KVB-Unfall„Versuchten die Scheibe einzutreten“ – Ermittler stehen noch vor Rätseln

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KVB-Unfall XX

Bei dem KVB-Unfall im März 2018 am Eifelwall wurden mehr als 40 Menschen verletzt.

Köln – Um 17 Uhr am Donnerstag, drei Stundenvor dem verheerenden Unfall, legt der Fahrer der späteren Unglücksbahn am Neumarkt seine letzte längere Pause für diesen Tag ein. Er hat  „Mittelschicht“, ist seit etwa 13 Uhr im Dienst und hätte kurz nach dem Zusammenstoß Feierabend gehabt.

Wie und womit der 55-Jährige seine Pause am Neumarkt nutzt,  was er in den folgenden Stunden in der Fahrerkabine tut – all das muss nun die Polizei herausfinden. Hat er in seiner Pause oder unterwegs Alkohol getrunken? „Das wissen wir noch nicht“,  sagt Thomas Miebach, Bereichsleiter Stadtbahn bei der KVB. „Am Neumarkt gab es noch keine Auffälligkeiten.“

Seit 1991 ist der 55-Jährige ohne Fehl und Tadel für die KVB im Einsatz, sagt KVB-Chef Jürgen Fenske tags darauf. „Insofern stehen wir hier auch vor einem Rätsel.“

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Zeugen berichten von „merkwürdiger“ Fahrweise

Fest steht: Um 20.05 Uhr rammt der 55-Jährige mit seinem Zug eine Bahn, die vor ihm an der Haltestelle Eifelwall steht. Zeugen berichten Polizisten kurz darauf, dass der Mann schon zuvor „merkwürdig“ gefahren sein, er habe ruckartig gebremst, sei ruckartig angefahren, habe eine Haltestelle fast, eine andere komplett durchfahren ohne anzuhalten.  Die Beamten machen einen Atemalkoholtest. Der Messwert beträgt nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ angeblich annähernd zwei Promille. Ein KVB-Mitarbeiter begleitet den Fahrer nach Hause. Am Freitagmorgen begibt er sich in ärztliche Behandlung.

Ein Knall, und dann sekundenlang Stille. So beschreibt Florian Wagner (Name geändert) den Moment, als die beiden Züge zusammenstoßen. Wagner sitzt im hinteren Waggon der ersten Bahn. Der 38-Jährige ist vor ein paar Minuten zugestiegen, will zum Barbarossaplatz und dort umsteigen. Wagner sieht gerade auf sein Handy, als es kracht und der Waggon entgleist.

 Der 38-Jährige wird auf den gegenüberliegenden Sitz geschleudert, verliert dabei seine Brille. „Ich war ein paar Sekunden orientierungslos. Als ich wieder zu mir kam, blutete ich aus der Nase“, schildert er tags darauf. Mehrere Menschen hätten auf dem Boden gelegen und geblutet. Allmählich hätten sie sich wieder aufgerappelt. „Ich fand erstaunlich, wie ruhig es war“, erzählt er. Die Leute hätten sich gegenseitig gefragt, ob alles in Ordnung sei. „Jemand reichte mir meine Brille.“

Türen ließen sich nicht öffnen

Wenig später breitet sich Rauch im Waggon aus. Fahrgäste ziehen die roten Nothebel an den Wänden, um die Türen zu öffnen. Aber es tut sich nichts. Die Türen bleiben zu. Eine Durchsage des Fahrers über Lautsprecher gibt es nicht, berichtet Florian Wagner.

Bei einigen breitet sich nun doch  Panik aus. „Sie versuchten, die Scheiben einzutreten.“ Nothämmer gibt es in dem Zug nicht.

Das sei nicht üblich und auch nicht notwendig bei Bahnen, die zu beiden Seiten Türen haben, erläutert Thomas Miebach von der KVB. Eigentlich, sagt er, könne man die Scheiben mit Kraft nach außen drücken. Aber das gelingt offenbar nicht.

Auf dem Bahnsteig habe ein Mann in KVB-Uniform gestanden, erinnert sich Wagner. Er habe den Menschen, die die Fenster eintreten wollen, sinngemäß zugerufen: „Lasst die Bahn heil!“

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Nach etwa fünf bis sieben Minuten hätte sich plötzlich die vorderste Tür geöffnet, und alle Fahrgäste seien ins Freie geflüchtet. Thomas Miebach und KVB-Chef Fenske sagen am Freitag, sie kennen diese Schilderungen von Zeugen. „Wir gehen dem nach“, betont Miebach.

„Betriebsamkeit, aber keine Hektik“

Zur selben Zeit, als die Fahrgäste auf den Bahnsteig strömen, seien auch Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst da gewesen, erinnert sich Florian Wagner. Die Feuerwehr löst das interne Einsatzstichwort „Massenanfall von Verletzten“ aus. Die Krankenhäuser in der Umgebung bereiten sich auf einen Ansturm vor.

„Die Helfer waren sehr konzentriert, freundlich und koordiniert. Es herrschte zwar Betriebsamkeit, aber keine Hektik“, erzählt Florian Wagner. Die Rettungskräfte bitten alle Verletzten, wieder in die Bahn zu steigen. Dort werden sie von Sanitätern oder Ärzten einzeln befragt und untersucht. 34 Menschen werden nach Angaben der Feuerwehr in Krankenhäuser gebracht – auch Florian Wagner. Mit einer Knieprellung und einer geschwollenen Nase kann er die Klink gegen 22.30 Uhr wieder verlassen.

Mit welcher Geschwindigkeit die Linie 18 auf die stehende Bahn aufgefahren ist, steht noch nicht fest. Die Ermittler werten nun die Fahrtenschreiber aus. Polizei und KVB berichten, aus der Bahn habe sie vor dem Unfall niemand angerufen, um die unsichere Fahrweise des 55-Jährigen zu melden. Wie ein Zeuge dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtete, habe ein weiblicher Fahrgast in der Unglücksbahn den 55-jährigen Fahrer kurz vor dem Zusammenprall noch angesprochen, nachdem er eine vorherige Haltestelle einfach ignoriert hatte. Doch der habe darauf nicht reagiert.

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