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Kölns Gesundheitsdezernent„Das Impfzentrum zu schließen, war ein schwerer Fehler“

Lesezeit 9 Minuten
Dezernent Harald Rau (1)

Kölns Gesundheitsdezernent Harald Rau 

  • Harald Rau ist Gesundheitsderzernent für die Stadt Köln.
  • Im Interview spricht er über die Corona-Lage Kölns und darüber, warum es erst im Frühjahr wieder ein volles Fußballstadion geben könnte.
  • Er wirft auch einen Blick auf die dramatische Situation in den Kliniken.

Köln – Herr Rau, wann wird es das nächste Heimspiel des 1. FC Köln vor vollen Rängen geben? Harald Rau: Vor vollen Rängen in diesem Jahr nicht mehr. Wir fürchten alle, dass die Welle eine Dynamik haben wird, die trotz bester Impffortschritte in den Januar, wahrscheinlich Februar hineinreichen wird. Von daher ist meine Vorhersage, dass wir nicht vor März, April wieder volle Ränge sehen. Tendenziell eher noch später.

Die Bilder von den Tribünen haben viel Kritik hervorgerufen. Wer hat die Durchführung des Spiels vor fast 50.000 Fans erlaubt?

Die gültige NRW-Coronaschutzverordnung hat dazu geführt, dass das Stadion fast voll belegt werden konnte, 2G hatte der FC schon vorher eingeführt. Unter den Bedingungen konnte das Spiel so stattfinden. Das war aber für uns schon mit Beklemmung verbunden. Wir wissen, das Fußballspiel erhöht die Kontaktdichte und die Wahrscheinlichkeit von Infektionen. Auf der anderen Seite wollen die Menschen aber auch leben.

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Das zerreißt einen. Im Laufe des Samstags wurden dann die mahnenden Stimmen deutschlandweit immer lauter, zum Beispiel durch unseren Bundespräsidenten. Auch weil immer mehr über die Virusvariante Omikron bekannt wurde. Deshalb haben wir kurzfristig die Maskenpflicht auf den Zuschauerplätzen eingeführt. Letztlich hat das Spiel nach Gesprächen zwischen Gesundheitsamt, FC und Landesgesundheitsministerium stattgefunden.

Womöglich keine Fußballspiele vor tausenden Zuschauern bis weit ins Frühjahr, heißt das, Sie rechnen bis dahin mit steigenden Inzidenzen?

Die Politik hat beschlossen, nicht mehr die Inzidenzen als entscheidende Größe zu betrachten, sondern die Hospitalisierungsrate in den Krankenhäusern. Ich bin von einer deutlich schlechten Entwicklung der Hospitalisierungsrate überzeugt, die mindestens in den Februar hineinreichen wird. Selbst wenn jetzt die Inzidenz fallen würde.

Wie ist aktuell die Situation in den Kölner Krankenhäusern?

Uns hat am Montag eine Verordnung des Landesgesundheitsministeriums über die Organisation der stationären Covid-Behandlung erreicht. Wenn Sie die lesen, wird die Dramatik deutlich. Die Krankenhäuser werden angewiesen, ihre Kapazitäten auch für Covid-Betroffene über den eigenen lokalen Bedarf hinaus freizuhalten. Das heißt, wir sind schon jetzt angehalten, Kapazitäten für Bayern und andere betroffenen Regionen freizuhalten. Stand jetzt 20 Prozent der Intensivplätze sind für Covid-Patient*innen zu reservieren. Auch hier in Köln ist die Personalsituation dramatisch.

Wir haben nicht alle Betten im Betrieb, weil wir das entsprechende Personal nicht haben. Es gibt Kündigungen, Stellen können teilweise nicht wiederbesetzt werden. Ich kann Ihnen keine Zahlen nennen, aber was ich von den Krankenhäusern höre, ist, dass einige Pflegekräfte zum Teil gar nicht mehr in Krankenhäusern arbeiten wollen. Sie fühlen sich ausgebrannt und nicht genug wertgeschätzt. Einige berichten auch, dass sie sich bedroht fühlen, sich selbst zu infizieren. Jeder zweite beatmete Intensivpatient verstirbt. Die Pflegekräfte investieren viel Herzblut, und die Situation auf den Stationen bringt eine extreme psychische Belastung mit sich.

Wie ist denn die grundsätzliche Pandemielage in Köln?

Die Kölner Situation ist nicht zu vergleichen mit der bayrischen oder sächsischen. Die Welle kommt vom Südosten aus über Deutschland und wird noch dramatischer werden. So ist es zu befürchten. Derzeit sind die reinen Zahlen Kölns im deutschlandweiten Vergleich noch nicht alarmierend, sowohl was die Intensivbetten als auch die Inzidenz betrifft.

Wir haben aber ein so hohes tägliches Infektionsaufkommen – rund 800 Neuerkrankungen pro Tag –, dass es unsere Nachverfolgung und Kontaktierung überfordert. Die Situation ist also bedrohlich. Wir schaffen gerade für das Virus perfekte Bedingungen. Die Durchseuchung ist hoch, das Virus kann sich in den geimpften Menschen einnisten, dort mutieren und Varianten entwickeln, die möglicherweise am Impfschutz vorbeigehen. Das ist extrem gefährlich. Davon werden wir auch in Köln nicht verschont bleiben.

Sie spielen auf Omikron an. Wurde diese Mutation in Köln bereits nachgewiesen?

Nein.

Welche Restriktionen erwarten Sie von der Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag?

Ich gehe davon aus, dass Fußball- und Sportstadien in der Auslastung begrenzt sowie Kontaktreduktionen im Freizeitbereich intensiviert werden und gegebenenfalls die 2G-Pflicht auf mehr Lebensbereiche ausgedehnt werden wird.

Rechnen Sie mit Schließungen von Schulen und Kitas?

Das neu gefasste Infektionsschutzgesetz schließt das aus. Ich erlebe die Politik und ganz viele Vertreterinnen und Vertreter aus der Bildung so, dass sie sagen, der gesellschaftliche Schaden für die Kinder ist so groß, dass wir das nicht mehr wollen. Aber heutzutage sollte nie irgendetwas ausgeschlossen werden. Es sind neue Konstellationen, Virusmutationen und Dynamiken denkbar, von denen wir heute keine Vorstellung haben.

Aber derzeit glaube ich, sind Schließungen von Schulen und Kitas weder politisch durchsetzbar noch fachlich angezeigt. Deshalb ist es aber auch so wichtig, dass wir dort maximale Schutzmaßnahmen ergreifen, viel impfen und testen und bei Infektionen nahtlos Maßnahmen ergreifen. Immer im Wissen, dass in der Regel nicht die Kinder selbst die Betroffenen durch schwere Krankheitsverläufe sind, aber sie sind Weitertragende.

Im Gesundheitsamt gab es zuletzt mehrfach Schwierigkeiten mit der Datenübermittlung an das Landeszentrum für Gesundheit (LZG). Ist das Amt überfordert?

Zum Glück unterstützen uns 54 Angehörige der Bundeswehr. Wir hatten schon über 1000 Mitarbeitende gegenüber den sonst üblichen 350. Die haben wir aber über die Sommerzeit zunehmend abgebaut. Jetzt sind wir wieder dabei, möglichst viele Menschen anzustellen. Das ist aber ein Prozess, und wir sind im Moment noch nicht in der Lage, zum Beispiel diese 800 Neuinfektionen pro Tag und die Suche nach Kontaktpersonen am Tag der Positivmeldung zu bewältigen.

Bei der Datenübermittlung gab es ein Problem bei der Schnittstelle zum LZG. Das gab es in der Vergangenheit auch mit anderen Städten, es ist also kein alleiniges Kölner Problem, das haben die Analysen deutlich gezeigt. Jetzt hoffen wir, dass sich so etwas nicht wiederholt.

Impfen gilt als Königsweg aus der Pandemie. War es ein Fehler, das Impfzentrum in der Messe zu schließen?

Ja. Damit fängt für mich schon die Tragik an. Wir hatten in der Messe ein hervorragend funktionierendes Impfzentrum mit täglich 6000 Impfungen und einer ganz, ganz positiven Resonanz. Das war ein absolutes Erfolgsmodell. Leider hat das Land trotz unseres Intervenierens – auch meines persönlichen – beschlossen, die Impfzentren einzustellen. Das war kein Ratschlag, das war eine Anordnung. Ich empfand das als schwerwiegenden Fehler.

Wie hat das Land das begründet?

Gar nicht. Aber der Betrieb des Impfzentrums war teuer. Das Geld dafür ist uns überwiegend vom Land zur Verfügung gestellt worden. Deshalb kann das Land die Impfzentren auch schließen. Mich ärgert es, weil wir mit den einhelligen Expertenprognosen wussten, dass eine vierte Welle kommt. Ich glaube, es waren zu viele Entscheiderinnen und Entscheider, die über den Sommer hinweg ein falsches Vertrauen in die abflachenden Werte hatten und hofften, dass uns die vierte Welle erspart bleibt.

Dabei war vielen – auch uns – klar, dass das nicht so sein wird. Es gibt aber auch einen richtigen Aspekt. Wir, auch das Land, möchten jetzt mit der Impfung näher an die Menschen ran. Deshalb brauchen wir auch viele kleinere dezentrale Impfstellen.

Wie möchten Sie mehr Impfkapazitäten schaffen?

Wir planen kurzfristig unser Angebot zu erweitern, sodass man mit dem Auto, aber auch als Fußgänger oder Radfahrende dorthin kann. Wir hoffen auf mehr als 2000 Impfungen pro Tag. Wir haben unsere mobilen Impfteams von täglich zwei auf drei und bald auf fünf aufgestockt, die zum Beispiel in Bürgerämtern impfen. Viele Vereine kommen auf uns zu und bieten an, bei ihnen während bestimmten Ereignissen zu impfen.

Wir haben aber begrenzte Ressourcen und müssen auf die Effizienz achten, sodass wir möglichst schnell viele impfen können. Wir wollen 15.000 Impfungen täglich. Die Stadt hat sich 5000 auf die Fahne geschrieben, die anderen 10.000 sollen aber von Ärztinnen und Ärzten in den Praxen geimpft werden. Die sind inzwischen bei 8500 täglich, also relativ nah an diesem Ziel. Wir sind sehr dankbar für das Engagement der Ärzte.

Befürworten Sie eine allgemeine Impfpflicht?

Ich war lange dagegen. Die Hardcore-Impfgegner mit ihren Verschwörungserzählungen hätten die Impfpflicht als Unterfütterung ihrer kruden Ideen empfunden. Aber wir sind jetzt in einer Situation, in der wir immer noch zu wenige Menschen erreichen. Ungeimpfte gefährden nicht nur massiv sich selbst, sondern auch unser aller Freiheit.

Wenn wir wieder in erhebliche Restriktionen eintreten müssen, weil sich ein Teil nicht impfen lässt, dann ist das eine Gefahr für die Gesellschaft. In einer Demokratie ist es weiterhin so, dass die Freiheit des Einzelnen da endet, wo die Freiheit der anderen beschnitten wird. Deshalb halte ich eine Impfpflicht für richtig. Ich frage mich aber, wie sie konkret umgesetzt werden soll.

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2G-Plus und 3G am Arbeitsplatz bedürfen hoher Testkapazitäten. Haben wir davon genug?

Wir hatten schon mal eine Kapazität von täglich 90.000 Testungen und haben nie eine Auslastung erlebt. Aktuell haben wir eine Kapazität von etwa 66.000 pro Tag. In den vergangenen Tagen hat sich die Inanspruchnahme drastisch erhöht, so dass diese 66.000 auch nötig sind. Deshalb werden wir gegebenenfalls weitere Teststellen beauftragen.

Warum ist die vierte Welle heftiger als die Wellen zuvor?

Die Delta-Variante des Virus‘ und auch mögliche neue Varianten haben eine sehr hohe Infektiosität. Und dann glaube ich, fühlen sich viele Menschen durch den großen Impferfolg – damit meine ich nicht nur die Zahl der Geimpften, sondern auch die hohe Wirksamkeit der Impfstoffe – möglicherweise zu sicher. Das überlappt sich: Wir impfen, es gab die virale Sommerflaute in der Pandemie. Das hat die irrationale Hoffnung gemacht, dass wir in diesen Herbst gehen können mit Weihnachtsmärkten, Karneval, Sport. Das hat uns alle als Gesellschaft zu unvorsichtig werden lassen.

Der 11.11. hatte keine signifikante Auswirkung, sagt die Stadt. Manche glauben das nicht.

Dass es eine Auswirkung haben wird, war erwartbar. Aber wie sehen wir das tatsächlich im Infektionsgeschehen abgebildet? Wir haben viele Daten ausgewertet und verglichen, und da komme ich zu dem Schluss: Der große Infektionstreiber war der 11.11. nicht. Dabei bleibe ich, und das sehe ich auch anders als Karl Lauterbach (SPD-Gesundheitsexperte, d. Red.), der mir gern seine Statistiken zeigen kann, dann können wir darüber reden. Mit dem 11.11. ist es wie mit dem FC-Spiel. Ich habe überhaupt nicht gern zugestimmt.

Infektiologisch wäre es besser gewesen, auf Karneval, Weihnachtsmärkte, Fußballspiele zu verzichten. Aber in der Abwägung haben wir lieber eine kontrollierte Großveranstaltung, die weitgehend im Freien stattfindet, als weniger bis gar nicht kontrollierte Veranstaltungen in Innenräumen. Das Hauptgeschehen der Infektionsdynamik ist in geschlossenen Räumen. 

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