Land NRW muss zahlenKölner jahrelang zu Unrecht auf Sonderschule

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Nenad M.

Nenad M.

Köln – Im langwierigen Rechtsstreit, den der frühere Förderschüler Nenad M. gegen das Land NRW, vertreten durch die Bezirksregierung Köln, führt, hat er einen Erfolg errungen: Am Dienstag hat das Landgericht grundsätzlich entschieden, dass der 21-Jährige wegen Amtspflichtverletzung einen Anspruch auf Schadenersatz hat. „Ich bin sehr glücklich“, reagierte seine Anwältin Anneliese Quack. „Die Gerechtigkeit hat gesiegt. Für uns ist das ein tolle Klarstellung.“ Nenad M. sagte, er sei „stolz“, für sein Recht gekämpft und nun Recht bekommen zu haben. Endlich habe er die offizielle Bestätigung, „dass ich nicht geistig behindert bin“. Die Höhe der Entschädigung, die das Land leisten muss, hat die 5. Zivilkammer noch nicht festgelegt. Außerdem will sie in einer weiteren Beweisaufnahme klären, welche psychischen Folgen die fehlerhafte Beschulung für den Nenad M. hatte.

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Im Jahr 2016 hatte er mit Hilfe seiner Anwältin Klage gegen das Land erhoben; Unterstützung kam vom Elternverein „Mittendrin“, der sich für Inklusion engagiert. Der Kläger machte geltend, bei richtiger Beschulung hätte er mit 16 Jahren eine Ausbildung beginnen und im Anschluss daran eine Berufstätigkeit aufnehmen können. Ihm sei ein Verdienstausfallschaden von gut 39.000 Euro entstanden. Außerdem habe er psychische Schäden davongetragen, vor allem eine posttraumatische Belastungsstörung; deshalb stehe ihm ein Schmerzensgeld in Höhe von 20 000 Euro zu. Nenad M. stammt aus einer serbischen Roma-Familie. Nach einem Test in einer bayrischen Grundschule, dem er sprachlich nicht gewachsen war, wurde er als geistig behindert eingestuft und auf eine Förderschule für Geistige Entwicklung, kurz GE-Schule, geschickt.

IQ von 59 ermittelt

Bei einem Intelligenztest wurde ein IQ von 59 ermittelt; der Durchschnitt liegt bei 100. Nach der Rückkehr in seine Geburtsstadt Köln kam er im Januar 2009 auf die Förderschule für Geistige Entwicklung in Poll. Nenad M. wirft ihr vor, sie habe den sonderpädagogischen Förderbedarf immer weiter fortgeschrieben, ohne ihn entsprechend den gesetzlichen Vorgaben jährlich zu überprüfen. Die Einrichtung bestreitet das.

Nenad M. bettelte nach seiner Darstellung bei der Schulleitung darum, auf eine andere Schule gehen zu dürfen – vergeblich. Anscheinend war Widerwille gegen die ständige Unterforderung der Hauptgrund dafür, dass er immer öfter den Unterricht schwänzte; die Fehlzeiten waren enorm – was wiederum auf hohen Förderbedarf hindeuten konnte. Die Wende kam, als er den mittlerweile verstorbenen Kurt Holl vom Rom e. V. kennen lernte. Er vermittelte ihn an Eva-Maria Thoms von „Mittendrin“. Zunächst gelang es auch ihr nicht, den damals 17-Jährigen in einer anderen Bildungseinrichtung unterzubringen.

Denn die GE-Schule und die Bezirksregierung wiesen darauf hin, Nenad habe zu oft gefehlt. Dann testete eine Psychologin im Auftrag von Anwältin Quack die geistigen Fähigkeiten des Jugendlichen; Ergebnis war ein „normaler“ IQ. „Mittendrin“ gelang es, dass Nenad M. am Berufskolleg Deutzer Freiheit hospitieren konnte. Dort blieb er. 2016 erwarb er mit einem Notendurchschnitt von 1,6 den Hauptschulabschluss. Inzwischen arbeitet er als Aushilfe in einem Supermarkt; er hofft, eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann machen zu können.

In seinem Grundurteil hält das Gericht fest, zwar sei es „nicht unbedingt erforderlich“ gewesen, Nenad M. gleich bei der Anmeldung an der Schule erneut zu begutachten. Doch bei der jährlichen Überprüfung hätte auffallen müssen, dass kein Förderbedarf im Bereich Geistige Entwicklung bestand. Schon im Juni 2009, bei der Vergabe des ersten Zeugnisses, habe es „genug Anhaltspunkte für eine eingehende Überprüfung“ gegeben; sie hätte mit Sicherheit dazu geführt, dass der falsche Förderschwerpunkt festgestellt worden wäre. Gegen das Urteil, das noch förmlich zugestellt werden muss, kann das Land Berufung einlegen.

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