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Kunst auf GepäcktrolleysDrive-In-Galerie im Kölner Flughafenparkhaus

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Für jeden Geschmack ist etwas dabei.

Köln – Viele Dinge hätte man noch vor drei Monaten nicht mal in Erwägung gezogen. Geschweige denn, getan. Und wenn ein Freund angeregt hätte, am Samstagabend ein Stündchen durchs Flughafen-Parkhaus zu kurven und dabei Kunst zu gucken, hätte man dem doch einen Vogel gezeigt oder gemutmaßt, dem fehlen ein paar Trinkgefäße in seiner Vitrine.

Nun steuert am diesem Samstagabend aber nicht ein Fahrzeug den ansonsten verwaisten Flughafen an, es sind Hunderte. Hunderte, die die Idee einer Drive-in-Galerie verlockend finden. Von der angekratzten Rostlaube bis zum Hochglanz-SUV ist alles vertreten.

Dezentes Motorenbrummen auf der gesamten Ebene, heruntergelassene Seitenfenster und der Mann am Lenkrad hin- und hergerissen, wo er zuerst hinschauen soll: Rechts zu den großformatigen Frauenportraits auf LKW-Plane der Künstlerin Patricia Casagrande oder nach links, wo ebenfalls Köpfe aber auch sehr viel von den Dingen unterhalb der Gürtellinie zu erkennen ist.

300 Exponate ausgestellt

Ein Ehepaar aus Brühl rollt im Weniger-als-Schritttempo über den mit rot-weißem-Absperrband markierten Parcours, lächelt, staunt. Selbst dem Terrier auf Frauchens Schoß scheint die ungewohnte Perspektive zu gefallen: 300 Exponate – Gemälde, Fotografien, Skulpturen (wie etwa die eindrucksvollen hölzernen Körper des Südtirolers Hubert Mussner) sind dargeboten – zumeist auf Gepäcktrolleys, mit denen Reisende in anderen Zeiten ihre Koffer zum Check-in schieben.

Vier weiße, circa 4,50 Meter hohe säulenartige Skulpturen aus Hartschaum lassen schon aus der Ferne erkennen, dass der Airport an diesem Wochenende nicht wie sonst ist. Rudolf Hürth hat die 250 Kilo schweren noch namenlosen Objekte geschaffen. Der Bonner BIldhauer und Architekt – Lederjacke, Schiebermütze und David-Niven-Bärtchen – lächelt und ist hochzufrieden über den Ausnahmestandort seiner Kunst

Initiative „Nachtbrötchen“

Hätte man vor einem halben Jahr die Idee einer Kunstausstellung im Parkhaus an ihn herangetragen, wäre seine Antwort ein Nein gewesen, betont Dieter Nusbaum. Er trägt einen schwarzen Hut und eine schwarze Maske, an deren unterem Rand sich ein imposanter grauer Bart hervorkräuselt. Nusbaum ist Künstler und zugleich Galerist und hat gemeinsam mit seinem Partner Thomas Hoffmann aus der Münsteraner „Overhead Gallery“ sowie Marc van der Spek und André Schnaudt, den beiden Betreibern der Düsseldorfer „Part 2 Gallery“ die Initiative „Nachtbrötchen“ ins Leben gerufen. Mit dieser wollen die vier nach Vorbild des New Yorker „Mudd Club“  Ausstellungen, Konzerte und Performances an ungewöhnlichen Orten stattfinden lassen und vor allem junges Publikum anlocken.

Nach der Premiere im Herbst in einem ehemaligen Düsseldorfer Industrielager hätte man sich für einen zweiten „Nachtbrötchen“-Event freiwillig gewiss kein Parkhaus mit suboptimalen Lichtverhältnissen ausgeguckt. Aber in der neuen Zeitrechnung n.C. (nach Corona) erscheint   eben auch das bis dato Unpassende verlockend. Zudem seien sowohl der Flughafen als auch das Kölner Bauamt bei diesem Unterfangen äußerst kooperativ gewesen, unterstreicht Nusbaum.

„Endlich mal wieder raus!“

Ein Herr in schwarzem Rock, Jacket und Atemschutzmaske mit Louis-Vuitton-Initialien schlendert mit seiner Begleitung durch den Soundkorridor, den die DJ’s „Strandpiraten“ erzeugen. „Endlich mal wieder raus und sich zeigen können!“, freut sich Kunstrestaurator Tim Bade. Neben bemalten oder besprühten Leinwänden sind es vor allem Fotos wie die von Maike Brautmeier, Barbara Heider-König oder Hans Joachim Conrad, die die Besucher kurz stoppen lassen.

„Es ist für jeden Geschmack was dabei“, sagt Marc van der Spek und führt an stilistisch wie qualitativ sehr unterschiedlichen Arbeiten vorbei. Es gibt Bilder für 200 und für 15 000 Euro; neben den Arbeiten von etablieren Künstlern (wie etwa dem 2017 verstorbenen Berliner Künstler Johannes Grützke) stehen die von jungen Künstlern wie Johannes Ehemann.

Oberhalb der Maske mit der Aufschrift „smile – you are the greatest“ sind lachende Augen zu sehen. Ehemann verdient sein Geld als Eishockey-Profi und steht in seiner Freizeit an der Leinwand. Außerdem hat er Modedesign studiert und hat Spaß daran, handelsübliche Sportschuhe in Kunstwerke verwandeln. „Normalerweise heizen die Leute mit gefühlt 100 Sachen hier durch“, stellt der 23-Jährige mit Blick auf die schier endlose Schneckentempo-Autoschlange fest. „So eine Ausstellung wird es in naher Zukunft sicher nicht mehr geben.“

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Selbst der Abendhimmel, so hat es den Anschein, setzt an diesem ungewöhnlichen Abend alles dran, um gegenüber dem dargebotenen Farbspekturm nicht ganz blass zu erscheinen. Nach 22 Uhr rollen noch immer Fahrzeuge an, unter anderem eine Limousine aus Amsterdam, wo im Herbst das nächste „Nachtbrötchen“ stattfinden soll. Ob mit oder ohne Atemschutzmasken bleibt abzuwarten.

Die Ausstellung ist am Sonntag, 7. Juni, zu Ende gegangen.

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