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„Angstraum Köln“Figur mit Spritze auf dem Neumarkt sorgt für heftige Reaktionen

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Am Neumarkt ist eine Kunstaktion zum Drogenkonsum zu sehen.

Köln – Ein Mann und eine Frau trinken Kölsch. Immer im Wechsel, öffentlich und für jeden sichtbar, tagein, tagaus und auch nachts. Seit 1968 hängt die blinkende Reissdorf-Reklame an einer Hausfassade am Rudolfplatz. Mittlerweile steht sie unter Denkmalschutz. Nun hat die kölsche Werbe-Ikone zumindest zeitweise ein Pendant bekommen.

Seit Freitag steht die Figur auf dem Neumarkt und sorgt für Aufregung. Denn die Skulptur, für die die Reissdorf-Werbung ganz offensichtlich Pate gestanden hat, trinkt nicht, sie setzt sich einen Schuss Heroin. Eine Provokation auf einem Platz, der nicht nur das Shopping-Zentrum der Stadt ist, sondern seit vielen Jahren auch einer der größten Drogen-Hotspots. Legaler Konsum versus illegaler Konsum – das ist die Idee.

„Sie spritzt, Er spritzt (Konsumfreiraum)“ ist der Titel der Installation, die die beiden Wiener Künstler Alexandra Berlinger und Martin Wagner im Rahmen des Impulse Theater-Festivals entwickelten und die zu dem vierteiligen Kunstprojekt „Angstraum Köln“ gehört. Die Idee sorgte sogleich für heftigen Gegenwind. Die Bürgerinitiative Zukunft Neumarkt, ein Aktionsbündnis von Geschäftsleuten und Anwohnern gegen den am Neumarkt geplanten Drogenkonsumraum, fragte sogleich provokant: „Ist das Kunst oder kann das weg?“ Guido Köhler, Vorsitzender der Bürgerinitiative, zeigt sich entsetzt: „Das ist eine Verherrlichung und Verharmlosung von Heroin und anderen harten Drogen, die an die Grenzen dessen stößt, was man ertragen kann.“ Hier werde Kunst auf dem Rücken der Abhängigen gemacht mit dem politischen Ziel, Drogen zu legalisieren.

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Auch Reissdorf distanzierte sich von der Aktion und kündigte an, einen Anwalt einzuschalten. Gesundheitsdezernent Harald Rau dagegen, der sich seit Jahren für die Einrichtung eines Drogenkonsumraums in Neumarkt-Nähe einsetzt, unterstützt das Projekt. „Ich freue mich, dass auch Kulturschaffende das problematische Thema »öffentlicher Drogenkonsum« aufgreifen und es so einmal aus ganz anderer Perspektive in der Stadtgesellschaft sichtbar wird“, sagte er dem „Express“.

Mit dieser Einschätzung befindet sich Rau in guter Gesellschaft. Veranstalter des Theater-Festivals Impulse ist das NRW- Kultur-Sekretariat gemeinsam mit den Städten Köln, Düsseldorf und Mülheim. In Köln ist außerdem die renommierte Studiobühne beteiligt. Finanziell gefördert wird es mit Landes- und Bundesmitteln. Gerade erst wurde das Kölner Projekt „Angstraum“, zu dem auch die Installation vom Neumarkt gehört, von der Kunststiftung NRW ausgezeichnet.

Künstler wollen Sichtbarkeit, keine Verharmlosung

„Es geht den Künstlern nicht darum, Drogenkonsum zu verharmlosen oder zu legalisieren, sondern darum, eine Sichtbarkeit herzustellen, auch von der Parallelität von legalem und illegalem Konsum in der Gesellschaft“, sagt Julia Kretschmer, Sprecherin des Festivals. Es gehe darum, auf die Verdrängung von Randgruppen hinzuweisen. Diesem Zweck dienen auch mehrere große Holzboxen mit der Aufschrift „Konsumfreiraum“, die das Künstler-Duo auf dem Neumarkt und dem benachbarten Josef-Haubrich-Hof platziert haben.

Noch bis zum 23. Juni wollen Berninger und Wagner die Kisten zweimal täglich verschieben und so für Aufmerksamkeit sorgen. Die Boxen sollen mit ihrer Konstruktion an die Holzverschalungen erinnern, mit denen die ehemals für den Drogenkonsum genutzten Treppenabgänge am Haubrich-Hof verschlossen wurden.

Festival-Veranstalter weist Vorwürfe zurück

Den Vorwurf, hier werde Kunst auf Kosten der Süchtigen gemacht, weist der Festival-Veranstalter vehement zurück. „Das ist doch eher eine Solidaritätsbekundung“, so Sprecherin Kretschmer. Die Wiener Künstler hätten im Vorfeld mit zahlreichen Gruppen das Gespräch gesucht, auch mit der Bürgerinitiative Zukunft Neumarkt. Letztere sei jedoch nicht zu einem persönlichen Austausch bereit gewesen. Dass es wichtig ist, regelmäßig vor Ort zu sein, um die Installation zu erklären, diese Erfahrung haben die Künstler in den vergangenen Tagen schon gemacht. „Wir werden sehr oft angesprochen von Passanten, aber auch von Leuten aus der Drogenszene, die uns fragen, was das soll“, sagt Alexandra Berlinger. Die Reaktionen seien sehr positiv, wenn das Verständnis erst mal geweckt ist.

Im Mail-Postfach der Bürgerinitiative Neumarkt spiegelt sich indes eine andere Stimmung. Die Aktion werde als Verhöhnung der Suchtkranken und ihrer Angehörigen kritisiert, so Guido Köhler. „Fragen Sie doch mal die Mutter eines Drogenkranken, der sich zu Tode gespritzt hat, wie sie das findet.“

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