Kölner Start-up CannamedicalLetzte Hilfe Medizinal-Cannabis

Lesezeit 7 Minuten
Cannabisblüten – für viele eine sinnvolle Ergänzung zu herkömmlichen pharmazeutischen Produkten.

Cannabisblüten – für viele eine sinnvolle Ergänzung zu herkömmlichen pharmazeutischen Produkten.

  • Seit März 2017 darf in Deutschland medizinisches Cannabis legal verschrieben werden.
  • Ein Kölner Start-up zählt inzwischen zu Deutschlands wichtigsten Händlern von Medizinal-Cannabis.
  • Was hat das Gesetz Patienten und Pharmaindustrie gebracht?

Köln, Mediapark, 16. Stock. Von hier oben ist die Aussicht gigantisch, einmal die Stadt rundum, 360 Grad. Man sieht den Dom, die Brücken, das Stadion. David Henn führt durch die Büroräume – funktional eingerichtet, kein Schnick-Schnack, fast nüchtern.

Henn ist Geschäftsführer von Cannamedical. Seit März ist das Start-up über den Dächern von Köln untergebracht. Cannamedical ist einer der größten deutschen Händler für Cannabis. „Wir sind ein Pharmaunternehmen, das Medizinal-Cannabis importiert und deutschlandweit an ein wachsendes Netzwerk von bislang 2200 Apotheken verkauft“, umreißt Henn das Firmen-Profil.

Glücksfall für Patienten

Seit Inkrafttreten des „Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ am 10. März 2017 können Ärzte Cannabis per Betäubungsmittelrezept verschreiben, wie es im Behördendeutsch heißt. Für viele Patienten ist das Gesetz, um das lange gerungen wurde, ein Glücksfall: nur mit Hilfe der Cannabisblüten können sie ihre Beschwerden lindern, nachdem sie meist schon jahrelange Therapien erfolglos durchlitten haben. Kritiker hingegen verweisen auf eine diffuse Studienlage, was auch für Unklarheiten bei der Verordnung durch Ärzte sorgt. Deshalb winkten anfangs auch viele Krankenkassen ab, als immer mehr Patienten einen Antrag auf Kostenübernahme für die Behandlung mit Cannabis stellten. Begründung: Voraussetzungen nicht erfüllt.

Tatsächlich ist der juristische und medizinische Umgang in Deutschland ausgesprochen langwierig und hürdenreich. Auch deshalb wächst bislang kaum Medizinal-Cannabis in deutschen Produktionshallen oder auf deutschen Feldern, das Oberlandesgericht Düsseldorf stoppte im April 2018 das Vergabeverfahren des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) an Hanfanbauer mit der Begründung, die Ausschreibungsfrist sei zu kurz gewesen. Am gestrigen Dienstag lief im übrigen die Ausschreibungsfrist für den Anbau von Medizinal-Cannabis aus. Man kann damit rechnen, dass die ersten Cannabissorten aus Deutschland erst 2020 oder 2021 in deutschen Apotheken erhältlich sein werden

Das Interesse der Patienten an Cannabis steigt unterdessen rapide – ein Grund, warum die Kölner Pharmahändler im Aufwind sind. „Wir haben mit dem Medizinal-Cannabis ein sehr hochwertiges Produkt auf dem deutschen Markt, das sehr stark kontrolliert, unter sehr strengen pharmazeutischen Auflagen produziert und ausschließlich aus ärztlicher Indikation verschrieben wird“, sagt Henn. Man merkt an diesem Satz, wie vorsichtig der Pharmaunternehmer argumentiert, wie vermint das Gelände ist.

Henn beeilt sich denn auch, einen offensichtlichen Unterschied zum Kiffer aufzuzeigen. „Beim Medizinal-Cannabis sprechen wir im Regelfall vom Verdampfen, wozu es medizinisch zugelassene Hilfsgeräte gibt.“ Wichtiger aber: „Man sollte auch nicht vergessen, dass es sich hier um ein Produkt handelt, das bei einer Vielzahl von Leiden Linderung bringen soll und für 81 Medikationen verschrieben werden darf. Den Freizeitmarkt überlassen wir anderen“.

Umsatz von 2,2 Millionen Euro

Trotzdem sind die Kölner profitabel: 2017 erzielte Cannamedical einen Umsatz in Höhe von 2,2 Millionen Euro. Prognose für dieses Jahr: Anstieg fast um das Zehnfache. Zwei Tonnen Medizinal-Cannabis werden wohl 20 Millionen Euro in die Kassen spülen.

Und wie gab es den Urknall, wie kam man in Köln auf die Idee, Cannamedical zu gründen? Henn hatte sich schon während seines Studiums an der Cologne Business School mit der rechtlichen Situation und Klassifizierung von Medizinal-Cannabis durch die Vereinten Nationen beschäftigt. „Es war absehbar, dass sich eine veränderte gesetzliche Situation entwickelte, die erstmals Patienten den Zugang zu einer therapeutischen Alternative ermöglichte“.

Das könnte Sie auch interessieren:

Mitte des Jahres 2017 durfte das erste Mal Medizinal-Cannabis importiert werden. Die Kölner haben Zulassungen durch die Bundesopiumstelle als Großhändler, als Importeur und Verteiler. „Dass ein Markt da ist, signalisiert auch die Erhöhung der Liefermengen des Bundesgesundheitsministeriums auf 1,5 Tonnen im August 2018.

Auch die Cannamedical Pharma hat kürzlich einen Liefervertrag über eine fixe Liefermenge von 9000 Kilogramm über die nächsten 36 Monate bekannt gegeben. Insgesamt knapp 20 Tonnen habe man somit gesichert. Und perspektivisch stimmt der Markt die Kölner zuversichtlich. In Kanada, wo rund 36 Millionen Menschen leben, erhalten rund 250 000 medizinisches Cannabis. Überträgt man die Zahlen auf Deutschland, könnte es hier bald eine Million Patienten geben.

Lieferungen aus den Niederlanden und Kanada

In der Regel erhalten die Kölner monatliche Lieferungen aus den Niederlanden und aus Kanada – die meist innerhalb von wenigen Tagen verkauft sind. Die Blüten sind in zertifizierten Hochsicherheitslagern untergebracht, über deren Standort Henn aus nachvollziehbaren Gründen schweigt. Nur so viel: „Hier im Büro ist gar nichts !“ Im Gegenteil, sollte ein Mitarbeiter auch mit nur einem Gramm Cannabis im Büro auftauchen, ist er draußen. Die Verträge mit den kanadischen und niederländischen Unternehmen sind schon bis ins Jahr 2022 abgeschlossen. Cannamedical beliefert 2200 Apotheken in Deutschland, die über eine Betäubungsmittel-Zulassung verfügen. „Der Markt wird garantiert expandieren. Wir gehen davon aus, dass sich bis zu einem Prozent der Bevölkerung für eine Medikation mit Medizinalcannabis klassifiziert“.

Kölner Start-up

Seit März 2017 darf in Deutschland medizinisches Cannabis als verschreibungspflichtiges Medikament verkauft werden. Das Kölner Start-up Cannamedical war einer der ersten Händler und setzt damit Millionen um. An der Spitze des Unternehmens steht David Henn, der das Unternehmen mit drei Mitarbeitern gründete.

Wobei Henn unterstreicht, dass die Entscheidung zu einer Cannabis-Therapie immer beim Arzt liege. Aber auch hier macht der Kölner Unternehmer einen Anstieg bei der Zahl der Ärzte aus, die dem positiv gegenüber steht. Indiz: Die GKV stellte in der Schmerztherapie in den ersten sechs Monaten dieses Jahres knapp 80 000 Verordnungen für rund 30 Millionen Euro aus. Die monatlichen Bruttoumsätze von cannabinolhaltigen Fertig-Arzneimitteln und Zubereitungen stiegen von 2,3 Millionen (Juli 2017) auf knapp über sechs Millionen im Juni 2018. Auffallend hier auch der Zuwachs bei unverarbeiteten Cannabisblüten. Das klingt nach viel Geld, relativiert sich aber, wenn man sieht, wie viel die gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr insgesamt für Medikamente ausgaben: 37,7 Milliarden Euro.

„Gelebte Nachbarschaft“

Mit Blick auf den wachsenden Bedarf auf dem deutschen Markt ist sich Henn auch sicher, dass die von den Niederlanden versprochenen 1,5 Tonnen Medizinal-Cannabis für das kommende Jahr – statt bisher 700 Kilo – „bei weitem nicht ausreichen“. Vielleicht fürs erste Quartal, meint er. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn war zwar seinerzeit schier aus dem Häuschen über die Zusage unseres drogenpolitisch liberaler aufgestellte Nachbarn. So lobte der CDU-Politiker die „gelebte Nachbarschaft“ – wohl wissend, dass damit der Bedarf nicht abgedeckt ist. Die Gesamtimportmenge von rund 1,2 Tonnen Cannabisblüten im gesamten Jahr 2017 wurde nämlich bereits im ersten Halbjahr 2018 mit rund 1,62 Tonnen überschritten, wie es aus dem Ministerium hieß.

Die Kölner sind auf Wachstum eingestellt. Über 30 Mitarbeiter sind derzeit am Standort im Mediapark beschäftigt. „Wir planen, bis Jahresende die 50 zu überschreiten und suchen aktuell Mitarbeiter für unsere Büros in London, Brüssel und Montreal“, sagt Henn. Und wenn denn mal der Anbau von Medizinalhanf von den deutschen Behörden genehmigt werden sollte, sieht Henn das noch zusätzlich als Konjunkturmotor: „Wir haben viele infrastrukturschwache Gebiete, denen durch den Anbau von Cannabis geholfen werden könnte.“

Anträge bei den Krankenkassen

Barmer

Seit Inkrafttreten des Gesetzes wurden im vergangenen Jahr 3224 Anträge gestellt, davon wurden 1982 bewilligt. 2018 gab es bislang 3359 Anträge; davon wurden 2454 bewilligt und 905 abgelehnt.

Techniker Krankenkasse

Bis November hat die Techniker Krankenkasse von den 3465 Anträge auf Kostenerstattung von Medizinal-Cannabis 2253 Fälle genehmigt.

AOK

Bis November 2018 wurden bundesweit 14 460 Anträge auf Kostenübernahme von Cannabis-haltigen Arzneimitteln an die AOK gestellt. Genehmigt wurden davon zwei Drittel . Von den 1534 Anträgen im Gebiet Rheinland/Hamburg sind bislang 903 genehmigt worden. „Wir gehen davon aus, dass der Gesetzgeber in einem überschaubaren Zeitraum die Regelungen zur Erstattungsfähigkeit von Cannabis im Sinne einer besseren Patientenversorgung anpasst“, so eine AOK-Sprecherin.

Die Freigabe von Cannabis

für den Freizeitbereich in Kanada hat die Debatte um eine Legalisierung auch in deutschen Landen wieder einmal belebt. Wobei hier nicht nur von Seiten der Konsumenten, sondern auch der potenzieller Anbauer argumentiert wird.

„Natürlich entwickeln wir Konzepte für den Fall, dass auch in diesem Bereich der Konsum von Cannabis liberalisiert werden sollte. Solche Idee würden „aber nicht priorisiert vorgetragen“, sagt Cannamedical-Geschäftsführer David Henn. In Kanada hat die Entwicklung des Medizinal-Cannabismarktes auch ihren Anteil daran, dass es zu einer Öffnung des Freizeitmarktes gekommen ist. (tg)

KStA abonnieren