Kölner Virologe über Corona„Einheitliche Regeln hätten wir schon früher haben können“

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Die Corona-Krise ist zurück in den Krankenhäusern.

  • Die Zahl der Corona-Neuinfektionen steigt rasant, die Intensivbetten werden knapper. Bund und Länder reagieren mit einem Lockdown im November.
  • Wie notwendig und sinnvoll sind die harte Maßnahmen? Wie kritisch ist die Lage in Deutschland und Köln aktuell?
  • Wir haben mit dem Virologen Rolf Kaiser von der Kölner Uniklinik gesprochen. Er lobt die politische Reaktion, sieht zwei Aspekte aber kritisch.

Für den kommenden Monat wurden harte Maßnahmen beschlossen, Angela Merkel sagt, es gebe „kein milderes Mittel“. Stimmt das aus medizinischer Sicht? Rolf Kaiser: Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Auf der einen Seite stehen funktionierende Hygienekonzepte, die ein wichtiges Argument gegen die Schließung – zum Beispiel von Restaurants – sind. Aber: Es gibt einige Leute, die den Ernst der Lage nicht verstanden haben. Es geht auch darum, zu zeigen, dass es nicht fünf vor zwölf, sondern Punkt zwölf ist. Man hat sich dafür entschieden, alles zu tun, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Es gibt kein milderes Mittel, das vergleichbar effektiv wäre, um den Menschen den Ernst der Lage vor Augen zu führen.

Fast alle Maßnahmen betreffen das öffentliche Leben, obwohl im Privaten die meisten Infektionen stattfinden. Könnte es sein, dass sie ihr Ziel verfehlen?

Auch dieser Aspekt ist ein starkes Argument gegen die Schließungen. Bringen wir das Risiko womöglich sogar in den privaten Bereich, den wir schlechter kontrollieren können? Diese Frage ist mit aller Ernsthaftigkeit debattiert worden. Frau Merkel ist auch Wissenschaftlerin. In der Abwägung hat sie sich für einen restriktiven Weg entschieden. Dahinter steht der Versuch, die Todeszahlen mit allem, was man hat, zu senken. Ein Problem gibt es definitiv: Wir werden die Maßnahmen erst mit zweiwöchiger Verspätung in den Zahlen erkennen. Vielleicht hat mit der Ankündigung schon ein größeres Problembewusstsein eingesetzt, das bereits einige Infektionen verhindert. Aber zunächst werden die Zahlen weiter steigen. Das ist klar.

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Was führt neben dem individuellen Verhalten zu den hohen Zahlen?

Coronaviren haben ihre Saisonalität. Wir müssen vermuten, dass auch SARS-Cov-2 eine vergleichbare Saison haben wird wie bisherige Coronaviren, das heißt: Von Oktober bis April. Das ist neben dem Fehlverhalten einiger Menschen wohl auch ein Grund für die rasant steigenden Zahlen.

Steht politisches Versagen auch auf der Liste der Gründe? Vorbereitungen für den Winter wurden ja kaum getroffen.

Es gibt mit Sicherheit auch hier Versäumnisse. Doch prinzipiell hat sich die Politik an dem orientiert, was die Wissenschaft kommuniziert hat. Warnungen wurden stets ernstgenommen, die Notwendigkeit politischer Maßnahmen stand nie ernsthaft infrage.

Welche Versäumnisse meinen Sie?

Keine grundlegenden, aber dass verschiedene Ministerpräsidenten diese medizinische Katastrophe für ihren Abgrenzungs-Wahlkampf ausnutzen wollten, verstehe ich nicht. Bundeseinheitliche Regelungen, wie wir sie jetzt haben, hätten wir schon früher haben können. Außerdem hätte man bei Kitas und Schulen aktiver agieren können: Hier arbeiten wir an effektiven Teststrategien, um Ansteckungen sofort zu erkennen und Infektionsketten zu durchbrechen. Diese hätten aber schneller vorangetrieben werden können. Insgesamt aber bin ich aus medizinischer Sicht sehr zufrieden mit dem politischen Handeln.

Welches Ziel sollte im Kampf gegen Corona verfolgt werden?

In der Medizin ist es unser größtes Ziel, Menschen bestmöglich zu schützen. Schnell steigende Zahlen machen das unmöglich: Nach der Infektion besteht, insbesondere in Risikogruppen, die Gefahr, schwer zu erkranken oder an Covid-19 zu sterben. Die Lage ist also dramatisch.

Wie erleben Sie die Situation in Köln?

Die Rate der positiven Tests steigt deutlich, aktuell liegt sie am Infektionsschutzzentrum bei zehn Prozent. Das spricht für eine besonders heikle Lage, die wir auch an der Inzidenz für Köln, NRW und ganz Deutschland ablesen können.

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Und: Etwa zehn Prozent der positiv Getesteten sind Kinder. Das ist ein Aspekt, der mir derzeit zu kurz kommt – Kinder infizieren sich! Das Coronavirus hatte die Kinder im Frühjahr und Sommer kaum betroffen.

Aktuell sind in der Stadt 34 Intensivbetten frei.

An der Nordsee werden Deiche gebaut, um sich vor dem Hochwasser zu schützen. Wir machen hier aktuell nichts anderes. Das heißt: Wir testen Patienten und Mitarbeiter an der Uniklinik ständig auf Corona, damit das Virus draußen bleibt. Das ist die erste Voraussetzung für eine stabile Lage. Dann gehen wir mit den Betten sparsam um. Patienten, bei denen das Virus früh erkannt werden, brauchen oft nicht unbedingt eine Intensivbehandlung. Ich empfinde das Vorgehen der Uniklinik als verantwortungsvoll und vorsichtig. Was die gesamte klinische Situation der Stadt angeht, muss ich sagen: Alle sind sehr vorsichtig, im Moment ist die Situation beherrschbar. Ich will aber keine Entwarnungssignale geben, denn wir werden erst in zwei Wochen sehen, wie viel die neuen Maßnahmen bewirken.

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