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Kölner Sommer 1984Ein-Liter-Milchflaschen sind aus den Regalen verschwunden

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milchversorgung

Köln – „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer? Ein Sommer, wie er früher einmal war?“ trällerte einst Rudi Carrell. Guter Sommer, schlechter Sommer. Wie waren die Sommer früher denn wirklich? Was war los in den großen Ferien? Wir sind ins Redaktionsarchiv gestiegen, um nach schönen, verrückten, nassen, sonnigen oder lustigen Geschichten zu suchen. Jeden Tag werden wir eine dieser Geschichten im Original abdrucken, so, wie sie im „Kölner Stadt-Anzeiger“ stand. Der folgende Artikel stammt aus dem Sommer 1984:

Während auch das Land Nordrhein-Westfalen wie Bayern den Umweltschutz in der Landesverfassung verankern will, endet ein Projekt, das als besonders umweltfreundlich gepriesen worden war. Die Milchversorgung Rheinland (MVR) stellt den Vertrieb von Milch in Mehrweg-Glasflaschen wegen „mangelnder Wirtschaftlichkeit“ ein. Damit ist ein Experiment gescheitert, das 1980 vom damaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum angeregt und von ihm in Köln dargelegt worden war. Sein „Signal gegen die Wegwerf-Gesellschaft“ verklingt in einer Zeit, in der besonders laut nach Umweltschutz gerufen wird.

Manch umweltbewusster Mitbürger ist enttäuscht. Zum Beispiel Paul Feltes (31). Die Ein-Liter-Milchflaschen sind aus den Regalen des Lebensmittelgeschäfts in Lindenthal verschwunden, in dem er regelmäßig kauft. Leergut könne noch bis zum 31. Juli zurückgebracht werden, steht auf einem Hinweisschild im Laden. Feltes und Ehefrau Gerta, Eltern der zweieinhalbjährigen Katrin, konsumieren täglich zwei bis drei Liter Milch. Sie waren überzeugte Flaschenkäufer. „Da hatte man doch immer das Gefühl, als Einzelner etwas gegen die Müllberge zu unternehmen.“

Reinigung belastet Wasser

Dass es ein bisschen lästiger ist, die Glasflaschen zu transportieren, als Milch im Pappkarton, haben die beiden gerne in Kauf genommen. Ebenso Ursula Boucherie, Mutter von zwei Söhnen, zumal sie fand: „Die Milch aus Flaschen schmeckte einfach besser.“ Durch den Karton werde der Geschmack negativ beeinflusst, glaubt sie.

Ärgerlich ist Lutz Meier. „Ich bin sauer“, sagt er und begreift die Begründung der Milchversorger nicht. „Bei uns im Geschäft an der Subbelrather Straße mussten wir schon morgens früh kommen, um überhaupt Flaschen zu bekommen, so gefragt waren die.“ Dr. Wilma Walgenbach, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des MVR, beteuert hingegen, der Absatz der Milch in Glasflaschen sei stetig zurückgegangen. Die Anlage in Aachen, wo auch Milch für den Kölner Raum abgefüllt wurde, sei zuletzt nur noch eineinhalb Stunden am Tag ausgelastet gewesen. Für 1981 dagegen hatte der Geschäftsbericht seines Unternehmens noch einen wahren „Drang zur Mehrwegflasche“ und eine Absatzsteigerung der Flaschenmilch von 100 Prozent festgestellt.

Natürlich würden bei allen Entscheidungen der MVR Umweltaspekte berücksichtigt, schreibt Walgenbach als Antwort auf die Protestbriefe. Sie gibt zu bedenken, dass die Reinigung der Glasflaschen in Haushalt und Molkerei Belastungen für den Wasserhaushalt mit sich bringe. Außerdem legte sie ein Gutachten bei, das vom Gesichtspunkt des Umweltschutzes aus weder für Kartonverpackungen noch für Glasflaschen eindeutige Vorzüge feststellt.

Untersuchungen des Umweltbundesamtes kämen zur gleichen Einschätzung, sagt Dr. Hans Herman Bentrup, Gruppenleiter im Landesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Und: „Der Staat ist außerdem nicht in der Lage, den Vertrieb von Flaschenmilch zu subventionieren“. So müsse die Entscheidung der MVR hingenommen werden. Fest stehe, dass deren Abfüllanlage in Aachen veraltet sei und zusätzlicher Investitionen bedürfe. Und diese, sagt die Milchversorgung, lohnten sich angesichts der geringer gewordenen Nachfrage nicht. Bentrup hält den Wegfall der Glasflaschen auch im Interesse kleiner und mittlerer Lebensmittelgeschäfte für „besorgniserregend“. „Die haben oft das Pfandflaschenangebot als Lockmittel genutzt“. Andererseits wird gerade dem Handel der Schwarze Peter zugeschoben, wenn es um die Frage geht, warum die Pfandflasche sich nicht durchgesetzt habe. Von Anfang an hatten Einzelhändler, vor allem große Unternehmen der Branche, darauf hingewiesen, dass Flaschen zu viel Raum in den teuren Kühltheken beanspruchten und das Leergut zusätzliche Arbeit mache.

Milch aus dem Zapfhahn

Ist womöglich nicht ausreichend für die Mehrwertflasche geworben worden? Dass es eine ganze Anzahl umweltbewusster Milchkunden gibt, hat die private Kölner Molkerei Hockerts und Söhne festgestellt. Das Unternehmen bietet schon seit einer geraumen Zeit „Milch aus dem Zapfhahn“ an, und dieses Angebot, sagt Klaus Hockerts, werde in einigen Gebieten gern angenommen. „Wir haben mittlerweile in unserem Einzugsgebiet 16 Zapfautomaten aufgestellt.“

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