Systemkritik, Blumen, VerschwörungSo bizarr lief die Kölner Corona-Demonstration ab

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Klatschen, tanzen, skandieren, kuscheln: Jeder drückt sein Anliegen auf seine Art aus.

  • Die einen wittern Verschwörungen. Die anderen haben die Nase voll von Verschwörern. Wieder andere wollen nur die Corona-Politik kritisieren. Und dann sind da noch die am extremen Rand.
  • Von ganz links bis ganz rechts war auf der Corona-Demo am Kölner Dom alles dabei. Das führte zu vielen Spannungen untereinander.
  • Wie es sein kann, dass die Demonstranten einer einzigen Demo ihren Anliegen gegenseitig im Weg stehen.

Köln – Komplett friedlich ist die Stimmung zu keiner Zeit vor dem Dom am Samstagnachmittag, für einen Moment aber scheint die Lage fast zu eskalieren. Halb fünf ist es etwa, als es ein veritables Handgemenge gibt in dieser kaum zu definierenden Masse von Menschen, die sich in irgendeiner Form zu Corona äußern wollen.

Eine junge Frau filmt die Kundgebung mit ihrem Smartphone, es kommt zum Streit mit Teilnehmern. Die Lage ist hier sowieso seit Stunden aufgeheizt, Abstand halten geht kaum noch, dazu ist es viel zu voll. Die Frau mit dem Handy und die Leute um sie herum wirken aggressiv. Polizisten sehen sich das nicht länger an, isolieren die 26-Jährige, bändigen sie zu Boden, legen ihr Kabelbinder um die Hände und führen sie ab. Festnahme, Anzeige wegen Körperverletzung und Widerstands gegen Polizeibeamte.

Gleichzeitig wird Video im Netz die Runde machen. Live auf Youtube gestreamt, offenbar von der Frau mit dem Smartphone in eben jener Situation. Das Video zeigt Aggressionen von Demo-Teilnehmern gegen sie und dann die Festnahme.

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Yoga und Meditation können bei so vielen Spannungen nur hilfreich sein.

Wer sich an die fassungslose Entschlossenheit des Polizeipräsidenten nach der Demo-Eskalation vor einer Woche erinnert, wundert sich nicht über das entschiedene Eingreifen der Einsatzkräfte, hält in diesen Minuten sogar eine Auflösung der Versammlung für möglich. Die ersten schreien wütend etwas von „Polizeigewalt“, dass längst nicht mehr Corona das Problem sei, sondern „Repression des Staates gegen seine Bürger“, etwas viel größeres also. „Polizisten schützen die Faschisten“, urteilen einige skandierend noch in der Sekunde der Festnahme. Andere brüllen, dass hier endlich mal durchgegriffen werde.

Köln gegen Rechts hatte 200 Teilnehmer angekündigt

Zur Entspannung auf dem Roncalliplatz trägt das gewiss nicht bei. 200 Menschen haben vor zu kommen und gegen rechte Verschwörungstheorien in der Corona-Zeit aufzustehen, hieß es noch am Freitag seitens der Demo-Organisatoren von Köln gegen Rechts. Es ist ein Vielfaches davon geworden, in der Spitze wahrscheinlich mehr als 1000.

Und anders als bei so vielen Demos, bei denen man sich in der Regel mit Gleichgesinnten trifft, ist sich hier fast niemand einig. „Ihr wisst es vielleicht noch nicht, aber Ihr seid Nazis!“ ruft ein junger Mann durch seinen Mundschutz fünf Männern zu, die sich nicht kennen, auch keine Maske tragen, aber ziemlich nah beieinanderstehen.

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„Bist du etwa ein Nazi?“, fragt der eine den anderen. „Ich weiß nicht genau, eher nicht, aber wenn ich einer bin, bist du auch einer“, antwortet der andere und sagt später noch: „Ich leugne doch nicht Corona, aber wenn alle sagen, dass wir jetzt sterben müssen, ist was faul in diesem Land, und ich ahne auch, was.“

Was genau das sein soll, wolle er „lieber nicht sagen“, hinterher stehe das noch so in der Zeitung – und dann könne man auf die Idee kommen, er sei ein Nazi. Also lieber nicht.

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Die Polizei mittendrin

Menschen, die gegen Nazis demonstrieren. Menschen, die nicht Nazi genannt werden wollen. Menschen, die Nazis sind. Menschen, die alles andere sind. Alles gibt es hier an diesem Nachmittag auf dem Roncalliplatz. Dazu Selfie-Touristen vor dem Dom, die man sich schon vor Wochen abgewöhnt hat. Viele junge Menschen sind hier, kaum Risikogruppen.

„Schalt dein Hirn an!“

Zwei junge Männer brüllen sich vor dem Römisch-Germanischen Museum an, einer sitzt im Schneidersitz mit Grundgesetz im Schoß auf dem Boden, einer beugt sich mit schwarzer Flagge in der Hand zu ihm herunter. Es geht jetzt ein paar Minuten um das Virus und ob wir überhaupt noch zu retten sind. „Mach doch mal den Fernseher zu Hause aus und schalt dein Hirn an!“, schreit der mit dem Grundgesetz. „Und vor allem: Nimm deine Maske ab, ich verstehe dich überhaupt nicht“. Aber auch inhaltlich ist es schwer, dem Streitgespräch zu folgen.

Im Kern geht es aber um „Staat“, „Amerika“ und „Wahrheit“ – die Begriffe fallen jedenfalls oft. Es wird immer lauter, bis die beiden über „die Medien“ sprechen. „Stimmt, da sind wir uns einig“, sagt der Mann mit der Flagge. Und der im Schneidersitz sagt wieder was mit „Wahrheit“ und „Gleichschaltung“, danach verbrüdern sich die beiden mit Handschlag.

Daneben sitzt eine Frau, die skandiert: „Gib Gates keine Chance!“ Eine andere lässt in ihrer Musikbox das Pippi-Langstrumpf-Lied laufen. „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.“ Keine Ironie soll das sein, sagt sie, dafür sei die Lage viel zu ernst.

Polizei: „Zu einer Demonstration darf jeder kommen“

Es ist die komplette Bandbreite des ideologischen Spektrums, das sich auf dem Roncalliplatz versammelt. Meditierende, Yoga-Jünger, Menschen, die sich Blumenketten binden und in die Haare stecken, eine tätowierte Rothaarige im Reichsbahn-Pullover. Menschen mit Zollstock in der Hand, aufgeklappt auf anderthalb Meter. Dutzende, die sich demonstrativ umarmen.

Ein Mann mit Sturmhaube und Sonnenbrille, den die Polizei an das Vermummungsverbot erinnert. Menschen gegen Impfplicht, ARD, ZDF und RKI, Menschen gegen das „Corona-Regime“, wie sie sagen. Menschen, die einfach so stolz sind, eine andere Meinung zu haben. Einer, der gerade Xavier Naidoo hört – „Nicht von dieser Welt“.

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„Zu einer Demonstration darf jeder kommen, auch wenn er anderer Meinung ist als der Veranstalter. Wir werten das als eine einzige Versammlung, die allerdings deutlich größer ausgefallen ist als angemeldet“, sagt ein Polizeisprecher vor Ort.

Veranstalter widersprechen und kritisieren Polizei

Die Veranstalter vom Antifaschistischen Aktionsbündnis - Köln gegen Rechts widersprechen dieser Darstellung allerdings vehement. Es habe für den Samstagnachmittag einerseits ihre genehmigte Demonstration auf dem Roncalli-Platz gegeben. „Auf der anderen Seite des Platzes versammelten sich zeitgleich Gruppen von Verschwörungstheoretiker*innen und Corona-Leugner*innen zur ungenehmigten „Meditation“,“ betont Köln gegen Rechts in einer Stellungnahme.

Unter diesen Leuten seien auch „bekannte Rechtsradikale“ gewesen. Köln gegen Rechts wirft der Polizei „Versagen“ vor, weil sie „die nicht genehmigte Versammlung der Corona-Leugner*innen auf dem Roncalli-Platz zuließ, und Provokationen von Rechtsextremen nicht verhinderte“.

Wer sein Weltbild überfordern will, ist hier richtig

Die Polizei ist mit mehreren Hundertschaften hier, immer wieder ertönt aus einem Einsatzwagen die Durchsage, Abstände einzuhalten. Wo es gar nicht mehr geht, stellen sich Polizisten zwischen die Menschen und fordern sie nochmal persönlich auf. Ein Polizist spricht ein Pärchen an, das auf dem Boden sitzt. Sie sollen auf Abstand gehen. Machen sie aber nicht, sie sind ja ein Paar. Also nimmt der Polizist die Personalien auf und spricht von einem Verstoß gegen die Corona-Regeln. Die beiden bekommen demnächst Post. Neben ihnen sitzen noch andere, viele von ihnen zu zweit. „Das ist Willkür“, sagt der Mann hinterher. Die Virologen und ein paar Universitäten hätten die Regierung übernommen. Seine Maske nennt er „Maulkorb“. Er hat sie abgelegt. Er will sich nichts mehr sagen lassen, sagt er.

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Auch die Antifa demonstriert mit.

Dann singen ein paar Leute das schöne Lied „Die Gedanken sind frei“, wie es die Menschen am Ende der DDR getan haben. Pfiffe und Buhrufe gibt es von anderen, die danach „Hoch die internationale Solidarität“ skandieren. Wer schon immer mal sein Weltbild überfordern wollte, ist hier genau richtig.

Für den späteren Nachmittag hatten Gruppen­­­ zu einem „Stadtspaziergang“ aufgerufen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Angemeldet war die Versammlung nicht. Polizisten lösen einzelne Grüppchen-Bildungen auf und sprechen Platzverweise aus. Zu dem Spaziergang kommt es nicht mehr. Eine Mini-Demo auf dem Heumarkt verläuft ohne Zwischenfälle. Polizei-Einsatzleiter Michael Tiemann spricht am Abend von „größtenteils auflagenkonformen und störungsfreien Demonstrationen“.

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