Kölner Youtube-Star„Als Chemikerin habe ich eine Hassliebe zur Serie Big Bang Theory”

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Mai Thi Nguyen-Kim bedauert, dass Naturwissenschaften als kompliziert und trocken gelten. Stimmt nicht, sagt sie.

  • Nicht nur mit Chemie, auch mit Klischees kennt sich die in Köln lebende Erfolgs-Autorin und Moderatorin Mai Thi Nguyen-Kim aus.
  • Sie kriegt oft zu hören: „Du siehst ja gar nicht aus wie eine Chemikerin.” Eigentlich eine Beleidigung, sagt sie.
  • Ein Gespräch über Chemie beim Fußballgucken, Make-Up-Lügen und Vorurteile.

Köln – Frau Nguyen-Kim, in Ihrem Buch „Komisch, alles chemisch“ behaupten Sie, mit Chemie könne man alles erklären. Machen wir doch mal ein kleines Experiment. Schauen Sie sich um und sagen mir, was Sie sehen.

Ok. Ich sitze gerade auf meinem Sessel, auf dem ich manchmal auch meinen Videoblog aufnehme. An der Wand ist etwas, das ich mal gebastelt habe als Hintergrund, da sind Pailletten drauf. Also, ich habe hier Pailletten und ich habe hier Raufasertapete…

Was gibt es dazu chemisch zu sagen?

Naja, manche würden jetzt zwar sagen, das ist eher Physik. Aber Grenzen zwischen Naturwissenschaften zu ziehen, ist was für Anfänger (lacht). Also, ich denke bei den Pailletten spontan an Farbpigmente. Es ist ja total spannend, dass ich an ihnen blau, grün und gelb sehe, obwohl das Licht hier im Zimmer gemischt ist und insgesamt weiß. Aber es trifft jetzt auf diese Paillette. Darin ist ein grüner Farbstoff, ein Molekül. Dieses Molekül absorbiert alle Farben bis auf die grüne Wellenlänge. Und die fällt gerade in mein Auge. Auf meiner Netzhaut sind Proteine, auch das sind Moleküle, die eine ganz bestimmte Form haben. Sie werden angeregt durch diese grüne Wellenlänge und kommunizieren das weiter an mein Gehirn – Sie sehen, man kann sich in sowas verlieren!

Geht Ihnen das oft so? Denken Sie als Chemikerin anders?

Manchmal bekomme ich, zum Beispiel beim Fußballschauen, tatsächlich eine Art Distanz zu dem, was ich sehe und denke: Menschen sind doch echt faszinierende Tiere. Das ist, als würde ich die Welt plötzlich zum ersten Mal sehen. Ich frage mich schon sehr oft: Warum eigentlich? Das macht Spaß, wenn man einmal auf den Geschmack gekommen ist.

Entmystifiziert das nicht auch manchmal Dinge? Wenn man auch Emotionen und Liebe chemisch erklären kann zum Beispiel?

Man weiß ja vieles noch gar nicht. Und was man weiß, das macht es nur noch spannender. Ich bin da ganz auf der Seite des amerikanischen Physikers Richard Feynman, der gesagt hat, dass für ihn mit jeder wissenschaftlichen Antwort mehr Wunder und Reiz und Verwunderung hinzukommen, weil sich mit jeder beantworteten Frage automatisch drei neue ergeben. Er erklärt es am Beispiel der Blume. Natürlich kann man die Blume einfach ansehen und schön finden. Aber man kann sie auch mit einem wissenschaftlichen Blick ansehen und sich fragen: Warum hat sie eine bestimmte Farbe? Weil Bienen diese Farbe auch sehen können? Heißt das jetzt, dass Bienen auch so etwas wie Schönheit empfinden können? 

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Ihr Youtoube-Kanal „maiLab“ hat rund 347.000 Follower. In Ihrem Buch schreiben Sie aber, dass Sie sich als Chemikerin manchmal fühlen wie eine Mutter mit einem hässlichen Kind. Warum ist das so?

Ich glaube, die Vorstellung von Chemie ist bei vielen leider durch die Schule geprägt. Ich bin ja momentan auf Lesereise. Da frage ich immer, wie viele von den Leuten im Publikum in der Schule Chemie abgewählt haben. Es sieht immer so aus wie die Hälfte bis zwei Drittel, die da die Hände heben. Also selbst die Leute, die jetzt in ihrer Freizeit zu einer Chemie-Sachbuchlesung gehen, haben in der Schule die Erfahrung gemacht, dass Chemie trocken war, abstrakt, langweilig, kompliziert. Für viele klingt Chemie sogar giftig, unnatürlich. Unter den Physikern gibt es dagegen komischerweise schon ein paar, die in der Öffentlichkeit sind, Harald Lesch und Ranga Yogeshwar zum Beispiel.

In Ihrem Buch wollen Sie mit diesem Vorurteil aufräumen. Sie erklären zum Beispiel, dass ganz alltägliche Dinge wie Handys, Zahnpasta und Kochen ohne Chemie nicht möglich wären.

Mein Vater ist Chemiker, er hat mir immer ganz nebenbei Zusammenhänge erklärt. Deshalb habe ich Chemie immer als sehr vertraut und lebensnah empfunden. Ich muss aber zugeben: Man kommt natürlich auch ohne chemische Erkenntnisse gut durchs Leben. Sonst hätten viele Leute Schwierigkeiten (lacht). Trotzdem glaube ich, dass wir Menschen neugierige Wesen sind und es uns Spaß macht, darüber nachzudenken, warum etwas ist wie es ist, wie etwas funktioniert. 

Warum interessieren sich so wenige Menschen für die Naturwissenschaft?

Eines der großen Missverständnisse ist, dass man für Chemie sehr schlau sein muss und dass es furchtbar kompliziert ist. Das stimmt nicht. Alles, was Sie dafür mitbringen müssen, ist etwas Interesse und eine offene Meinung. Wenn man von vorneherein denkt, dass man es eh nicht versteht, ist das eine schlechte Ausgangssituation. Das trifft glaube ich besonders auf viele Mädchen zu. Sie denken das wahrscheinlich nicht mal bewusst, es ist leider gesellschaftlich immer noch verankert. Viele junge Mädchen und Frauen kommen auf mich zu und sagen, dass sie durch mich die Wissenschaft für sich entdeckt haben und vorher gar nicht gedacht hätten, dass sie sich dafür interessieren. 

Mit welchen Vorurteilen kämpfen Sie als Chemikerin?

Dass ich überhaupt Chemikerin bin, sorgt schon regelmäßig für Überraschung. Ich höre oft, dass ich ja gar nicht aussehe wie eine Chemikerin.

Wie sieht denn eine Chemikerin aus?

Das frage ich mich auch. Das soll ja lustigerweise ein Kompliment sein. Natürlich ist es eigentlich beleidigend, sowohl für Frauen als auch für Chemiker. Man denkt anscheinend, dass Chemikerinnen so aussehen wie die Frauen bei „Big Bang Theory“. Deshalb habe ich auch eine Hassliebe zu dieser Serie. Weil sie einerseits die Nerds irgendwie populär gemacht hat. Andererseits aber Klischees manifestiert, die völlig überholt sind.

Dabei kann chemisches Fachwissen doch dabei helfen, gut auszusehen, oder?

Viele junge Mädchen sind ja wegen Schminktipps bei Youtube. Als ich mit „mailab“ angefangen habe, haben mich viele gefragt, wie denn Chemie mit Beauty und Schminke zusammenpasst. Meine Antwort: Wunderbar! Die Frage, welches Shampoo ich mir kaufe, ist für mich angewandte Chemie. Gerade im kosmetischen Bereich durchschaut man mit ein bisschen chemischem Verständnis doch einiges mehr. Und gibt nicht viel Geld für Gesichtsreinigungswasser aus, nur weil es Mizellenwasser heißt. Mizellen sind eigentlich das Prinzip jeder Seife. Insofern ist Mizellenwasser nur ein Marketing-Gag. 

Was würde sich ändern, wenn mehr Menschen sich mehr mit den wissenschaftlichen Phänomenen um sie herum beschäftigen würden?

Gerade im medizinischen Bereich gibt es Dinge, bei denen ein wissenschaftliches Verständnis über die Gesundheit und manchmal sogar über Leben und Tod entscheiden kann. In Japan ist die Quote für die Impfung gegen das HP-Virus, das zu Gebärmutterhalskrebs führen kann, von 70 Prozent auf unter 1 Prozent gefallen. Weil sich in den Medien etwas die Sorge verbreitet hat, dass diese HPV-Impfung Schäden verursacht. Wenn ich mich aus mangelnder Aufklärung nicht impfen lasse, kann das lebensgefährlich werden, nicht nur für mich selbst, sondern auch für andere. So etwas ist nicht nur nett zu wissen, sondern ganz wichtig. Wenn ich mich viel mit wissenschaftlichen Themen auseinandersetze, überträgt sich das ganz automatisch auf alles. Ich nenne das den wissenschaftlichen Spirit: Wenn ich versuche, Fakten zu suchen, zu verifizieren, einen kühlen Kopf zu bewahren und offen dafür bin, meine Meinung zu ändern. 

Zur Person

Dr. Mai Thi Nguyen-Kim (31) ist Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin. Ihre Doktorarbeit schrieb sie an der Havard University. Für „funk“, ein junges Online-Angebot von ARD und ZDF, produziert sie den YouTube-Kanal „maiLab“. Seit Mai 2018 moderiert sie das Wissensmagazin „Quarks“ im WDR. 

Sie haben in Harvard promoviert und hätten auch in die Forschung gehen können. Warum haben Sie sich entschieden, Wissenschaftsjournalistin zu werden?

Es fing an als Hobby neben der Forschung und sollte auch nie etwas anderes sein. Aber je mehr ich mich damit beschäftigte, desto klarer wurde mir, wie wichtig diese Arbeit ist. Ich musste auch erstmal begreifen, dass ich auch auf Youtube guten Wissenschaftsjournalismus machen kann. Das ist ja eher ungewöhnlich. Aber es ist letztendlich nur eine Ausspielplattform, mit der ich aber eine super Zielgruppe erreiche, nämlich junge Leute, die noch was bewegen können in der Welt. Als ich mit Youtube anfing, war ich noch in den USA. Es war die Zeit des Wahlkampfs zwischen Trump und Clinton. Da wurde mir doch sehr deutlich, wie wichtig es ist, dass wir Wissenschaft vermitteln. Weil es doch ganz echte politische Konsequenzen hat, wenn Menschen anfangen, Meinungen und Fakten zu vermischen.

Das Buch

Mai Thi Nguyen-Kim: „Komisch, alles chemisch. Handys, Kaffee, Emotionen – wie man mit Chemie wirklich alles erklären kann.“ Droemer Verlag, 256 Seiten, 16,99 Euro. 

Wie können Sie im Bereich des Umweltschutzes etwas bewegen als Wissenschaftsjournalistin?

Wir müssen zunächst einmal einsehen, dass jetzt Handlungsbedarf besteht. Wir dürfen nicht darauf warten, was die Wissenschaft noch rausfindet. Nein, wir wissen jetzt genug. Die größte Herausforderung besteht darin, zu kommunizieren, dass es nicht diese eine Lösung gibt. Am liebsten würden wir ja hören: In ein paar Jahren haben wir das mit den Elektroautos raus und dann ist das alles geklärt. Oder: Wenn wir alle vegan wären, gäbe es kein Problem mehr. Es wird aber nicht die eine Megalösung geben. Die Lösung wird aus vielen Teillösungen bestehen, was es natürlich etwas anstrengender macht. Wissenschaft zu vermitteln heißt immer, eine gewisse Komplexität zu vermitteln. Man kann natürlich versuchen, etwas einfacher darzustellen. Das heißt aber nicht, einen Sachverhalt der zwei oder mehr Seiten hat, nur einseitig darzustellen. Auch deshalb ist es wichtig, dass wir uns viel mit wissenschaftlichen Themen auseinanderzusetzen. Man darf sich gar nicht erst angewöhnen, nach einfachen Lösungen zu suchen.

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