Kölner Spendenkonvoi in Bosnien„Die Zustände sind eine Katastrophe”

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Die geflüchteten Menschen schlafen in Zelten auch bei Minustemperaturen.

Köln – Sie leben in leerstehenden Häusern, Ruinen oder unter freiem Himmel in Wäldern. Schätzungsweise 9000 Flüchtlinge sollen sich derzeit im bosnischen Nordwesten aufhalten, längst nicht alle haben einen Platz in den wenigen, überfüllten Camps erhalten. Aber auch dort ist das Leben hart: Der Winter ist längst mit Minustemperaturen eingebrochen und es fehlt an Decken, warmer Kleidung und Heizungen für die Menschen. Wasser und Lebensmittel sind knapp, die medizinische Versorgung ist schlecht. „Die Zustände sind eine Katastrophe“, sagt die Kölner Medizinerin und Mitglied des Kölner Hilfskonvois, Clara Lehn.

Seit drei Jahren organisiert eine kleine Gruppe von Kölnerinnen und Kölnern Spendenfahrten nach Bosnien. In diesem Jahr hat sie 20.000 Euro an Spenden für ehrenamtliche Helfer und Helferinnen sowie Nichtregierungsorganisationen in die Region Una Sana an der Grenze zu Kroatien gebracht. Zudem verteilen die Kölner 14 Paletten mit Hilfsgütern – vor allem Decken, Schlafsäcke, Winterkleidung und Handys. „Es fehlt an allem und es ist bitterkalt“, sagt Jonathan Sieger, Geschäftsführer der Grünen, der den Treck begleitet. Die Kölner Hilfsaktion war 2018 entstanden, als ein Freund Sieger anrief und über die prekären Zustände der Geflüchteten in Bosnien berichtete.

Kein Strom, kein Wasser, keine Heizung

Die Vorstandssprecherin des Spendenkonvois, Beatrice Haller, die wir mit Clara Lehn per Telefon im bosnischen Bihac erreichen, ist zum ersten Mal im Balkanland und ist schockiert über die Situation der Geflüchteten. „Man kann sich nicht vorstellen, wie Menschen hier leben müssen.“ In den Lagern gäbe es keinen Strom, kein Wasser und keine Kanalisation. „Es riecht nach Kloake, ein Herd für die Ausbreitung von Krankheiten wie Durchfall“, ergänzt Lehn. Zudem mache sich Krätze unter den Geflüchteten breit.

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Die Kölner arbeiteten indessen unter schlechten Bedingungen. Selbst einfache Wunden könnten kaum sauber gehalten werden. Kürzlich habe Lehn einen Mann mit einem entzündeten Finger medizinisch versorgt, der offenbar drei Jahre lang nicht behandelt worden war. Kranke würden in der Regel nicht in Hospitälern aufgenommen, Rettungswagen führen die Camps nicht an, so Lehn. Die Corona-Pandemie verschlimmert die Lage noch. Trotz Maskenpflicht trügen nur wenige Menschen einen Mund-Nasen-Schutz.

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Die Kölner Helfer bringen auch Stimmen von Geflüchteten mit: Etwa von Iman, der aus dem Iran flüchtete und nun in Bosnien festhängt: „Ich fühlte mich noch nie so dreckig. Wir konnten uns mehr als 36 Tage nicht adäquat waschen.“ Ein weiterer Bewohner des Camps aus Pakistan fügt hinzu: „Sie behandeln alle Menschen hier wie Kriminelle. Vielleicht sind manche ungebildet, aber wir sind keine Tiere, obwohl sie uns behandeln wie welche.“ Haller und Lehn berichteten auch über das mitunter brutale Vorgehen der kroatischen Polizei und Grenzpolizei. Flüchtlinge würden geschlagen, ihre Smartphones zerstört, Schuhe und Kleidung verbrannt. Auch sollen Geflüchtete, die schon in das EU-Land Kroatien eingereist waren, wieder nach Bosnien zurückgebracht worden sein. Das wäre illegal, denn die Flüchtlinge haben in der EU ein Recht auf ein Asylverfahren.

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Flüchtlinge in einem Lager in Bosnien

Die Stimmung in der bosnischen Bevölkerung sei gegenüber den Flüchtenden ambivalent. Es gebe Unterstützer, aber auch viel Ablehnung. Das Tauziehen um das Camp Lipa in der Nähe von Bihac ist da nur ein Beispiel. Das Camp der Internationalen Organisation für Migration sollte im Dezember geschlossen werden, weil es nur als Provisorium gedacht war und schlicht nicht für den Winter geeignet ist. Als die Flüchtlinge aber auf Anweisung der bosnischen Regierung in das Camp Bira in Bihac gebracht werden sollten, eine stillgelegte Kühlschrankfabrik, in der sie bis zum Sommer 2020 schon lebten, spielte die Kommune nicht mit, da sie massiven Widerstand in der Bevölkerung ausmachte.

Offener Brief an Seehofer

Auch eine Verlegung in andere Camps wie nach Bradina bei Sarajewo platzte. Offenbar aus Frust über das Verwaltungschaos zündeten Migranten am 23. Dezember die Zelte in Lipa an. Nun habe die bosnische Armee damit begonnen, neue Zelte aufzustellen, so Haller. Diese verfügten aber über keinen festen Boden, so dass die Flüchtlinge dort nicht leben wollen. „Die Situation der circa 1000 Geflüchteten im Camp Lipa war bereits vor dem Brand am 23. Dezember menschenunwürdig. Jetzt ist die Lage endgültig eine humanitäre Katastrophe“, sagt auch der grüne Geschäftsführer Sieger.

Die Mitglieder des Kölner Spendenkonvois, die noch bis Mitte kommender Woche in Bosnien bleiben, fordern nun in einem offenen Brief an Bundesinnenminister Horst Seehofer, dass Menschen aus Lipa auch in Köln aufgenommen werden sollen. „Es muss jetzt gehandelt werden, damit wir das Leben dieser Menschen nicht aufs Spiel setzen“, sagt Lehn.

www.koelner-spendenkonvoi.de

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