Kölner Uniklinik-Chef„Lage für Nicht-Covid-Patienten verschlechtert sich zunehmend“

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Uniklinik-Chef Edgar Schömig

Prof. Dr. Edgar Schömig, Vorstandsvorsitzender und Ärztlicher Direktor der Kölner Uniklinik.

  • Prof. Dr. Edgar Schömig ist Vorstandsvorsitzender und Ärztlicher Direktor des Uniklinikums Köln. Bereits vor mehr als einer Woche hat er angekündigt, rund 30 Prozent der Operationen coronabedingt abzusagen.

Herr Schömig, die Situation in Kölns Krankenhäusern gilt nach wie vor als besorgniserregend. Inwieweit trifft das auf die Uniklinik zu? Edgar Schömig: Da kann ich nur zustimmen. Die Situation ist hoch angespannt. Noch nicht dramatisch, aber wie wir alle wissen, kann sich sowas innerhalb weniger Tage ändern – das haben wir in Italien erlebt, aber auch in Frankreich, Belgien oder der Niederlande. Wir sind nicht überlastet, aber höchst ausgelastet und das hat Auswirkungen auf die nicht-Covid-Patienten.

Trotz der Maßnahmen des aktuell geltenden Teil-Lockdowns gibt es in Köln seit gut einer Woche kontinuierlich mehr als 100 Covid-Intensivpatienten – dazu kommen mehr als 200 Covid-Patienten, die stationär versorgt werden. Wie nah sind wir an einer Überlastungsgrenze?

Es ist leider so, dass es da keine scharfe Trennlinie gibt. Das hängt damit zusammen, dass wir, zumindest am Universitätsklinikum Köln, eigentlich über die Jahre und die Saisonalität hinaus, eine immer nahezu 100-prozentige Auslastung unserer Intensivstation haben und zwar mit schwerstkranken Menschen, die wir akut behandeln müssen. In der Sekunde, in der wir, aus welchen Gründen auch immer, sei es ein Busunfall oder Covid-19, eine große Anzahl an zusätzlichen Patienten behandeln müssen, ist es so, dass dadurch andere Behandlungen verzögert werden. Manchmal geht das ein paar Tage oder ein paar Wochen, bei vielen Erkrankungen ist das aber nicht möglich.

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Inwiefern?

Wir haben derzeit immer zwischen 30 und 40 Covid-19-Intensivpatienten. Die belasten das System in der Art und Weise, dass wir weniger Patienten mit hochdramatischen Erkrankungen operieren können. Seien es Patienten in unserer Abdominalchirurgie mit einem Karzinom, Patienten in unserem Herzzentrum, die dringend einer neuen Herzklappe bedürfen oder Patienten in unserer Neurochirurgie mit einem Hirntumor – die können wir jetzt leider alle nur verzögert behandeln. Wir haben keine scharfe Linie, ab der das System zusammenbricht, sondern wir haben ein Kontinuum, in dem sich die Lage zunehmend – vor allem für die nicht-Covid-Patienten – verschlechtert. Und in dieser Phase befinden wir uns aktuell.

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Bereits vor mehr als einer Woche haben Sie angekündigt, rund 30 Prozent der Operationen coronabedingt abzusagen. Zudem wurden alle Abteilungen aufgefordert, Leistungen im stationären sowie ambulanten Bereich um etwa 20 Prozent zu reduzieren. Ist das so einfach umzusetzen?

Nein, das ist eine große Herausforderung. Ein Covid-19-Patient, der jetzt zu uns kommt und plötzlich der Beatmung bedarf, der stirbt innerhalb weniger Stunden, wenn er nicht beatmet wird. Der Herzklappen-Patient stirbt nicht innerhalb weniger Stunden, wenn er nicht operiert wird, hat aber ein Risiko in den nächsten vier Wochen zu sterben. Man muss sich natürlich zunächst um den akut lebensbedrohten Patienten kümmern, das ist ganz klar. Aber durch die Vielzahl der Patienten verschieben wir andere Eingriffe immer weiter nach hinten, sodass wir wirklich nicht ausschließen können, dass nicht-Covid-Patienten Schaden nehmen. Sie verweilen dann sehr lange auf der Operationswarteliste und das beinhaltet natürlich auch ein Lebensrisiko. Vielleicht wird die Dimension an einem Beispiel deutlich. Ein Covid-19-Patient liegt bei uns zwei bis drei Wochen auf der Intensivstation, bis er diese wieder verlassen kann. Das liegt an der Natur dieses schrecklichen Krankheitsbildes. In dieser Zeit könnten wir allerdings mit diesem Intensivbett zehn Hirntumore behandeln, weil diese Patienten nur zwei Tage auf der Intensivstation liegen müssen. Abzuschätzen, wer verschoben wird und wie hoch das Risiko des einzelnen Patienten ist, in den nächsten ungefähr drei Wochen Schaden zu nehmen, ist enorm herausfordernd und da kann man auch nicht immer richtig liegen, selbst mit dem besten Fachwissen.

Wie sieht das aus?

Es sind die verantwortlichen Operateure gemeinsam mit den Anästhesisten, Internisten und meinem Team, die letztlich tagesaktuell die Intensivbettenverteilung in dieser schwierigen Situation steuern. Immer mit Blick auf den einzelnen Patienten, weil wir da so wenig Schaden anrichten wollen, wie es irgendwie geht.

In Köln gibt es laut Stadt insgesamt etwa 360 Intensivbetten. Doch nicht all diese Betten können mit Intensivpatienten belegt werden. Die Regelkapazität liegt aktuell bei 300 Betten. Woran liegt das? Und lässt sich die Kapazität nicht doch erhöhen?

Wir haben 125 Intensivbetten in der Uniklinik und könnten rein technisch noch etwa 70 zusätzliche Intensivbetten aufbauen. Die dafür benötigten Betten, Beatmungsmaschinen sowie die Infusions- und Überwachungsgeräte sind vorhanden. Aber das Personal nicht. Eine Ausbildung dauert Jahre, sodass wir dieses auch nicht kurzfristig aufstocken können. Doch wenn wir dazu gezwungen werden, etwa durch eine sich verschärfende pandemische Situation, die wir uns alle nicht erhoffen, müssten wir die zusätzlichen 70 Betten belegen. Allerdings mit einem dünneren Personalschlüssel. Damit haben wir jetzt schon begonnen, weil wir bereits eine zusätzliche neue Intensivstation für Covid-19-Patienten aufgemacht haben. Dafür haben wir das Personal aus den Operationssälen geholt, das nun natürlich nicht mehr für andere Operationen zur Verfügung steht. Auch hier ist es ein fließender Übergang: Je mehr überzählige Betten aufgebaut werden, desto geringer wird die Versorgungsqualität, weil das qualifizierte Personal letztlich fehlt.

Wie viel Fachpersonal benötigt man im Schnitt, um einen Patienten auf der Intensivstation betreuen zu können?

Drei bis vier gut ausgebildete Intensivpflegekräfte brauchen wir für ein zusätzliches Intensivbett. Außer wir fahren unsere Standards auf ein katastrophenmedizinisches Niveau herunter, dann wird man auch mit ein bisschen weniger auskommen. Aber dann ist die Medizin nicht mehr die Medizin, wie wir sie seit Jahrzehnten in Deutschland kennen.

Was passiert, wenn alle Intensivbetten in Köln voll sind?

Das ist ein Szenario, das wir uns gar nicht ausmalen wollen, weil das Infektionsgeschehen in ganz Deutschland relativ parallel verläuft. In einer solchen Situation würde es Covid-19-Patienten geben, die einer Beatmung bedürfen, für die man aber weder in Köln noch in der Umgebung einen Beatmungsplatz findet. Dann müsste die Entscheidung getroffen werden, wer beatmet wird und wer nicht – also bei welchen Patienten die Chancen hoch sind, dass eine Beatmung wirken kann, und bei welchen Patienten die Überlebenschancen zu niedrig sind. Wir sind da noch sehr weit von entfernt und ich hoffe, dass es nicht dazu kommt. Ganz sicher sein können wir aber nicht. Das sieht man an den europäischen Nachbarländern, wo es wiederholt genau zu dieser Situation gekommen ist.

Wann rechnen Sie mit einer Entlastung der Intensivstationen?

Wenn es funktioniert, können wir durch die aktuellen Maßnahmen des Teil-Lockdowns demnächst möglicherweise einen graduellen Rückgang beobachten. Aber ich blicke schon mit etwas Sorge auf die Weihnachtstage, weil es da wieder vermehrt zu Kontakten, auch zwischen den Generationen, kommen wird. Das könnte im Januar wieder zu einer Verschärfung der Situation führen. Insgesamt wird, da bin ich fest von überzeugt und die Ergebnisse sprechen dafür, die Impfung der Durchbruch sein. Auf die müssen wir warten und uns bis dahin durchbeißen.

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