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Kölner Uniklinik am Limit„Weiche Triage wird bereits angewendet“

Lesezeit 4 Minuten
Michael Hallek mit Maske 1504

„Etwa die Hälfte der Beatmeten überlebt dies nicht. Das ist für uns als Ärzte und Pflegende schrecklich“, sagt Michael Hallek.

  • Köln befindet sich laut Professor Michael Hallek, dem Leiter der Klinik I an der Uniklinik, in einer „weichen Triage.“ Für die kommenden Wochen befürchtet er Schlimmes.
  • Er sagt: „Selbst Notfälle können nicht immer umfassend bei uns versorgt werden.“ Grund sind Covid-Patienten, von denen es immer mehr gibt. Verlegungen bis nach Münster scheinen denkbar. Wie geht es weiter?

Herr Professor Hallek, wie weit entfernt ist die Uniklinik noch vom Kollaps? Michael Hallek: Am vorigen Wochenende waren über 35 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen der Uniklinik. Die Patienten kommen nicht nur aus Köln, sondern auch aus dem gesamten Umland. Dort gab es zeitweise kein einziges Intensivbett mehr. Verständlich, dass der Krankenwagen mit dem Notarzt dann verzweifelt eine Anlaufstelle sucht, zumal die Behandlungsmöglichkeiten während der Fahrt begrenzt sind. Auch in den letzten beiden Wochen fand sich in Köln kaum mehr ein freies Intensivbett. Am vergangenen Wochenende mussten mehrere Intensivpatienten über längere Zeit hier in der Notaufnahme versorgt werden, weil in den Intensivstationen der Uniklinik kein freies Bett zu finden war.

Wir haben inzwischen mehrere Stationen für die Behandlung von Covid-19-Patienten umgewidmet. Die Herzchirurgie beispielsweise muss deshalb ihr OP-Programm auf etwa 50 Prozent herunterfahren.

Was folgt daraus?

Dass selbst Notfälle nicht immer umfassend bei uns versorgt werden können, sondern wir die Patienten erstversorgen und sie dann eventuell warten lassen oder an andere Krankenhäuser weiterverlegen müssen.

Sterben Menschen dadurch?

Wir versuchen immer, das Leben der Patienten zu retten. Und wir sind noch nicht in dem Sinn in einer Triage-Situation, dass wir sagen müssten, „der 50-Jährige wird noch behandelt, der 70-Jährige nicht mehr“. Vor dieser „harten“ katastrophenmedizinischen Triage haben wir am meisten Angst und wollen sie unter allen Umständen verhindern. Wenn aber die Zahlen zu schnell steigen, lässt es sich womöglich nicht mehr vermeiden. In den nächsten Wochen könnte es passieren. Das System ist am Anschlag. Was indes bereits Realität ist, ist eine „weiche“ Triage.

Das bedeutet?

Wir müssen Operationen schieben und die Patienten entsprechend auswählen. Dass das negative Folgen haben kann, liegt auf der Hand. Eine verzögerte Versorgung oder die nur notdürftige Überbrückung – beides gang und gäbe - würde ich ebenfalls zur weichen Triage zählen. Und es gibt noch ein weiteres gravierendes Problem.

Nämlich?

Wir müssen zunehmend die Versorgung von Komplikationen ablehnen, die im Laufe einer Behandlung in anderen Häusern auftreten. Wir haben inzwischen allein auf unserer Intensivstation sicher zehn bis 20 Anfragen täglich, die wir ablehnen müssen. Was aus diesen Patienten wird, finden Sie in keiner Statistik. Aber wir merken an den ständigen, oft verzweifelten Telefonaten, wie groß die Not ist. Auch bei Covid-Patienten. Da rufen Kolleginnen und Kollegen an, die Covid-19-Patienten mit 30, 35 Jahren in Lebensgefahr einfach eine optimale Behandlung an einem auf Lungenkrankheiten spezialisierten ECMO-Zentrum zukommen lassen wollen. Wir können ihnen dann aber längst nicht mehr in allen Fällen helfen. Das hatten wir noch nie.

Warum ist das gerade jetzt so?

Wir vermuten, dass die Kliniken überall vermehrt mit Covid19-Kranken zu tun haben, bei denen die Überlebenschancen weitaus höher sind als bei den vielen alten und vorerkrankten Patienten in der ersten und zweiten Welle. Anders gesagt: Wir sind jetzt mit Patienten konfrontiert, die ohne Covid19 ziemlich gesund wären und noch sonst viele Lebensjahre vor sich hätten.

Aber die Sterbezahlen sind nicht so dramatisch wie noch im Januar.

Auch das ist ein Alterseffekt. Das Todesrisiko für über 80-Jährige mit Covid-19 liegt bei deutlich über zehn Prozent. Diese Kohorte ist jetzt zu einem großen Teil geimpft. Mit jeder Alterskohorte sinkt die Sterberate dann deutlich. Bei den über 70-Jährigen liegt sie noch über fünf Prozent. Das Problem ist aber, dass es immer noch sehr viele jüngere Corona-Infizierte gibt und leider sehr viele Covid-Kranke mit schwerem Verlauf. Und zuletzt: die jetzt dominierende Mutante B.1.1.7 ist etwa 60 Prozent ansteckender, etwa 60 Prozent tödlicher und infiziert jüngere Altersgruppen. Wenn dann Patienten beatmet werden, haben sich deren Chancen seit Beginn der Pandemie kaum verbessert.

Der Altersdurchschnitt der Covid-Toten ist in den letzten Monaten gesunken. Jüngere Patienten haben aufgrund ihrer Gesamtkonstitution oft einen sehr viel längeren Krankheitsverlauf. Sie liegen oft vier bis sechs Wochen auf der Intensivstation. Etwa die Hälfte der Beatmeten überlebt dies nicht. Das ist für uns als Ärzte und Pflegende schrecklich.

Kann der Kliniken-Verbund auf kommunaler oder regionaler Ebene helfen?

Den Städtischen Kliniken Köln geht es derzeit wie uns. Wir sprechen uns eng ab und stehen in freundschaftlichem Austausch. Jeder hilft, wo er kann. Aber voll ist voll. Wir haben deshalb diese Woche entscheiden müssen, unsere OP-Kapazitäten noch weiter herunterzufahren. Sieben Operationssäle für sogenannte „elektive Eingriffe“ – also beispielsweise verschiebbare Augen-Operationen – sind geschlossen, damit das Personal auf den Intensivstationen mit Covid-Patienten aushelfen und die Belastungen dort abpuffern kann. Umgekehrt haben wir für die Covid-Behandlungen in einem Aufwachraum eine zusätzliche kleinere Intensivstation aufgemacht. Die nächste Stufe wäre dann eine weitere große Intensivstation – zuzüglich zu den drei Stationen, die jetzt nur Covid-19-Patienten behandeln.

Gibt es die Möglichkeit zur Verlegung in andere Regionen?

Ja, das wird erwogen, wenn hier die Betten voll sind und woanders noch Kapazität besteht, zurzeit beispielsweise zurzeit in Münster.

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