Kunstwerke in Köln-NippesWo Porträts zu Plädoyers werden

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Fotografin Karin Richert bleibt beharrlich bei der Schwarz-Weiß-Fotografie.

Fotografin Karin Richert bleibt beharrlich bei der Schwarz-Weiß-Fotografie.

Nippes –  Ein Foto zu machen ist inzwischen eine selbstverständliche Sache. Anders lässt sich kaum erklären, dass nahezu alles zum fotografischen Thema wird. Ganz anders bei Fotografin Karin Richert, die ihre bildnerische Arbeit seit Jahrzehnten auf wenige Themen und Motive beschränkt: Armut, die Aufklärung über Antisemitismus und politisch rechtsextreme Aktivitäten und die Sammlung von unscheinbaren Zeichen des Widerstands auf den Mauern der Wohlstandsgesellschaft. Das sind auch die fotografischen Aspekte einer Ausstellung in der Galerie Koppelmann, auch bekannt als Kunstwerk Nippes. Im Mittelpunkt der kleinen Retrospektive, die das politische Engagement der Kölner Fotografin würdigt, steht eine aktuelle Fotoserie zum 65-jährigen Bestehen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. „Wer in der deutschen Gesellschaft hat das Grundgesetz überhaupt je gelesen?“ hat Richert sich gefragt. So hat sie ganz unterschiedlichen Menschen ein Schild mit dem Wortlaut des ersten Artikels des Grundgesetzes in die Hand gedrückt und damit fotografiert. Die vielen Porträts, nebeneinander gestellt, sind gleichermaßen Studie und Plädoyer. Ihre eindringliche Kraft beziehen alle Fotografien Richerts aus der Reduzierung auf den Kontrast von Schwarz und Weiß und den vielen Nuancen dazwischen. Das ist traditionelle Schwarz-Weiß-Fotografie, die ohne jeden spektakulären Effekt auskommt.

Die 1950 geborene Karin Richert, die seit langem in Köln lebt, steht darin ganz in der Tradition der Arbeiterfotografie und ihrem gleichermaßen aufklärerischen und kämpferischen Anspruch. Die Arbeiterfotografie war aus der sozialdokumentarischen Fotografie Ende des 19. Jahrhunderts entstanden und hatte sich speziell in der Weimarer Republik als Teil der Arbeiterbewegung im Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit und Unterdrückung etabliert. Grundlage dieses Ansatzes ist nicht allein eine einfühlsame, ungeschminkte Dokumentation der Lebenswelt der unteren sozialen Schichten, sondern zugleich der bildliche Ausdruck einer moralischen Haltung. Besonders berührend sind Richerts Fotografien von Händen, die Brot halten. Unter dem Titel „Von der Hand in den Mund“ machen die Aufnahmen Armut und Hunger ebenso sichtbar wie die existenzielle Bedeutung einfacher Dinge.

Karin Richert weiß, dass es kein wirklich neutrales, objektives Foto gibt. Und sie weiß, dass politisches Handeln auch eine ästhetische Dimension hat. So greifen in ihren Fotografien nüchterne Dokumentation und Poesie, die Wachheit der aufmerksamen Bürgerin und politische Haltung unauflösbar ineinander. In einer umfangreichen Foto-Sammlung dokumentiert Richert die mehr oder weniger deutlichen Ausdrucksformen des Widerstands gegen die herrschende Ordnung auf Hausfassaden, Stromkästen und in Fenstern. Das sind Wörter wie „Respekt“ oder „Rücksicht“ und Sprüche wie „Make love not war“ , „Es lebe der Traum“ oder „Kauf dir dein Leben“. Auch ihr bekanntestes Foto ist in der Ausstellung zu sehen: Der Schriftzug „Köln ist schön“, der lange in Mülheim entlang der Straßenbahnstrecke auf einer verwitterten Betonmauer zu sehen war, die früher den Kabellager-Platz der Fabrik Felten & Guillaume umgab. Richerts Anspruch, die Fotografie grundsätzlich an eine moralische Haltung zu binden, ist angesichts der vielen, jede Moral überschreitenden Fotos im weltweiten Digitalnetz eine radikale Positionierung. Besagt diese Haltung doch, dass im Namen der Freiheit, gegen deren Unterdrückung Karin Richert seit Jahrzehnten antritt, keineswegs alles legitim ist, was machbar ist. Ihr fotografischer Verweis auf den ersten Artikel des Grundgesetzes ist ein Plädoyer für die prinzipielle Gültigkeit des Kategorischen Imperativs. Beim Aufklärer Immanuel Kant wird der wie folgt formuliert: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“ Und bei der Sozialistin Rosa Luxemburg heißt das: „Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden.“ Galerie Koppeklmann/Kunstwerk Nippes, Baudristraße 5, geöffnet Do,Fr 15-19 Uhr, Sa 11-15 Uhr, bis 30. Juni

Fotografin Karin Richert bleibt beharrlich bei der Schwarz-Weiß-Fotografie.

Fotografin Karin Richert bleibt beharrlich bei der Schwarz-Weiß-Fotografie.

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