Kölner Veedels-ChronistEine Suche, die nie ganz endet

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Veedelsforscher aus Leidenschaft: Reinhold Kruse in seinem Arbeitsraum.

Veedelsforscher aus Leidenschaft: Reinhold Kruse in seinem Arbeitsraum.

Nippes – Die vielen kleinen Geheimnisse und großen Mysterien des Stadtteils sind es, die Reinhold Kruse herausfordern. Wenn er ein Thema gefunden hat, wirft er sich in die Arbeit und recherchiert akribisch nach, bis er auf die Lösung kommt. So fing 1988, vor 30 Jahren, auch seine Arbeit an. „Damals gab es zum 100. Jahrestag der Eingemeindung von Nippes nach Köln ein Fest auf dem Wilhelmplatz. Über ein Buch zu Nippes begann ich, mich für die Geschichte des Stadtteils zu interessieren. Ich begegnete vielen offenen Fragen, die ich zunächst nicht klären konnte.“

Etwa die des heute weitgehend vergessenen einstigen Nippeser Volksgartens, der sich etwa vom heutigen Erzbergerplatz hinunter zum Nippeser Tälchen erstreckte. Auch ein Weiher war Teil der Anlage. „Der Opa von meinem Schwiegervater, Gustav Krähmer, unterhielt dort ein Gartenrestaurant. Ich beschloss, die Historie zu erforschen. So begann die Lawine zu rutschen, und sie wird bis heute größer.“ So fand er zudem heraus, dass auch der einstige Kölner Oberbürgermeister Adolph Steinberger, heute Namenspate einer Straße in Nippes, ein eigenes Landgut am Weiher hatte, an der Mauenheimer Straße. „Das punktgenaue Suchen, das Freilegen von Quellen, das Sich-auf-die-Suche-Begeben ist das, was mich reizt. Manchmal findet man auch nichts, dann muss eben weiter recherchiert werden.“

Archäologe der Stadtteilgeschichte

„Ich sehe mich als Forscher, aber auch als Archäologe der Stadtteilgeschichte“, erläutert Kruse. Sogar ganz buchstäblich zum Archäologen wurde er im Falle der „Villa Rustica“: Reste des römischen Anwesens wurden 1990 unterhalb des Altenberger Hofs entdeckt, bei dessen Herrichtung zum heutigen Bürgerzentrum; Kruse war bei der Freilegung der alten Gemäuer dabei und dokumentierte sie.

Der Altenberger Hof gehört zugleich zum Kern der historischen Herrlichkeit Mauenheim, 1199 erstmals urkundlich erwähnt und auf heutigem Nippeser Gebiet liegend. Für seine Vermutung, dass Nippes schon zur Römerzeit besiedelt gewesen sei, hatte der Stadtteil-Historiker bis dahin Kopfschütteln geerntet. „Wer sich mit Nippes beschäftigt, muss sich daher auch mit Mauenheim beschäftigen“, findet er. Die Ortsbezeichnung verlor sich im Lauf des 19. Jahrhunderts, da sie durch das aufstrebende Nippes verdrängt wurde. Das heutige Mauenheim entstand dagegen erst nach dem Ersten Weltkrieg; die Idee für die Rückbesinnung auf den alten Namen, die sich im Bürger-Wettbewerb durchsetzte, lieferte der Nippeser Pfarrer Schreiber. „Bis dahin hatte die Neubausiedlung der GAG nur den Projektnamen Nippes-Nord“, erläutert Kruse. „Und die heutige Mauenheimer Straße weist auf die alte Herrlichkeit Mauenheim hin, nicht auf ihren Verlauf in Richtung des heutigen Mauenheim.“

Natürliches Überschwemmungsgebiet

Ausführlich hat sich Kruse auch mit der Topografie des Stadtteils beschäftigt. Halb Nippes lag noch im 19. Jahrhundert in einem natürlichen Überschwemmungsgebiet, durch das sich eine Rhein-Rinne mit dem Weiher zog, die bei Hochwasser geflutet wurde. Von Riehl kommend verlief sie an Flora- und Mauenheimer Straße entlang bis zum Nippeser Tälchen, von dort ging es wieder nordostwärts in Richtung Niehl. Das habe auch die Ortsgeschichte geprägt, weiß Kruse. „Wir hatten, etwa im Vergleich zu Ehrenfeld, relativ wenig Industrie in Nippes, weil hier immer mal »Land unter« war.“ Warum Franz Clouth seine Fabrik ausgerechnet im hochwassergefährdeten Teil anlegte, darüber könne man nur noch spekulieren. „Clouth war zugleich auch Deichhauptmann des hinter seiner Fabrik verlaufenden Riehler Deiches. Wegen seines Werks hatte er natürlich Interesse daran, dass der Deich hielt.“

Einst fuhr Kruse sogar extra nach Paris, um Hinweise zu bekommen, weshalb die Kölner Nippes früher als ihr „Montmartre“ bezeichneten. „Sicher lag das an den Ausflugslokalen, den Weinstöcken, den Töpferwerkstätten, die es hier wie dort gab und der einstigen Lage vor den Stadttoren“, wie er feststellen konnte.

Einen interessanten Flohmarkt-Fund hatte er vor kurzem gemacht: Er kaufte am Stand eines Antiquariats zwei Bände des 1874 gegründeten Nippeser Vereins für Volksbildung – einem ungefähr mit der heutigen Volkshochschule vergleichbaren Träger, der bis 1921 bestand, organisiert von Bürgern für Bürger. In den uralten Bänden werden die Aktivitäten des Vereins sichtbar, die von klassischen Konzertabenden bis zu Vorträgen reichten, mit Zeitungsberichten dokumentiert, sowie Protokollen der Vereins-Hauptversammlungen. Für den Archivar ein Dokument von enormem Wert: „Es ist unglaublich, was die Mitglieder auf die Beine gestellt haben. Die Geschichte des Vereins wurde bisher gar nicht schriftlich betrachtet – das wäre eine weitere kommende Aufgabe für mich.“

Eine Aufgabe, der Kruse sich momentan widmet, geht über Nippes hinaus: Sie betrifft die Lebensgeschichte von Otto Welter, 1876 Gründungsmitglied des Kölner Alpenvereins und preußischer Landtags-Abgeordneter, der 1880 bei einer Bergtour in einer Gletscherspalte den Tod fand. Für dessen späteren Vereinskollegen Moritz Bing, dessen Lebensgeschichte Kruse ebenso mithalf zu erforschen, hatte der Alpenverein im Vorjahr einen „Stolperstein“ verlegen lassen. Nach mehr als drei Jahrzehnten Zugehörigkeit wurde Bing 1937 als letztes verbliebenes jüdisches Mitglied aus dem Verein gedrängt; ein Jahr später floh er mit seiner Familie vor dem Nazi-Terror in die Schweiz. Kruse und der Alpenverein hatten im Vorjahr eine Gedenkschrift zur Vereinsgeschichte in der NS-Zeit herausgegeben. Auch in Nippes hatte und hat der Kölner Alpenverein Mitglieder: Das bekannteste war wohl Franz Clouth, der von 1889 bis zu seinem Tod 1910 Mitglied war, wie Kruse herausfand.

Autor mit Antiquariat

Reinhold Kruse (64) war 1976 von Aachen nach Köln gezogen. Heute kennt er die Nippeser Geschichte wie wohl niemand anderer. Er unterhält an der Schillstraße ein Archiv mit einer umfangreichen Sammlung von Dokumenten und Zeitungsartikeln, eine kleine Welt des Wissens. „Seit 25 Jahren blättere ich systematisch alle Kölner Zeitungen durch auf der Suche nach Artikeln aus Nippes oder Mauenheim, alles was ich finde, wird archiviert.“

Kruse ist Autor zahlreicher Bücher über Nippes, einiger Festschriften und von 150 Fachartikeln. Regelmäßig bietet er auch Stadtteil-Spaziergänge mit unterschiedlichen Schwerpunkten an – wie die Universal-Stadtteilführung „Nippes per pedes“ oder der jüngst veranstaltete Rundgang „Nippeser Straßen und Plätze – ihre Entstehung, Benennung und Besonderheiten“.

Auf Wunsch organisiert er auch private geschichtliche Vorträge mit Dia-Projektionen über Nippes. Sein Antiquariats-Lager an der Schillstraße 7 kann nach Vereinbarung besucht werden, der Kontakt läuft über die Homepage. (bes)

www.edition-nippes.de

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