Kölner SüdstadtWie der Chlodwigplatz zu einem Hotspot für Junkies wurde

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Der Kölner Chlodwigplatz hat sich zu einem Hotspot für Junkies und Alkoholiker entwickelt.

  • Immer mehr Alkoholiker und Junkies bevölkern den Kölner Chlodwigplatz. Der Bezirksbürgermeister kritisiert die Verwaltung.
  • Droht das Zentrum der Südstadt zu kippen?
  • Wir haben uns vor Ort einen Eindruck verschafft und mit Menschen gesprochen, die von der Entwicklung unmittelbar betroffen sind.

Köln – Eine Frau schlief vor dem Eingang eines Mobilfunkshops und verrichtete dort auch ihre Notdurft. Menschen schrien und pöbelten Spaziergänger an. Mülltonnen quollen über. Es stank nach Fäkalien. Auf den Bänken unter den Bäumen: Verwirrte im Delirium. So, erzählen Anwohner und Geschäftsleute, habe es während des so genannten Lockdowns am Chlodwigplatz ausgesehen. „Während alles geschlossen war, haben die Alkis und Drogis den Platz übernommen, das war schon krass“, sagt Hülya Wolf, die mit ihrem Mann Martin die Musikkneipe an der Torburg betreibt.

An einem hochsommerlichen Nachmittag Ende Mai zeigt sich ein anderes Bild: Unter der Torburg liegen drei Obdachlose, auf den Rondellbänken unter den Platanen sitzen Rentner und Mütter mit Babys, auch einige Trinker harren im Schatten. Einer der Alkis liegt auf einer Bank und schläft. Eine Frau mit wirrem Haar sammelt Kippen und anderen Müll auf. „Das sind Fremdkörper, auf denen feindliche Systeme landen können“, sagt sie. Einige der Mülltonnen sind übervoll, wenig später kommen Müllwerker und leeren sie. Zwei Mitarbeiter des Ordnungsamts streifen über den Platz.

Entwicklung des Kölner Chlodwigplatzes macht Sorgen

Nicht wenigen macht die Entwicklung des Chlodwigplatzes Sorgen. Geschäftsleute berichten von Drogengeschäften, die Zahl der Obdachlosen auf dem Platz sei stark gestiegen. Die meisten, die rund um den Platz leben oder arbeiten, erleben die Entwicklung mit gemischten Gefühlen: „Die Neugestaltung mit den Sitzgruppen und die Fußgängerzone bei uns vor der Haustür haben dem Platz sehr gut getan“, sagt Wirtin Hülya Wolf. „Dass die Obdachlosen mehr werden, ist ein Problem, das es überall gibt. Aber Ordnungsamt und Polizei sind sehr präsent – die Lage scheint uns nicht außer Kontrolle.“

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Katharina Cöllen wohnt seit mehr als 40 Jahren über der Musikkneipe. „Obdachlose sind auch Menschen, das ist erstmal das Wichtigste“, sagt sie. „Sie waren schon immer hier, wir leben mit ihnen, und sie werden hier bleiben. Wenn ihr Müll rumfliegt, gebe ich ihnen drei Euro und sage ihnen, dass sie das doch bitte aufheben sollen. Sie machen es dann immer. Und was das Pinkeln angeht: Wo sollen sie denn hinjonn?“

„Es entwickelt sich eine Monokultur“

Gut, da gäbe es eine Möglichkeit: Die Pissoirs am 30 Meter entfernten Severinswall, dem „Bentley unter den Toiletten“, wie Bezirksbürgermeister Andreas Hupke sagt, sind kostenlos. (Die richtigen Toiletten nicht.) „Die Hinweisschilder sind allerdings viel zu klein“, sagt Hupke, der nach seiner Ankunft am Platz eine halbleere Bierflasche von einer Bank entsorgt.

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Andreas Hupke

Hupke ist traurig, dass eine seiner Stammkneipen, die Gaffelstube am Chlodwigplatz, dichtgemacht hat und durch einen weiteren Döner-Imbiss ersetzt wird. „Ich habe nichts gegen Döner, aber es ist jetzt der dritte Imbiss, so entwickelt sich eine Monokultur, das tut weh“, sagt er. „Als wir die Neugestaltung des Platzes geplant haben, war der Platz an der Eigelsteintorburg das Vorbild. Leider ist dann das Stadtarchiv eingestürzt – sonst würden jetzt keine Busse mehr hier fahren. Der Platz leidet also auch unter dem Fluch des Archiveinsturzes.“

Wird der Platz sich selbst überlassen?

Hupke setzt zu einem Monolog an. Er spricht über die verschiedenen Gruppen von Obdachlosen und Trinkern auf dem Platz („Vom kölschen Clochard bis zu Junkies und Wohnungslosen aus Osteuropa“), die Folgen der Gentrifizierung („Den neuen Eigentümern ist es egal, welche Gastronomie oder Geschäfte einziehen“) und einen „eklatanten Mangel an Sozialarbeitern auf dem Platz“.

Seine Gedanken münden in eine scharfe Kritik an Politik und Verwaltung: „Die öffentliche Hand überlässt den Chlodwigplatz sich selbst beziehungsweise den Bürgern, und das geht nicht“, sagt er, und fordert ein „Kolloquium aus hochqualifizierten Facharbeitern, die zeigen, wie andere Großstädte mit ihren Plätzen umgehen. Wenn Sie durch Rotterdam laufen, sehen sie dort keine Obdachlosen. Die werden besser versorgt.“ Für den Stadtrat schlägt Hupke drei Pflichtspaziergänge pro Jahr durch jedes Viertel in der Innenstadt vor. „Viele wohnen nicht im Viertel und kennen sich nicht aus. Wenn die Politiker sich nicht kümmern, kommt das den Rechten zu Gute. Und wenn die Innenstadt kippt, kippen auch die Bezirke und irgendwann ganz Köln.“

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Man muss die Entwicklung nicht so düster sehen wie Hupke. Alice Baker von der Aktionsgemeinschaft Bonner Straße, Chlodwigplatz sagt: „Die Neugestaltung des Platzes vor vier Jahren ist sehr schön geworden. Dadurch, dass jetzt mehr Platz ist, um sich aufzuhalten, sitzen dort auch viele Menschen, die trinken. Leider ist das immer mehr geworden, auch die Aggressivität nimmt zu.“ Baker erzählt von einem Konzept der Bezirksvertretung, den Platz mit neuen Veranstaltungen neben dem Wochenmarkt am Donnerstag aufzuwerten. „Das würde dem Chlodwigplatz gut tun.“

„Wildpinkler sind eine Katastrophe“

Cornelia Jülich-Rademacher, Pächterin der Severinstorburg, sieht das ganz ähnlich. Die Tochter des verstorbenen Edelweißpiraten Jean Jülich hat ein Plakat mit dem Brings-Liedtext „Nur die Liebe gewinnt“ an der Balustrade der Torburg angebracht, gänzlich überzeugt ist sie nicht, dass es so kommt mit der Liebe. „Es war in Köln schon immer so, dass sich Obdachlose auf den Plätzen aufhalten, mein Mann beschäftigt sich gerade historisch damit“, sagt sie. „Aber im Moment kippt es hier leider. Die, die pöbeln und psychisch völlig neben der Spur sind, werden mehr. Und die Wildpinkler sind eine Katastrophe.“

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Die Begrünung habe den Chlodwigplatz, mit dem sie Heimat und seit dem historischen Arsch-huh-Konzert 1992 auch die tolerante Haltung der Kölnerinnen und Kölner verbinde, befreit. „Die Gestaltung ist sehr gelungen. Aber das hilft nur bedingt, wenn die Gesellschaft immer weiter auseinander driftet und mehr Menschen auf der Strecke bleiben. Da muss die Politik entschiedener gegensteuern.“ Schließlich wolle niemand, „dass der Chlodwigplatz irgendwann immer so aussieht wie während der Ausgangsbeschränkungen“.  

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