Kölner SPDAnzeige wegen Sexualdelikts – Beschuldigter wieder im Rat

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Sitzung im Kölner Stadtrat

  • Ein Ratspolitiker von der SPD wurde wegen eines schweren Sexualdelikkts angezeigt.
  • Nun ringt die Partei um den richtigen Umgang mit der hochexplosiven Angelegenheit.
  • Der Beschuldigte selbst bestreitet die Vorwürfe und will auch seine Ämter nicht länger ruhen lassen.

Köln – Mit Norbert Walter-Borjans und Karl Lauterbach gelten zwei Kölner Sozialdemokraten als aussichtsreiche Kandidaten für den Vorsitz der SPD-Bundespartei; ein dritter, Rolf Mützenich, ist Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Eine Expertengruppen macht sich Gedanken über die Zukunft des Steuersystems; nächste Woche beginnt eine Veranstaltungsreihe zur Zukunft der Arbeit. Das alles klingt nach Vitalität, Gestaltungswillen und einer starken bundespolitischen Präsenz der Kölner Genossen. Doch tatsächlich beherrscht eine lähmende Debatte die Kölner SPD. Hinter den Kulissen wird mit harten Bandagen gestritten. Der Umgang mit einer Anzeige gegen einen SPD-Ratspolitiker wegen eines schweren Sexualdelikts spaltet die Partei.

Es gibt keinerlei Erfahrungen, wie man so einem Thema umgehen kann. „Das ist mit nichts vergleichbar“, sagt Parteichefin Christiane Jäger. Eine Genossin erhebt Vorwürfe gegen einen führenden Sozialdemokraten. Dieser beteuert seine Unschuld. Er sagt, er sei sicher, dass die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen einstellen wird.

Die Parteichefin steht für einen zurückhaltenden Kurs

Die Parteispitze hat intern vereinbart, dass die Kommunikation in dieser hoch explosiven Angelegenheit nur über die Chefin laufen soll. Christiane Jäger steht für einen besonnenen, zurückhaltenden Kurs. Die SPD stehe vollkommen zum Rechtsstaatsprinzip, sagt sie. Dazu gehöre „selbstverständlich auch die Unschuldsvermutung“, so lange nicht klar ist, ob die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt. Jägers Kurs ist umstritten. Mancher fordert schon jetzt, politische Konsequenzen gegen den Beschuldigten zu ziehen.

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Jusos scheren sich nicht um Appelle der Parteispitze

Vor allem die Jusos scheinen wenig von den mäßigenden Appellen zu halten. Sie drohen mit Wahlkampf-Boykott und Parteiaustritt. Außerdem hat die Jugendorganisation der SPD eine alles andere als besonnene Kampagne im Internet gestartet. Die Jusos fordern uneingeschränkte Solidarität mit Opfern sexueller Gewalt. Es sei falsch, dass die Unschuldsvermutung gegenüber dem Beschuldigten so betont werde. Die Parteispitze wird sogar aufgefordert, „in die Tonalität der Presseberichte“ einzugreifen. Einige Medien hatten über Hintergründe der Anzeige spekuliert und thematisiert, dass diese für Machtkämpfe instrumentalisiert werden könnte.

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Für die Medien ist der Umgang mit dem Thema tatsächlich ähnlich kompliziert wie für die Verantwortlichen in der Partei des Beschuldigten. Solange nicht Anklage erhoben wird, bleibt der Persönlichkeitsschutz eine Selbstverständlichkeit, der Name des Beschuldigten darf nicht genannt werden – erst recht, da es sich um einen Tatvorwurf handelt, der nichts mit der politischen Arbeit des Beschuldigten zu tun hat. Doch gleichzeitig hat die SPD-Fraktion selbst vor den Sommerferien aus dem Vorgang eine politische Nachricht gemacht, indem sie offiziell mitteilte, dass ein Fraktionsmitglied seine Ämter ruhen lässt, weil es angezeigt wurde.

Im Gegensatz zur Parteivorsitzenden entschied sich Christian Joisten, der Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, für einen offensiveren Umgang, bei dem intern immer klar war, um wen es ging.

Sogar der Name der Anzeige-Erstatterin ist vielen bekannt

Die Fraktion wurde in einer Sondersitzung informiert. Danach wussten es auch alle, die sonst im Rathaus ein und aus gehen. Mehr noch: Während der Name des Beschuldigten weiterhin in keiner Kölner Zeitung auftauchte, wurde Menschen, die nichts mit der Kölner SPD zu tun haben, sogar der Name der Anzeige-Erstatterin bekannt.

Nicht wenige in der SPD kreiden dem Fraktionschef sein Krisenmanagement als Fehler oder gar politisches Machtspiel an. Er sagt, dass er keine Alternative zu seinem Handeln gesehen habe. Genau wie Parteichefin Jäger argumentiert er damit, Schaden abwenden zu wollen. Dass sie das auf fast gegensätzliche Weise tun, sagt viel über die Gemengelage in der SPD aus, in der Juristen zur Zeit Hochkonjunktur haben. Nicht nur die unmittelbar Betroffenen lassen sich juristisch beraten. Doch auch dies befördert nicht gerade ein abgestimmtes Vorgehen.

Wann die Staatsanwaltschaft entscheidet, ist offen

So hat der Beschuldigte entschieden, seine Ämter wieder wahrzunehmen. Hätte er am Mittwoch in der Ratssitzung gefehlt, wäre der Persönlichkeitsschutz nicht mehr gewahrt. Die Namen der Fehlenden werden protokolliert. Fraktionschef Joisten hätte wohl besser gefunden, wenn der Stuhl im Ratssaal frei geblieben werde. Man strebe eine „Übereinkunft“ an, „die den Persönlichkeitsrechten und berechtigten Interessen der Anzeigestellerin wie des betroffenen Ratsmitglieds Rechnung trägt“, so Joisten am Donnerstag.

Persönlichkeitsschutz, Unschuldsvermutung, der Wunsch, nichts bagatellisieren zu wollen, und gleichzeitig politisch handlungsfähig zu sein – das alles lässt sich nur schwer verbinden. Und so behindert der Vorgang auch den Nominierungsprozess für die Kommunalwahl. Bis zu den Herbstferien sollen die SPD-Ortsvereine ihre Kandidaten gewählt haben. Dass über jemanden abgestimmt werden soll, der wegen eines Sexualdelikts angezeigt wurde, möchten die meisten vermeiden – auch der Beschuldigte selbst will das nicht. Wie lange es dauert, bis die Staatsanwaltschaft zu einem Ergebnis kommt, ist offen. Sie verspricht, zügig zu ermitteln.

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