Kölner Studierende bangen um ihre ZukunftKulturkampf um die Sozialwissenschaft

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt (1)

Studierende im Hörsaal 

Köln – Gegen eine stärkere wirtschaftliche Ausrichtung des Studiengangs Sozialwissenschaften oder gar eine Umbenennung machen Lehramts-Studierende aus NRW mobil. Eine entsprechende Petition wurde bereits von rund 40.000 Menschen unterschrieben. Die Studierenden treibt unter anderem die Sorge um, wie viel Soziologie im neuen Studiengang noch gelehrt wird und wie viel ihr Abschluss nach einer Neuausrichtung wert ist. „Ich bin Studentin der Sozialwissenschaften. Wenn dieser Studiengang jetzt abgeschafft wird, dann bange ich um meine Zukunft“, heißt es in der Petition. „Es herrscht eine tiefe Verunsicherung“, sagt Lea Sorg, die an der Universität Köln Sozialwissenschaften und Italienisch studiert. Fraglich sei, ob Studierende, die Wirtschaft statt Sozialwissenschaft studieren nicht bessere Chancen auf einen Job hätten. „Das Land kann nicht 9000 Studierende ins offene Messer laufen lassen“, sagt auch Professorin Bettina Lösch, Politikwissenschaftlerin an der Uni Köln.

Hintergrund ist Entscheidung der Landesregierung, die unter Studierenden und Verbänden für Unruhe auslöst. Zum Anfang des laufenden Schuljahres hatte die schwarz-gelbe Koalition das Schulfach Wirtschaft/Politik in der Sekundarstufe I an weiterführenden Schulen eingeführt und damit das Schulfach Sozialwissenschaft ersetzt. Ziel ist es, die wirtschaftlichen Kompetenzen der Schüler zu stärken. Unklar ist hingegen, was die Neuausrichtung für die Ausbildung der Lehramts-Studierenden bedeutet. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD im November 2020 hatte das Schulministerium geantwortet: „Lehrkräfte mit einer Fakultas für das Fach Sozialwissenschaften dürfen Wirtschaft-Politik nur vertretungsweise unterrichten.“ Sie sollten sich in einjährigen Zertifikatskursen nachbilden lassen.

Schulministerium rudert teilweise zurück

Im Januar war das Ministerium teilweise zurückgerudert. „Bereits ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer mit dem Studienfach Sozialwissenschaften und einer entsprechenden Lehrbefähigung haben alle nötigen Voraussetzungen, das neue schulische Fach Wirtschaft/Politik fachgerecht zu unterrichten“, heißt es in einer Klarstellung. „Eine weitere Qualifizierung ist nicht notwendig.“ Universitäten werden aber angeregt, Erweiterungsstudiengänge einzurichten, mit denen Lehrkräfte eine „zusätzliche Befähigung“ im Bereich Wirtschaft erwerben können.

Alles zum Thema Universität zu Köln

Das könnte Sie auch interessieren:

Zahlreiche Studierende glauben, dass es dem Land um eine Akzentverschiebung zugunsten wirtschaftlicher Inhalte geht. „Wir vermuten, dass Sozialwissenschaft inhaltlich gestrichen werden soll“, sagt Peter Rodeck, Lehramtsstudent an der Uni Köln. Dann würden im Rahmen des Studiengangs nur noch wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analysen und politische Machtfragen, nicht aber die sozialen Auswirkungen auf die Gesellschaft im Mittelpunkt stehen. Studentin Lea Sorg findet die Neuausrichtung unnötig, weil bereits jetzt neben Soziologie auch Politik und Wirtschaft gelehrt würden.

Kritik von Dozenten und Verbänden

„Es wird darauf hinauslaufen, dass der Studiengang Wirtschaft heißen wird“, vermutet auch Politlogin Lösch. „Verlierer wird die politische Bildung sein.“ Auch die Deutsche Vereinigung für Politische Bildung NRW fordert, die Sozialwissenschaften beizubehalten. „Eine nachvollziehbare Begründung für die Abschaffung des Fachs gibt es nicht“, sagt Vorstand Reiner Schiffers. Langfristig, befürchtet der Verband, würden auch die politischen Studien- und Bildungsinhalte verdrängt.

Grüne: Politische Bildung in Schulen wird ausgehöhlt

Von einem „Geschenk an die Wirtschaftsverbände“ und einer „chaotischen Kommunikation“ spricht Bildungspolitiker Dietmar Bell. „Gesellschaftspolitisch ist das viel zu kurz gesprungen.“ Bell fürchtet, bei der Neujustierung des Schulfachs könne die politische Bildung der Schüler auf der Strecke bleiben. „Wir werden nach der Landtagswahl 2022 diese Initiative als eines der ersten Dinge wieder zurücknehmen.“ Das sieht die bildungspolitische Sprecherin der Grünen Sigrid Beer wünscht sich nach einer von rot-grün gewonnen NRW-Wahl ähnlich. Der derzeitigen Landesregierung wirft sie vor, die Sozialwissenschaften in ein Fach Wirtschaft umzugestalten. „Das ist eine Salamitaktik, am Ende bleibt nur ein reines Fach Wirtschaft.“ In den Schulen werde die Demokratieförderung ausgehöhlt.

Schüler benötigen Informationen wie unser Wirtschaftssystem abläuft“, sagt dagegen Claudia Schlottmann (CDU). Allerdings werde die Soziologie auch nach der Neuausrichtung nicht vernachlässigt. Den Studierenden riet sie, sich fortzubilden, auch wenn es keinen Zwang dazu geben werde. Schlottmann rechnet mit einer neuen Akkreditierung der fortentwickelten Studiengänge ab Herbst 2021.

Neuer Inhalt (2)

Der Campus der Universität zu Köln.

Die Uni Köln teilt mit, dass Absolventen und Absolventinnen der Sozialwissenschaften für das Kombinationsfach „Wirtschaft-Politik“ qualifiziert seien. „Wir gehen derzeit davon aus, dass für ein Studienfach „Wirtschaft-Politik“ keine relevanten inhaltlichen Änderungen erforderlich sind“, so eine Sprecherin. „Das tatsächliche, seit langem bekannte Problem ist der hohe Anteil fachfremden Unterrichts in der Fächergruppe Politik, Wirtschaft oder auch Wirtschaft-Politik“, ergänzt Studiendekanin der Humanwissenschaftlichen Fakultät, Birgit Weber. Es müssten dringend neue Lehrer und Lehrerinnen eingestellt werden, um diesen Missstand zu beseitigen.

KStA abonnieren