nur zu strafen, muss man auf die Beziehungsebene gehen. Im Grunde sind auch das Anlässe, um über Werte zu reden.

Wie soll das im eng getakteten Schultag mit wenig Freiheiten gehen?

Das ist – neben den ministeriellen Vorgaben – auch eine Entscheidung der jeweiligen Schule. Wir fokussieren uns zu sehr auf den Fachunterricht. Wir unterrichten Fächer statt Kinder. Der Klassenrat ist auch Prophylaxe, weil es dann in der Gruppe eine wertschätzende Kultur des Sprechens und Aushandelns gibt. Dann werden rassistische oder antisemitische Tendenzen selbstbewusst thematisiert und leichter überwunden. Nur dann sind antisemitische Tendenzen aufzuspüren. Soviel ist klar: Wenn ein Problem im normalen Unterricht den Wahrnehmungspegel des Lehrers erreicht, ist es definitiv zu spät.

Statt sich über Rap-Texte zu empören, könnten wir ja auch die Frage stellen, was die Gesellschaft damit zu tun hat, dass es solche Themen plötzlich so stark gibt.

Das ist in der Tat die viel interessantere Frage. Der Battle-Rap ist auch ein Ausdruck des Rechtsrucks und des Populismus in unserer Gesellschaft. Ich mache mir mehr Sorgen um das Problem dahinter: das soziale Auseinanderdriften der Gesellschaft. Die Frage ist doch: Wie können wir Kindern und Jugendlichen Alternativen aufzeigen zu den neoliberalen Selbstoptimierungs- und Leistungs-Fantasien? Wie können wir uns für eine inklusive Gesellschaft stark machen, in der die Abwertung einzelner Gruppen keinen Platz mehr findet? Und wie können wir das nicht nur in den hübschen Vororten erreichen, sondern auch dort, wo genau diese Musik herkommt?

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