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Kölner Uniklinik-Chef im Interview„Im Frühjahr liegt das Schlimmste hinter uns“

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Edgar Schömig, der Vorstandsvorsitzende und Ärztliche Direktor der Uniklinik Köln

  • Wann ist die Pandemie, wie wir sie schon viel zu lange kennen, vorbei? Edgar Schömig, der Vorstandsvorsitzende und Ärztliche Direktor der Uniklinik Köln, hat darauf eine klare Antwort.
  • „Schon im Frühjahr werden wir das Schlimmste hinter uns haben“, sagt er im Interview. Er erklärt, warum bis dahin katastrophale Szenarien an seiner Klinik nicht auszuschließen sind – und weshalb ihm die Maßnahmen dennoch ausreichen.
  • Außerdem äußert sich Schömig zur Debatte um die Impfpflicht und erklärt, wann an seiner Klinik die Notfallpläne für die kommenden Wochen greifen.

Herr Professor Schömig, mit welchen Gedanken gehen Sie in das dritte Pandemiejahr? Schömig: Nun, wir hätten uns alle gewünscht, nicht in ein solches drittes Jahr gehen zu müssen. Das Virus hat es durch seine Anpassungen notwendig gemacht. Wir stehen schon jetzt in der fünften Welle, getragen durch Omikron. Die Biologie des Erregers hat sich in entscheidenden Punkten geändert. Darauf stellen wir uns jetzt auch an der Uniklinik ein.

Was hat Omikron verändert?

Die Variante ist ansteckender als alle bisherigen, das Virus gehört jetzt zu den am leichtesten übertragbaren viralen Erkrankungen überhaupt. Eine explosionsartige Ausbreitung ist zu erwarten. Glücklicherweise sind wir in einer Situation, in der viele Menschen geimpft sind. Das ist die einzige Maßnahme, die uns derzeit hilft, schwere und tödliche Verläufe zuverlässig zu vermeiden. Für meine Altersgruppe etwa reduziert sich das Risiko für schwere Verläufe etwa um das Hundertfache.

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Offenbar ist die Variante nicht nur ansteckender, sondern auch harmloser.

Dass Omikron einen milderen Verlauf auslöst, spielt keine große Rolle – selbst, wenn die Variante nur halb so gefährlich sein sollte wie Delta, würde ich mich für dieselben Maßnahmen aussprechen. Bei der Delta-Variante lag die Sterblichkeit für Ungeimpfte bei etwa 2,5 Prozent. Selbst, wenn sie bei Omikron mit viel Glück nur halb so groß ist, gibt es ein relevantes Todesrisiko. Russisch Roulette würde ich auch weder mit einer noch mit zwei Patronen im Revolver spielen wollen. Ich empfehle es auch niemandem.

Welche Gefahren gehen in den kommenden Wochen von der Variante aus?

Für unsere Klinik ist eine hohe Anzahl gleichzeitig infizierter Mitarbeitenden wirklich gefährlich. Wir müssen unbedingt verhindern, dass hier zu viele Menschen auf einmal infiziert sind. Hochgefährdet sind zudem die Immunsupprimierten – sie sind dem Virus oftmals trotz Impfungen ausgeliefert. Natürlich müssen wir auch die Ungeimpften schützen, sofern das irgendwie geht. Wir müssen jetzt schnell noch möglichst viele überzeugen.

Kann noch verhindert werden, dass Omikron die Ungeimpften durchseucht?

Nein. Bis zur Delta-Variante hatten wir immer die Möglichkeit, das Virus auszutrocknen. Es war stets möglich, den Reproduktionswert unter eins zu drücken, sodass ein Infizierter im Durchschnitt weniger als eine weitere Person ansteckt. Das halte ich bei Omikron für unrealistisch. Es ist aber umso wichtiger, die Welle flach und breit zu ziehen, sodass nicht zu viele Menschen gleichzeitig infiziert sind – das würde Teile der kritischen Infrastruktur lahmlegen. Wir brauchen eine Verzögerung, um unsere Systeme nicht zu überfordern. Darauf zielen auch unsere Maßnahmen ab. 

Welche sind das?

Am wichtigsten sind die Impfungen. 98 Prozent der Belegschaft sind geimpft, 77 Prozent sind geboostert. Klar ist aber, dass auch Geimpfte das Virus weitertragen können. Wir brauchen daher weitere Maßnahmen wie die Maskenpflicht. Noch gelingt es uns einigermaßen, die Kontakte zu verfolgen und den Kontaktpersonen jeweils PCR-Tests anzubieten. Das wird nicht mehr lange gelingen.

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Derzeit sind 200 Mitarbeiter in Quarantäne, davon sind 170 infiziert. Das sind zwei Prozent der Belegschaft – die Zahl hat sich in der vergangenen Woche verdoppelt. Sehr viele Wochen geht das so nicht mehr gut.

Auf welche Szenarien bereiten Sie sich vor?

Ich gehe momentan davon aus, dass zum Höhepunkt der Omikron-Welle rund zehn Prozent der Belegschaft in Quarantäne sein werden. Das kann hochkompliziert werden. Solche Prognosen sind allerdings sehr schwer zu treffen. Sind es nur fünf Prozent, bekommen wir das ganz gut kompensiert. Sind es 20 Prozent, was durchaus möglich ist, haben wir ein riesiges Problem.

Was würde dann passieren?

Es käme zu einer kalten Triage. Wir würden alles so weit wie möglich herunterfahren, um die akuten Notfälle irgendwie mit dem anwesenden Personal bewältigen zu können, das ist bis ins Detail durchgeplant. Wenn es so kommt, geht es allen Kliniken in der Region zeitgleich ähnlich – wir können Patienten dann also nicht verlegen. Ein solches Szenario würde bedeuten, dass wir beispielsweise Tumorbehandlungen so weit verschieben, dass Patienten gegebenenfalls Schaden nehmen. Es würde uns überfordern. Deswegen brauchen wir dringend eine breit gezogene Omikron-Welle.

Stimmen Sie sich für den Notfall schon jetzt mit anderen Kölner Kliniken ab?

Ja, mit den großen Kliniken stehen wir im Kontakt. Unsere Fachleute besprechen fast täglich mit den Kollegen aus Merheim, der Feuerwehr und dem Gesundheitsamt, was zu tun ist. Wir sind sehr gut vorbereitet – aber wir können eben nicht alles auffangen. Den Abschwung werden wir nur durch die Immunität in der Bevölkerung erreichen.

Braucht es dafür eine Impfpflicht?

Wenn wir aus diesem Teufelskreis herauskommen wollen, brauchen wir eine hohe Immunität. Die Impfung schützt vor schweren Verläufen – nur brauchen wir den Schutz nach der Omikronwelle noch, die in kurzer Zeit ohnehin jeden erreichen wird? Ja, denn es werden andere Varianten kommen, für die wir eine höhere Impfquote benötigen.

Die Impfpflicht ist also eine Wette in die Zukunft, sie ist aber aus meiner Sicht die richtige Wette, denn von weiteren Mutationen ist auszugehen. Ohne eine Impfpflicht ist nicht abzusehen, wann wir in ein vernünftiges gesellschaftliches Leben ohne Einschränkungen zurückkehren können – auch in den Kliniken.

Reichen die aktuellen Kontaktbeschränkungen aus, um die Welle so breit zu ziehen wie nötig?

Ja, die bundespolitische Strategie halte ich für richtig. Wir haben im internationalen Vergleich eine Menge Maßnahmen implementiert, die uns schützen und einen wichtigen Booster-Anreiz schaffen. Sollte die Welle nicht zu spitz zulaufen, dann braucht es aus meiner Sicht keine Verschärfungen. Ein Lockdown kommt für mich ohnehin nicht infrage – weil selbst dieser nicht ausreichen würde, die Welle zu brechen. Wir müssen da jetzt durch.

Liegen auf Ihren Stationen schon heute Omikron-Patienten?

Bislang nicht, das wird noch etwas dauern. Aber sie werden kommen. Aktuell liegen acht Covid-Patienten auf den Intensivstationen. Die jüngste Patientin ist 34 Jahre alt und ungeimpft, ein tragischer Fall. Wir erwarten durch Omikron etwa eine Verfünffachung der stationären Patienten, die Zahl der Intensivpatienten wird unseren Berechnungen zufolge dank der Impfungen aber nur um den Faktor 1,5 steigen, wenn wir gut durchkommen.

Können Sie denn eine Verfünffachung der stationären Patienten auffangen?

Ja, das halte ich für machbar – sofern wir nicht zeitgleich viele Ausfälle beim Personal haben. Diese Kombination könnte schnell zu einer Überlastung und einer schlechteren Versorgung vieler Patienten führen. Die kommenden Wochen werden also noch einmal kritisch.

Wie wichtig ist die Kontaktverfolgung noch, um mit der Omikron-Welle fertig zu werden?

Sie hilft sicherlich, wird bald aber technisch unmöglich umzusetzen sein, auch in dem gut besetzten Kölner Gesundheitsamt. Im Übrigen müssen wir auch die Teststrategien anpassen. Schnelltests werden in der Omikron-Welle eine wichtige Rolle spielen, um Ansteckende zu identifizieren – das können sie. Die PCR-Tests werden irgendwann erschöpft sein, nicht jede Kontaktperson wird in den kommenden Wochen einen bekommen können. Der Nachschub an PCR-Material gerät gerade weltweit ins Stocken.

Was kann uns darüber hinaus helfen, die Pandemie endlich zu bewältigen?

Neben der Impfung, Medikamente. Zuletzt wurden vielversprechende Medikamente entwickelt – hier muss jetzt die Produktion hochgefahren werden. In der jetzigen Welle werden sie uns aber noch nicht wirklich helfen. Aber um ein Grundrauschen nach der Omikron-Welle zu bewältigen, werden Medikamente wichtig. Mit ihnen könnte es gelingen das Virus in den Wintermonaten zukünftiger Jahre in den Griff zu bekommen, ähnlich wie die Grippe. Leider funktionieren einige Antikörper-Therapien gegen Omikron schlechter als gegen Delta.

Ihr virologisches Institut hat aber auch zwei Antikörper entdeckt, die gegen Omikron besonders gut funktionieren und als Therapie funktionieren könnten. Wie ist hier der Stand?

Unser virologisches Institut arbeitet – wie auch andere weltweit führende Einrichtungen – fieberhaft an der Entwicklung und Erprobung wirksamer Antikörpertherapien. Da dürfen wir uns auch einiges erwarten.

Wie blicken Sie in die Zeit nach der Omikron-Welle?

Mit Optimismus. Schon im Frühjahr werden wir das Schlimmste hinter uns haben. Wenn dann die Impfpflicht kommt, sind wir auf einem guten Weg raus aus der Pandemie. Dann braucht es vielleicht immer mal wieder angepasste Impfungen – aber das Leben geht endlich normal weiter. Ich freue mich sehr auf diese Zeit.

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