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Kölner Polizisten zum „Tatort“„Würde bei der Obduktion auch ein Mettbrötchen essen“

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Tatortcheck

Lutz Martschinke (Polizeisprecher, r.) und Markus Weber (Mordkommission) im Polizeipräsidium in Kalk.

  • Lutz Martschinke ist Polizeibeamter im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Er berät u.a. Krimi- und Drehbuchautoren, die sich mit Fragen an die Polizei Köln wenden.
  • Markus Weber ist Leiter einer Mordkommission der Polizei Köln und ermittelt seit mehr als 30 Jahren in Tötungs- und Gewaltdelikten.
  • Im Interview sprechen die beiden über Realismus in „Tatort“-Folgen, die Kölner Kommissare und Mettbrötchen bei Obduktionen.

Herr Martschinke, die Polizei Köln bietet Drehbuch- und Krimiautoren eine kostenlose Beratung an. Was wollen die von Ihnen wissen? Martschinke: Wir haben zum Beispiel gerade eine Anfrage einer Krimi-Autorin, die wissen möchte, wie lange es dauert, bis eine Leiche verwest. Aber eigentlich müsste sie diese Frage eher einem Chemiker stellen. Ein Privatsender hat sich mal erkundigt, ob ein Polizeiermittler im Rollstuhl realistisch sei. Ein anderer fragte, ob die Tochter des Kommissariatsleiters auch dessen Stellvertreterin sein könnte.

Mit Ihren Antworten sind Sie dann sicher oft der Spielverderber.

Martschinke: Die Frage nach dem Ermittler im Rollstuhl konnten wir bejahen. Meine große Überschrift bei der Autorenberatung ist immer: Wir stehen der künstlerischen Freiheit nicht im Weg. Wir freuen uns, wenn ein gutes und realistisches Bild der Polizeiarbeit dargestellt wird. Aber wir schreiben niemandem etwas vor, können wir ja auch gar nicht. Wir sagen nur, wie es im wirklichen Leben ist. Oft passt das nur nicht überein mit den Vorstellungen der Drehbuchautoren, die eine bestimmte Idee im Kopf haben.

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Was stört Sie am meisten in Fernsehkrimis?

Martschinke: Ach, ich erzähle zum Beispiel seit vielen Jahren immer das gleiche, und trotzdem ist im „Tatort“ der uniformierte Polizist immer noch derjenige, der dem Ermittler das Flatterband hochhält. Das ist unrealistisch. Und „Abführen!“ hast du wahrscheinlich auch noch nie zu einem uniformierten Kollegen gesagt, oder?

Weber: Nein, das ist Quatsch. Ich will nicht ausschließen, dass ein uniformierter Kollege das Flatterband aus Höflichkeit hochhält. Aber das ist nicht seine Aufgabe. Kaffee zu kochen übrigens auch nicht. Ich habe früher als Statist bei zwei oder drei Folgen von „Eurocops“ mit Heiner Lauterbach mitgemacht. Da durfte an der Absperrung auch nie das Blaulicht fehlen, das musste immer dabei sein. In der Realität sperren wir gar nicht jeden Tatort ab, im Gegenteil: Wir wollen nicht unbedingt die Aufmerksamkeit auf uns lenken, wenn wir einen Tatort aufnehmen. Das machen wir lieber in Ruhe.

Martschinke: Ein Schauspieler, der im Fernsehen einen Ermittler darstellt, schilderte mir mal eine geplante Szene, einen Zugriff mit SEK-Kräften, bei dem der Ermittler dabei sein sollte. Man sieht das ja ganz oft in Krimis: Die SEK-Kräfte sind alle vermummt und geschützt, und der Kommissar läuft in normaler Kleidung mit.

Weber: Viel zu gefährlich, das würde ein SEK niemals zulassen.

Martschinke: In der entsprechenden Szene hat der Schauspieler dann nachher wenigstens eine Schutzweste getragen.

Gucken Sie „Tatort“?

Weber: Ja, eigentlich immer, wenn ich sonntagabends nicht Besonderes vorhabe. Ich finde das unterhaltsam. Klar, manchmal denkt man: Was machen die da jetzt schon wieder? Aber das ist halt ein Film. Ich finde beim „Tatort“ eher schwierig, dass der für meinen Geschmack hier und da zu sozialkritisch wird und der Krimi dann nicht mehr so im Vordergrund steht.

Wer sind Ihre Lieblingskommissare?

Weber: Ich finde den „Tatort“ aus Münster ganz gut, weil da auch Satire eine Rolle spielt. Wobei es natürlich völlig unrealistisch ist, dass der Rechtsmediziner da so mit ermittelt.

An dieser Stelle des Interviews klingelt das Handy von Markus Weber. Der Klingelton: die „Tatort“-Titelmelodie. Weber lacht. „Das passt doch jetzt super.“

Was halten Sie von Ihren Kölner „Tatort“-Kollegen Schenk und Ballauf?

Weber: Ich finde die gut. Allerdings ist es nicht normal, dass denen der Staatsanwalt immer so reingrätscht. In der Realität kann der Staatsanwalt zwar bestimmte Ermittlungshandlungen anordnen. Er kann aber keinem Polizeibeamten sagen, wie er zu arbeiten hat. Er kann auch kein Disziplinarverfahren gegen einen Kollegen einleiten oder ihn von einem Fall abziehen. Er ist schließlich nicht unser Dienstherr. Wir sprechen uns natürlich ab, der Staatsanwalt nimmt vielleicht auch mal an einer Vernehmung teil, aber er platzt da nicht rein und poltert nicht herum. Das habe ich noch nie erlebt. Was auch unrealistisch ist: In dem hochgelobten Kölner „Tatort“, der auf den Philippinen spielt, rennen die beiden Kommissare mit der Knarre in der Hand in Manila über die Müllkippe. Das gibt’s nicht. Wir dürfen gar nicht mit der Waffe ins Ausland fahren.

Gibt es denn ein „Tatort“-Team, das besonders realitätsgetreu ermittelt?

Weber: Eine realistische Polizeiserie im Fernsehen ist die „Soko 5113“, so wie sie am Anfang war. Heute heißt sie „Soko München“. Die haben zum Beispiel immer auch das gesamte Team dargestellt. Und da saß auch mal einer am Computer und hat seinen Bericht geschrieben. Als Leiter einer Mordkommission verbringe ich 90 Prozent meiner Zeit am Schreibtisch. Unsere Arbeit geht ja auch nach der Festnahme weiter, oft wochen- oder monatelang. Wir müssen die Akten gerichtsverwertbar machen und als Zeugen vor Gericht auftreten. Aber das gäbe natürlich keinen spannenden Film her.

Martschinke: Vor allem das, was in diesen Scripted-Reality-Formaten im Privatfernsehen als Polizeiarbeit verkauft wird, ist nicht im Sinne unserer polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit. Wenn man da genau hinguckt, treffen die vermeintlichen Polizisten auch viele unrechtmäßige Maßnahmen. Das unterstützen wir nicht. Einige Kollegen in unserer Behörde haben die Genehmigung, in ihrer Freizeit und in ihrer Uniform Statistenrollen im Fernsehen zu übernehmen. In so ziemlich jedem Kölner „Tatort“ sieht man zum Beispiel immer ein und denselben Kollegen im Hintergrund am Flatterband stehen. Aber die Mitwirkung an Scripted-Reality-Formaten wird den Kollegen ausdrücklich nicht genehmigt.

Im Fernsehen ist das Verhörzimmer meistens ein kahler Raum: schwache Beleuchtung, ein Tisch in der Mitte, eine Kamera in der Ecke und ein venezianischer Spiegel, hinter dem die Staatsanwälte zugucken. Wo vernehmen Sie hier im Präsidium Zeugen und Beschuldigte

Weber: In normalen Büros. Ein Verhörzimmer gibt es bei uns nicht. Aber schlecht wäre das nicht. Der Raum müsste ja nicht abgedunkelt sein wie im Fernsehen, aber ein neutrales Zimmer mit einem Tisch und einem Mikrofon darauf, angenehmer Beleuchtung und einer Kamera in der Ecke – das entspräche schon meinen Vorstellungen. Das wird vielleicht auch bald kommen. Seit diesem Jahr ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass Vernehmungen von Beschuldigten bei Tötungsdelikten und anderen schwerwiegenden Delikten auf Video aufgezeichnet werden müssen. Die Niederländer machen das schon seit Jahren, die haben dafür auch speziell eingerichtete Räume. Oft mit einer Art Regieraum daneben für die ganze Technik. Da kann dann vielleicht auch mal jemand bei einer Vernehmung zusehen. Man könnte sagen: In dieser Hinsicht ist uns das Fernsehen einen Schritt voraus.

Martschinke: Beim Thema Datenübermittlung aufs Smartphone war der „Tatort“ auch einen Hauch schneller als die Wirklichkeit. Fahndungsbilder über Apps auf die dienstlichen Smartphones der Kollegen zu schicken zum Beispiel ist eine sehr gute Sache. Das machen wir inzwischen auch.

Im Fernsehen spuckt der Polizeicomputer auf Knopfdruck alle möglichen Informationen über einen Tatverdächtigen aus: wo er wohnt, wo seine Frau arbeitet, auf welche Schule seine Kinder gehen. Was können Sie am Computer über eine Person auf die Schnelle in Erfahrung bringen?

Weber: Ad hoc kann ich Adressen überprüfen und feststellen, ob eine Person polizeilich bekannt oder zur Fahndung ausgeschrieben ist. Ihren Job oder den Arbeitgeber kriege ich so ohne weiteres erstmal nicht raus. Wir können natürlich andere Behörden anfragen und müssen dann abwarten, ob die bestimmte Daten zuliefern können und dürfen. Für vieles brauchen wir allerdings einen Beschluss vom Gericht, und das kann eine gewisse Zeit dauern.

Stichwort Tatortaufnahme: Welche Fehler machen die TV-Ermittler da?

Weber: Das hat sich in den letzten Jahren ja schon deutlich gebessert. Schimanski ist da immer reingerannt ohne Schutzanzug und Handschuhe. Wobei auch heute noch der Spurensicherer im Fernsehen seine Arbeit im Schutzanzug macht, und der Ermittler, der keinen trägt, läuft den Kollegen im Weg rum. Ein richtiger, realer Tatort-Mann würde den sofort rausschmeißen. Bei der Tatort-Arbeit ist oberste Prämisse, dass man geschützt reingeht, um keine Spuren zu legen oder durcheinanderzubringen. Als in Köln 1986 eine Bombe im damaligen Verfassungsschutz-Gebäude an der Inneren Kanalstraße hochging, sind da auch einige hohe Herren sofort hingerannt und wollten gucken. Vor allem als junger Polizeibeamter an der Absperrung hast du dann natürlich ein Problem. Wenn man konsequent ist, sagt man: Ne, da geht jetzt keiner rein, und wenn’s der Minister ist.

TV-Kommissare vernehmen Verdächtige und Zeugen gerne in deren Wohnzimmer. Und der Befragte macht nebenbei noch die Wäsche, kocht oder räumt auf. Wie gehen Sie vor?

Weber: Wichtige Zeugen und Beschuldigte werden hier bei uns auf der Dienststelle befragt. Wir fahren zu ihnen hin und bitten sie mitzukommen. Zwingen können wir sie ohne Haftbefehl oder andere wichtige Gründe allerdings nicht. In der Regel vereinbaren wir mit ihnen einen Termin, an dem sie dann zur Dienststelle kommen. In seltenen Fällen befragen wir einen Zeugen vielleicht auch mal zu Hause. Aber wir lassen den nebenher natürlich nichts anderes machen, schon aus Eigensicherungsgründen. Nachher holt der noch eine Waffe raus.

Eine immer wiederkehrende Szene in Fernsehkrimis ist diese: Kommissar und Rechtsmediziner beugen sich über die Leiche, trinken dabei Kaffee und essen Croissants. Quatsch, oder?

Weber: Also, ich würde auch während der Obduktion ein Mettbrötchen essen. Hätte ich kein Problem mit. Das mache ich natürlich nicht, aber was ich damit meine, ist: Ich bin nicht mehr so empfindlich, dass mir das etwas ausmachen würde. Wir hatten allerdings auch schon Kollegen, auch Staatsanwälte, die haben hier im Büro nur ein Foto von einer Leiche gesehen, und auf einmal lagen sie hinter uns auf dem Boden.

Martschinke: Ich bin Leichen in meiner Dienstzeit wo immer es ging aus dem Weg gegangen. Jeder Polizist erinnert sich noch an seine erste Leiche. Und nicht alle entwickeln dann so große Fachkenntnisse wie der Kollege Weber. Ich jedenfalls bin in dieser Hinsicht immer sehr distanziert gewesen, ich kann das nicht gut.

Weber: Damit muss man umgehen können, klar.

Martschinke: Nicht jede Leiche ist frisch gestorben. Ich erinnere mich an die Sommerleichen, die tagelang in der Wohnung gelegen haben. Dieser Geruch kommt im Fernsehen ja gar nicht rüber. Dabei ist das ein ganz wesentliches Element bei der Arbeit.

Weber: An diesen Geruch gewöhnt man sich auch nicht. Es ist mir zwar noch nicht passiert, aber ich will nicht ausschließen, dass ich auch irgendwann mal kurz zur Seite gehen müsste. Das ist tagesformabhängig.

Wie viele Leichen haben Sie schon gesehen in 26 Dienstjahren bei der Mordkommission?

Weber: Ein paar hundert werden es gewesen sein.

Was reizt Sie so an diesem Job?

Weber: Ich wollte das immer schon machen. Schon in der Schulzeit. Genau diesen Job. Als Kind kommst du da ja schnell durch das Fernsehen hin. Du merkst zwar dann später genauso schnell, dass es in Wahrheit anders läuft. Aber es ist schon einer der spannendsten Berufe, die es gibt. Tötungsdelikte sind die interessantesten Fälle. Aber ganz wichtig ist: Man muss abschalten können. Wenn man alles mit nach Hause nimmt, kommt vielleicht tatsächlich irgendwann der Punkt, an dem es nicht mehr geht.

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Wie gelingt Ihnen das denn – abschalten?

Weber: Zum Beispiel indem ich mich nach bestimmten Einsätzen mit den Kollegen zusammensetze und rede. Zu Hause kann nicht jeder alles erzählen. Wenn wir aber untereinander über die Arbeit sprechen, wird durchaus auch schon mal der ein oder andere Witz gemacht. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Mechanismus, damit sich die Dinge gar nicht erst so weit aufschaukeln. Außerdem bietet die Polizei ihren Beamten heute Möglichkeiten der psychologischen Betreuung.

Ein Mordermittler beim Psychologen – auch das kennt man zunehmend aus dem „Tatort“.

Weber: Vor 20 Jahren war das ganz  anders. Die alten Mordermittler bei der Polizei glaubten noch, sie müssten nach außen hin ein bestimmtes Bild verkörpern. Das waren die harten Jungs. Die konnten sich gar nicht leisten, Schwächen zu zeigen. Heute wird deswegen keiner mehr komisch angeguckt.

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